Einzelfallprüfung bei Abschiebungen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 30.05.2013; Fragestunde Nr. 39
Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage des Abgeordneten Ansgar Focke (CDU)
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Mit Blick auf die Vorgänge um eine Mutter aus Lüchow-Dannenberg, die nachts aus dem Schlaf gerissen wurde und mit ihren zwei minderjährigen Kindern von dem Rest der Familie getrennt abgeschoben wurde, hat der Innenminister in der Plenarsitzung am 14. März 2013 angekündigt, sich künftig alle Einzelfälle anstehender Abschiebungen persönlich vorlegen zu lassen.
Ich frage die Landesregierung:
1. Wie viele Abschiebefälle und aus welchen Landkreisen wurden dem Innenminister seit dem 14. März 2013 vorgelegt, und wie viele Menschen waren betroffen?
2. Hat sich der Innenminister mit allen Fällen persönlich befasst, und wurden auf seine oder des Innenministeriums Veranlassung aufenthaltsbeendende Maßnahmen abgebrochen oder aufgeschoben (aufgeteilt nach Landkreisen)?
3. Wurden auf Veranlassung des Innenministers oder infolge fachaufsichtlicher Hinweise des Innenministeriums aufenthaltsbeendende Maßnahmen von zuvor straffällig gewordenen Ausländern beendet?
Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Die Umsetzung der bundesgesetzlichen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes erfolgt durch die örtlichen Ausländerbehörden in eigener Zuständigkeit. Dazu gehört auch die gesetzlich zwingend vorgesehene Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern, die ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht freiwillig nachgekommen sind. Dem Ministerium für Inneres und Sport obliegt die Fachaufsicht über die kommunalen Ausländerbehörden.
Die neue Landesregierung hat in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik einen Paradigmenwechsel vollzogen und bereits in den ersten hundert Tagen neue Akzente gesetzt. Die von der zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises Lüchow-Dannenberg eingeleitete Abschiebung der dort wohnhaften kosovarischen Familie, in deren Verlauf es zu einer Trennung der Familie gekommen ist, war Anlass für Innenminister Pistorius sich über die von den Ausländerbehörden beim Landeskriminalamt angemeldeten Abschiebungsfälle wöchentlich ausführlich unterrichten zu lassen (evtl. siehe Mündliche Anfrage Nr. 37, LT-Drs. 17/106). Getrennte Abschiebungen einzelner Familienmitglieder sollen zukünftig vermieden werden. Vielmehr wird jetzt – unter Vorgriff auf die erleichterten Zugangsvoraussetzungen zur Härtefallkommission – in jedem Einzelfall geprüft, ob den betreffenden vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern die Möglichkeit eingeräumt werden kann, sich mit einer ggf. erneuten Eingabe an die Härtefallkommission zu wenden, um dadurch noch ein Aufenthaltsrecht aus besonderen persönlichen oder humanitären Gründen erreichen zu können. Die neue Landesregierung setzt damit ihren Kurs einer humanitären Ausländer- und Asylpolitik fort.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1.:
Seit dem 14. März 2013 lässt sich Innenminister Pistorius wöchentlich über die geplanten Abschiebungen informieren. In der Zeit vom 14. März 2013 bis zum 23.05.2013 wurde er über 55 Abschiebungsfälle informiert, die sich auf insgesamt 78 Personen bezogen. Es hat sich um Fälle aus den zuständigen Ausländerbehörden der folgenden Kommunen gehandelt:
- Landeshauptstadt Hannover
- Stadt Celle
- Stadt Göttingen
- Stadt Lüneburg
- Stadt Osnabrück
- Stadt Salzgitter
- Stadt Wolfsburg
- Landkreis Cuxhaven
- Landkreis Diepholz
- Landkreis Emsland
- Landkreis Friesland
- Landkreis Göttingen
- Landkreis Goslar
- Landkreis Helmstedt
- Landkreis Hildesheim
- Landkreis Oldenburg
- Landkreis Rotenburg / Wümme
- Landkreis Stade
- Landkreis Vechta
- Landkreis Wesermarsch
- Landkreis Wittmund
- Landesaufnahmebehörde Niedersachsen
Zu Frage 2.:
Die geplanten Abschiebungen sind dem Innenminister oder – bei dessen Abwesenheit – dem Staatssekretär des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom Fachreferat entweder persönlich vorgetragen oder schriftlich übermittelt worden. Die besonders gelagerten Fälle wurden insbesondere hinsichtlich der familiären Hintergründe, des bisherigen Aufenthaltszeitraums und des geplanten Vollzugs detailliert erörtert. Zusätzlich zu den in der Beantwortung der Mündlichen Anfrage Nr. 37 vom 18.04.2013 aufgeführten Fällen wurden in zwei Fällen geplante Abschiebungen storniert. Es handelt sich dabei um zwei kosovarische Familien, die ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde der Stadt Göttingen haben. In diesen Fällen soll den Betroffenen die Möglichkeit eröffnet werden, eine Eingabe an die Härtefallkommission zu richten.
Zu Frage 3.:
Ja. Vor dem Hintergrund des zukünftig erleichterten Zugangs zur Härtefallkommission wurde zwei Familien trotz Straffälligkeit der Familienväter die Möglichkeit eingeräumt, sich an die Härtefallkommission zu wenden, um gegebenenfalls auf diesem Weg doch noch ein Aufenthaltsrecht auf humanitärem Weg erhalten zu können.