Beantwortung der mdl. Anfrage der CDU zu Bewerbungsverfahren
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.05.2014; Fragestunde Nr. 9
Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten
Petra Joumaah (CDU).
Die Abgeordnete hatte gefragt:
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat am 26. März 2014 eine Studie vorgestellt, wonach Bewerberinnen und Bewerber mit türkischem Namen bei sonst gleichen Bewerbungsschreiben und -voraussetzungen seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen würden als Bewerberinnen und Bewerber mit deutschem Namen.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, nahm diese Studie zum Anlass, auch die Personalentscheider in öffentlichen Verwaltungen aufzurufen, sich selbst zu überprüfen, ob sie frei von Vorurteilen bei der Besetzung von Ausbildungsstellen seien.
Ich frage die Landesregierung:
1. Wie beurteilt die Landesregierung die Ergebnisse der Studie, und sieht sie Handlungsbedarf im Hinblick auf die aktuelle Praxis bei Bewerbungsverfahren für Ausbildungsplätze in der Landesverwaltung?
2. Falls die Landesregierung Handlungsbedarf sieht, was beabsichtigt sie zu tun?
3. Sieht die Landesregierung Bedarf für eine gleich angelegte Studie, bei der statt türkischer Namen andere ausländisch klingende - z. B. englische, schwedische oder französische - Namen verwendet werden und, falls nein, weshalb nicht?
Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Das Land Niedersachsen hat 2008 die Charta der Vielfalt unterzeichnet. In der Folge hat die Landesregierung mehrere Beschlüsse zur interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung gefasst, die in vielfältigen Maßnahmen der Ressorts Umsetzung fanden. Eine der Zielsetzungen ist dabei der chancengleiche Zugang von Menschen mit Migrationshintergrund zu Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst als Schritt zur gleichberechtigten Teilhabe. Die Ausgestaltung von Bewerbungsverfahren und die interkulturelle Sensibilisierung und Kompetenz der Verfahrensbeteiligten spielt in dem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Hierzu werden für die gesamte Landesverwaltung regelmäßig Fortbildungen beim Studieninstitut des Landes Niedersachsen (SiN) durchgeführt. Des Weiteren hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (MI) sich eingehend damit befasst, welche unbewussten Diskriminierungen von Menschen mit Migrationshintergrund in Bewerbungsverfahren möglicherweise stattfinden und wie dem entgegengewirkt werden kann. Als Unterstützung für die Personalstellen der Landesverwaltung hat das MI diesen entsprechende Hinweise und Anregungen in einer verwaltungsinternen Broschüre („Menschen mit Migrationshintergrund im Personalauswahlverfahren - Checkliste für Personaldienststellen der Landesverwaltung") zur Verfügung gestellt. Im vergangenen Jahr hat das MI zudem für die Personaldienststellen Veranstaltungen zu „Interkulturelle Öffnung und Personalgewinnung“ durchgeführt, um für das Thema sensibel zu machen und einen Austausch zu ermöglichen. Darüberhinaus wird die Landesregierung, um unbewusste Diskriminierung zu vermeiden, auch Verfahren der anonymisierten Bewerbung in Pilotanwendungen testen.
Neben der kritischen Betrachtung und Überprüfung von Bewerbungsverfahren spielt aber auch der vorhergehende Prozess des Arbeitgebermarketings eine wichtige Rolle. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels muss es generell gelingen, die Attraktivität des Arbeitgebers Land Niedersachsen bekannt zu machen und einen großen Adressatenkreis anzusprechen. Aus diesem Grunde ist das Karriereportal des Landes (www.karriere.niedersachsen.de) in wichtigen Bereichen mehrsprachig gestaltet. Es geht darum, Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und ihren Eltern, die bei der Berufswahl unterstützen wollen, Hilfestellung bei der Berufswahl und beim Zugang in den öffentlichen Dienst der Landesverwaltung zu geben.
