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Die Bundesregierung darf ehrenamtliche Flüchtlingshelferinnen und -helfer nicht im Regen stehen lassen!

- ES GILT DAS GESPROCHENE WORT! -


Rede von Innenminister Boris Pistorius zu TOP 2 a), Aktuelle Stunde zum Antrag der Fraktion SPD in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13. Dezember 2017

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich über diese aktuelle Stunde, denn wir reden hier über ein Thema, das wir auch in der vergangenen Woche auf der Innenministerkonferenz in Leipzig auf niedersächsischen Antrag diskutiert haben, und das mir persönlich am Herzen liegt. Hier geht es darum, dass wir diejenigen Menschen nicht im Regen stehen lassen können, die sich als Bürgen für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge eingesetzt haben. Sie haben damit verhindert, dass sich viele Menschen in die Hände von Schleusern und auf eine lebensbedrohliche Reise in überfüllten Schlauchbooten begeben mussten.

Im Jahr 2013 spitzte sich die Lage in Syrien so weit zu, dass der Bund und die Länder es für dringend erforderlich hielten, zu handeln. Das Bundesministerium des Inneren hat eine Aufnahmeaktion für 5.000 syrische Flüchtlinge initiiert. Auch Niedersachen und die meisten anderen Länder entschieden sich, durch eigene Aufnahmeanordnungen syrischen Flüchtlingen die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Bis auf Bayern haben alle Länder entsprechende Aufnahmeanordnungen erlassen.

Voraussetzung war dabei, zu gewährleisten, dass durch diese zusätzliche Flüchtlingsaufnahme - zumindest zunächst - keine weiteren Belastungen für die öffentlichen Haushalte, insbesondere für die Kommunen, entstehen würden.

Deswegen musste Voraussetzung für die Aufnahme sein, dass der Lebensunterhalt der syrischen Angehörigen durch die hier lebenden Verwandten sichergestellt wurde. Hierfür hatten die hier lebenden Verwandten die Verpflichtungserklärung nach § 68 Aufenthaltsgesetz abgegeben, um die es hier heute geht.

Durch diese Verpflichtungserklärung haben die Angehörigen und Unterstützer die Verpflichtung übernommen, die Kosten für den Lebensunterhalt zu tragen und sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die während des Aufenthalts des aus Syrien kommenden Angehörigen entstehen. Um aber die finanzielle Belastung der Angehörigen und Unterstützer nicht unverhältnismäßig auszugestalten, wurde der Umfang der abzugebenden Verpflichtungserklärung begrenzt. So wurden die Kosten für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, Pflegebedürftigkeit und Behinderung im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes sukzessive von den Verpflichtungserklärungen ausgenommen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte nun im Januar dieses Jahres die Frage zu klären, wann eine solche Verpflichtungserklärung endet und hat – ich darf aus meiner Sicht hinzufügen: leider – entschieden, dass die abgegebene Verpflichtungserklärung eben nicht endet, wenn die Angehörigen als Bürgerkriegsflüchtlinge erfolgreich einen Asylantrag gestellt haben - wovon nach der 2013 geltenden Rechtslage seitens meines Hauses und der anderen Länder ausgegangen wurde. Auch die Tatsache, dass die Verpflichtungserklärung zur Ermöglichung der Einreise syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge im Rahmen einer Landesaufnahmeanordnung und damit zu einem humanitären Schutzzweck abgegeben wurde, änderte daran nichts. Folglich, so das Bundesverwaltungsgericht weiter, sind die Verpflichtungsgeber damit weiterhin zur Erstattung der den Flüchtlingen gezahlten Sozialleistungen der öffentlichen Hand verpflichtet.

Anrede,

Um es sehr deutlich klar zu stellen: Das entsprechende Landesprogramm war keinesfalls darauf angelegt, dass die Einreisenden im Bundesgebiet einen Asylantrag stellen. Eine Aufenthaltsperspektive hatten sie bereits aufgrund des Programmes. Gleichwohl wurde der Weg des Asylverfahrens von vielen beschritten.

