Rettungsdienst in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 07.10.2010; Fragestunde Nr. 41
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil vom 29. April 2010 entschieden, dass für die Vergabe von Rettungsdienstleistungen im sogenannten Submissionsmodell nachträgliche Bekanntmachungen gegenüber der Europäischen Kommission europarechtlich vorgegeben sind. Der Entscheidung ist darüber hinaus als Kernaussage zu entnehmen, dass Rettungsdienstleistungen nach dem Submissionsmodell in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen.
Im Submissionsmodell wird der Erbringer der Rettungsdienstleistungen direkt vom Träger des Rettungsdienstes beauftragt. Seine Vergütung erhält der Leistungserbringer direkt vom Auftraggeber oder von einer mit diesem Auftraggeber in Verbindung stehenden Finanzierungseinrichtung.
In Niedersachsen ist im Niedersächsischen Rettungsdienstgesetz das Submissionsmodell vorgesehen. Damit unterliegt die Vergabe von Rettungsdienstleistungen den Regeln des Vergaberechts.
Gegenstand eines weiteren Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (C-274/09) ist die Auftragsvergabe im Konzessionsmodell. Das Oberlandesgericht München hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage gestellt, ob es sich bei dem bayerischen Modell um eine „echte Dienstleistungskonzession“ oder um eine Vergabe als „Dienstleistungsauftrag“ handelt. Anfang September hat der Generalanwalt in seinem Schlussantrag hingegen das insbesondere in Bayern praktizierte Konzessionsmodell als europarechtskonform beurteilt. Das Konzessionsmodell unterfalle nicht
dem Anwendungsbereich der Richtlinie RL 2004/18. Beim Konzessionsmodell erhält der Leistungserbringer im Rettungsdienst seine Vergütung nicht vom öffentlichen Aufgabenträger, sondern über Entgelte, die er im eigenen Namen gegenüber dem Kostenträger erhebt. Die Entscheidung des EuGH wird Ende dieses Jahres erwartet.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie beurteilt die Landesregierung die Entscheidung des EuGH zu Vergabevorgaben im Bereich des Rettungsdienstes, und welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, um der Qualitätserhaltung unseres Hilfeleistungssystems, insbesondere im Hinblick auf Katastrophenschutz und Großschadenslagen, Rechnung zu tragen?
2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung aus den Schlussanträgen des Generalanwaltes Ján Mazák vom 9. September 2010 im Vorabentscheidungsersuchen des OLG München (Rechtssachen C-274/09)?
3. Welche Handlungsempfehlungen kann die Landesregierung den betroffenen Kommunen, wie z. B. der Region Hannover, bis zum Abschluss des rechtshängigen Verfahrens vor dem EuGH (Rechtssachen C-274/09) geben?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
In Niedersachsen sind Träger des Rettungsdienstes das Land für die Luftrettung und im bodengebundenen Bereich die Landkreise, die kreisfreien Städte sowie die Städte Cuxhaven, Göttingen, Hameln und Hildesheim für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich. Den kommunalen Trägern obliegt der Rettungsdienst als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises.
Mit Urteil vom 29. April 2010 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) einen Verstoß gegen die europarechtlichen Bekanntmachungspflichten festgestellt. Darüber hinaus sind dem Urteil aber wesentliche Kernaussagen zu entnehmen. So fallen Rettungsdienstleistungen nach dem Submissionsmodell in den Anwendungsbereich des Vergaberechts; Rettungsdienstleistungen stellen außerdem keine Ausübung öffentlicher Gewalt dar. Letzteres hat zur Folge, dass sie nicht unter die Bereichsausnahme nach Art. 51 i.V.m. Art. 62 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) fallen.
Die Landesregierung hat die Entscheidung des EuGH auf der Grundlage seiner vorgenannten Ausführungen mit den im Vertragsverletzungsverfahren betroffenen Kommunen erörtert.
In einem weiteren Verfahren vor dem EuGH, einem Vorabentscheidungsersuchen des OLG München, liegen seit dem 09. September 2010 die Schlussanträge des Generalanwalts Ján Mazák vor. Die Entscheidung wird Ende dieses Jahres erwartet. Gegenstand des Verfahrens sind zwei Fragen zur Einordnung eines Dienstleistungsvertrags zur Durchführung von Rettungsdienstleistungen. Es geht dabei um die Frage, inwieweit es sich beim bayerischen Modell um die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags handelt oder um eine Dienstleistungs-konzession. Der Generalanwalt hat in seinem Schlussantrag festgestellt, dass das Fehlen einer unmittelbaren Vergütung des Dienstleistungserbringers durch den öffentlichen Auftraggeber ein hinreichendes Kriterium für die Qualifizierung des Vertrages als Dienstleistungskonzession darstelle. Von geringerer Bedeutung sei zum einen, wer die geschuldete Vergütung leistet, vorausgesetzt dies sei eine vom öffentlichen Auftraggeber hinreichend verschiedene und unabhängige Einrichtung; zum anderen, ob das mit der Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko von vornherein beschränkt sei.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Hinsichtlich des ersten Frageteils wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
Der Landesregierung ist es ein großes Anliegen, das Ehrenamt in Niedersachsen generell zu fördern. Eine Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements leistet sie besonders auch im Katastrophenschutz. Nach Maßgabe der geltenden Rechtsgrundlagen fördert sie die Mitwirkung im Katastrophenschutz schwerpunktmäßig mit Zuwendungen zur Beschaffung von Fahrzeugen der im Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisationen, Gemeinden und Gemeindeverbände, sowie mit Zuwendungen für Ausstattung und Ausbildung von Katastrophenschutzeinrichtungen privater Träger.
Ferner hat die Landesregierung in einem Schreiben vom 01. September 2010 gegenüber dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie verdeutlicht, welche Synergieeffekte durch die Mitwirkung der Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz und bei größeren Schadenslagen erzielt werden. Gleichzeitig hat sie aufgezeigt, dass nach ihrer Meinung bei Ausschreibungen von Rettungsdienstleistungen die Mitwirkung der Leistungserbringer im Katastrophenschutz und bei Großschadenslagen als Eignungskriterium verlangt werden könne. Der Parlamentarische Staatssekretär des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie hat diese Auffassung in seinem Antwortschreiben vom 24. September 2010 bestätigt. Die öffentlichen Auftraggeber können dazu Eignungskriterien festlegen. Private Anbieter dürfen dabei jedoch nicht zugunsten von Hilfsorganisationen faktisch von Aufträgen ausgeschlossen werden. Ferner können die öffentlichen Auftraggeber das Ziel eines effektiven und umfassenden Bevölkerungsschutz konkretisieren, indem sie ihren Bedarf definieren und die Anforderungen festlegen, an denen sie das Angebot messen wollen.
Zu 2.:
Die Landesregierung nimmt die Ausführungen des Generalanwalts zur Kenntnis. Der EuGH ist bei seiner Entscheidung nicht an die Anträge der Generalanwaltschaft gebunden. Das Urteil bleibt abzuwarten.
Zu 3.:
Im Hinblick auf das zu erwartende weitere Urteil des EuGH gibt die Landesregierung über ihre vorstehenden Ausführungen zu den Fragen 1 und 2 keine weitergehenden Handlungsempfehlungen.