Über die dargestellten Maßnahmen für die gesamte Landesverwaltung hinausgehend ist die besondere Ausrichtung der Polizei in diesem Bereich hervorzuheben, die schon seit vielen Jahren einen Schwerpunkt auf die Gewinnung von Menschen mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst legt, da sie in besonderer Weise für eine erfolgreiche Arbeit Beamtinnen und Beamte benötigt, die die Kulturen, Denk- und Lebensweisen der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund kennen und verstehen. Um diese Zielsetzungen erreichen zu können, wurde u.a. das Personalgewinnungsverfahren für den Polizeivollzugsdienst in Niedersachsen kulturneutral und chancengleich gestaltet. Bereits im Jahr 2007 ist ein eigener Beratungsservice für diese Bewerbergruppe eingerichtet worden. Die persönliche Beratung zielt zum einen darauf ab, den jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu signalisieren, dass die Polizei sich als möglicher zukünftiger Arbeitgeber für sie interessiert. Zum anderen soll ihnen Sicherheit für das bevorstehende Testverfahren vermittelt werden. Hier geht es u.a. darum, durch einen persönlichen Kontakt einen positiven Zugang zum Berufsbild der Polizei zu schaffen und Berührungsängste abzubauen.
Zudem wurden unter wissenschaftlicher Begleitung alle sprachbezogenen Aufgaben aus dem Auswahlverfahren für den Polizeivollzugsdienst Niedersachsen auf kulturbelastete Fragestellungen mit dem Ziel untersucht, diese ohne Senkung des Anforderungsniveaus der jeweiligen Testaufgabe durch nicht belastete zu ersetzen. Darüber hinaus wurde der mündliche Teil des Auswahlverfahrens überarbeitet, um das Erkennen und Bewerten interkultureller Potentiale leichter zu ermöglichen. Schon im Jahr 2008 hat sich die Polizei im Rahmen eines landesweiten und behördenübergreifenden Projekts zur „Weiterentwicklung der interkulturellen Kompetenz“ mit der Gesamtthematik intensiv auseinandergesetzt und umfangreiche Maßnahmen entwickelt und eingeleitet. Hierzu gehörte u.a. auch die gezielte Fortbildung und Sensibilisierung der in Einstellungskommissionen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ergänzend hat die Polizei Niedersachsen in den zurückliegenden Jahren gezielt Werbemaßnahmen initiiert und durchgeführt, um mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund für die Polizei zu gewinnen. Besonders erfolgreich wirkten sich die Anstrengungen der Behörden vor Ort auf die Bewerberzahlen aus. Als erfolgreich erwies sich auch die Zusammenarbeit mit der ausländischen Presse. Dabei richten sich die Aktionen zum Teil auch an die Eltern der Zielgruppe. Die Polizei Niedersachsen achtet bei den Printmedien, Aufklebern und Filmspots usw. darauf, junge Frauen und Männer einzubeziehen, die einen erkennbaren Migrationshintergrund haben und sich für den Polizeiberuf entschieden haben.
Die dargestellten Bemühungen haben seit 2008 nahezu eine Verdoppelung des Anteils der Bewerbungen sowie annähernd eine Verdreifachung des Anteils bei den Einstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund in die Polizei Niedersachsens bewirkt:
2008 |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
|
Anteil Bewerbungen in % |
9,2 |
13,3 |
15,6 |
14,9 |
15,0 |
17,8 |
Anteil Einstellungen in % |
4,4 |
8,8 |
11,5 |
11,7 |
11,3 |
11,3 |
Besondere Aktivitäten sind auch im Hinblick auf die Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern in den Schuldienst hervorzuheben. Ziel des Niedersächsischen Kultusministeriums ist es, vermehrt Lehrkräfte mit Migrationshintergrund für den Landesdienst zu gewinnen[1]. In Oldenburg, Hildesheim und Lüneburg hat das Kultusministerium den Schülercampus „Mehr Migranten werdenLehrer“ in Kooperation mit der ZEIT-Stiftung durchgeführt. Die Veranstaltungen haben Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im Sekundarbereich II einen viertägigen Orientierungskurs geboten, der umfassend über lehramtsbezogene Studiengänge und das Profil des Berufs einer Lehrerin oder eines Lehrers informiert. Aufgrund zahlreicher positiver Rückmeldungen der Teilnehmenden soll das Projekt mit einem regionalisierten Ansatz weiterentwickelt und fortgeführt werden, um so weitere interessierte Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund noch besser und schneller zu erreichen. Des Weiteren werden mit Hilfe des Stipendienprogramms „Horizonte“der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung herausragende und engagierte Lehramtsstudierende sowie Referendarinnen und Referendare mit Migrationshintergrund im Rahmen ihrer Ausbildung gefördert, ebenfalls mit dem Ziel, letztlich mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zu gewinnen.