Niedersachsen hat bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wie auch viele andere Länder, die Rechtsauffassung vertreten, dass die Verwandtenaufnahme im Rahmen einer Landesaufnahmeanordnung einen anderen Aufenthaltszweck als eine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung darstellt und deswegen die Gültigkeitsdauer der Verpflichtungserklärung mit dem Zeitpunkt der Anerkennung endet. Im Ergebnis wurde diese Auffassung auch von anderen Ländern sowie von Teilen der Rechtsprechung vertreten.[1] So eindeutig, wie es gelegentlich dargestellt wird, war die Rechtslage nämlich nicht.

Der Bund sorgte leider erst im August 2016 für Rechtsklarheit, indem er mit dem Integrationsgesetz eine gesetzliche Änderung geschaffen hat.

Aufgrund der bis zu dieser Regelung bestehenden skizzierten unklaren Rechtslage sind viele Verpflichtungsgeber bei der Abgabe ihrer Verpflichtungserklärung davon ausgegangen, dass ihre Verpflichtung mit der Anerkennung des Betroffenen als Schutzberechtigter endet. Diese Ansicht teilte das Bundesverwaltungsgericht leider nicht. Die Angehörigen und Verpflichtungsgeber sehen sich nunmehr mit hohen, zum Teil existenzbedrohenden Rückforderungen von öffentlichen Leistungen konfrontiert.

Nach meinem Eindruck konnten mit den ergangenen Hinweisen an die Ausländerbehörden bestehende Unsicherheiten nicht oder zumindest nicht vollständig ausgeräumt werden.

So wies mein Haus die niedersächsischen Ausländerbehörden bereits im Dezember 2014 (18. Dezember 2014) darauf hin, dass es eventuell zu einer entsprechenden Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gegenüber den Verpflichtungsgebern kommen kann, sollte eine Leistungsbehörde, die nicht unter meiner Fachaufsicht steht, eine abweichende Meinung vertreten und von einer fortdauernden Geltung der Verpflichtungserklärung ausgehen.

Im April 2015 (10. April 2015) wurden die niedersächsischen Ausländerbehörden ergänzend darauf aufmerksam gemacht, dass die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit Erstattungen nach § 68 Aufenthaltsgesetz prüfen müsse und gebeten, potenzielle Verpflichtungsgeber ausdrücklich hierauf hinzuweisen.

Nach meiner Einschätzung hat die bis zur gesetzlichen Neufassung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen im August 2016 geltende unklare Rechtslage maßgeblich dazu beitragen können, dass Verpflichtungsgeber sich der Reichweite ihrer eingegangenen Verpflichtungen nicht bewusst waren.

Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass die Verpflichtungsgeber nicht im Regen stehen gelassen werden. Ich habe deshalb die Initiative ergriffen und mich vor zwei Wochen in einem Brief an die kommissarische Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Dr. Barley, für eine Billigkeitslösung eingesetzt, die aber nur der Bund ermöglichen kann.

Gemeinsam mit meinem Amtskollegen aus Hessen, Herrn Minister Peter Beuth, werde ich noch vor Weihnachten versuchen, die Angelegenheit mit Frau Dr. Barley in einem Gespräch vertiefend zu beraten und die Erwartungshaltungen der Länder zu untermauern.

Anrede,

Sie sehen – ich setze alles daran, hier möglichst schnell zu einer guten und vor allem gerechten Lösung zu kommen, die auch für die engagierten uneigennützig handelnden Flüchtlingshelferinnen und –helfer akzeptabel ist!

Die Bundeskanzlerin hat im Herbst 2015 gesagt: „Wir schaffen das!“ – und sie hat nicht nur die Behörden des Bundes, der Länder und Kommunen gemeint, als sie das sagte. Vielmehr hat sie auch diejenigen gemeint, auf die diese Gesellschaft setzt und immer gesetzt hat, und deren Einsatz am Ende zu einer der größten Bürgerinitiativen der Nachkriegszeit in Deutschland geführt hat. Diese Bewegung hat zahlreichen Flüchtlingen in Not geholfen.

Viele haben in dieser unübersichtlichen Zeit Verantwortung für andere übernommen, sind Risiken eingegangen und diese Menschen dürfen wir am Ende nicht im Regen stehen lassen.

Vielen Dank!


[1] z. B. Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 12.07.2017 – 11 S 2338/16 – sowie Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 09.10.2015 – L 5 AS 643/15 B ER –

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erstellt am:
13.12.2017

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