Um diesen Prozess in den Schulen zu fördern, hat das Kultusministerium das „Netzwerk niedersächsischer Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte“ (MigraNetz), die bereits in niedersächsischen Schulen tätig sind, gegründet. Die Mitglieder des Netzwerkes verstehen sich als Vorbilder für eine gelungene Integration und erfolgreiche Bildungskarrieren. Sie bringen u. a. ihre bikulturellen und mehrsprachigen Erfahrungen bei der interkulturellen Öffnung der Schulen ein. Neben weiteren Aktivitäten informieren die Netzwerkmitglieder im Rahmen von Veranstaltungen Jugendliche mit Migrationshintergrund über den Beruf einer Lehrerin oder eines Lehrers.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Ziel der Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration[2] war die Ermittlung belastbarer empirischer Erkenntnisse zu der Frage, ob und inwieweit Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland beim Zugang zum Ausbildungsmarkt diskriminiert werden. Das Untersuchungsdesign sah allerdings nur fiktive Bewerbungen von ausschließlich männlichen Jugendlichen mit deutsch- oder türkischklingendem Namen vor, die eine Ausbildung in lediglich zwei Berufsbereichen anstrebten (Bürokaufmann und Kfz-Mechatroniker). Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei identischen Eigenschaften und Qualifikationen ein Kandidat mit deutschklingendem Namen nach fünf Bewerbungen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, ein Mitbewerber mit türkischklingendem Namen hingegen sieben Bewerbungen benötigt. Ein Bewerber mit türkischklingendem Namen muss 1,5-mal (Kfz-Mechatroniker) bzw. 1,3-mal (Bürokaufmann) so viele Bewerbungen schreiben wie ein vergleichbarer Mitbewerber mit deutschklingendem Namen. Die Autoren der Studie kommen selbst zu dem Schluss, dass von den Ergebnissen nicht pauschal auf den gesamten Ausbildungsmarkt geschlossen werden könne. Ebenso wenig könne geschlussfolgert werden, dass unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund alle Herkunftsgruppen gleichermaßen von den Benachteiligungen betroffen sind. Was bleibt, sind die in der Studie beschriebenen Diskriminierungstendenzen bei jungen Bewerbern mit türkischklingendem Namen, die sich um Ausbildungsplätze als Kfz-Mechatroniker oder als Bürokaufmann bewerben. Dieser Beurteilung schließt sich die Landesregierung an.
Die Landesregierung wird ihre bisherigen Aktivitäten zur verstärkten Gewinnung von Menschen mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst auch zukünftig fortsetzen.
Zu 2.:
Siehe 1.
Zu 3.:
Die Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration bietet empirisch belastbare Ergebnisse zwar nur für die Gruppe der männlichen Jugendlichen mit offenkundig türkischem Migrationshintergrund, die mit einer Vergleichsgruppe Jugendlicher mit deutschklingendem Namen um einen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann bzw. Kfz-Mechatroniker konkurriert. Die hierbei festgestellten Benachteiligungen für Bewerber mit türkischem Namen machen jedoch deutlich, dass ein Handlungsbedarf besteht, und zwar unabhängig davon, ob und inwieweit andere Herkunftsgruppen betroffen sind. Die Studie enthält auch Hinweise zu möglichen Handlungsansätzen, so dass weitere Studien für die Fragestellung als nicht erforderlich angesehen werden. Ziel der Landesregierung ist der chancengleiche und damit diskriminierungsfreie Zugang zu Ausbildung und Arbeit für alle Jugendlichen.
[1] Ein eventuell vorhandener Migrationshintergrund der Bewerberinnen und Bewerber wird statistisch nicht erhoben.
[2] Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (Hg.): Diskriminierung am Ausbildungsmarkt. Ausmaß, Ursachen und Handlungsperspektiven. Berlin 2014.