Keine neue kommunale Gebietsreform
Rede von Innenminister Uwe Schünemann zu dem Antrag der Fraktion der FDP Es gilt das gesprochene Wort!
Von dem französischen Dichter und politischen Gegner Napoleons, Victor Hugo, stammt die Erkenntnis, dass nichts stärker ist als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Die Idee für eine neue kommunale Gebietsreform in Niedersachsen ist geboren. Das zeigen der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einsetzung einer Enquete-Kommission, das Positionspapier des Bundes der Steuerzahler für neue Kommunalstrukturen oberhalb der Gemeindeebene und vereinzelte Äu-ßerungen aus den Reihen der SPD-Fraktion. Die Zeit für diese Idee ist aber alles andere als gekommen. Dies hat die Landesregierung nun schon mehrfach betont. Und ich tue das heute gern ein weiteres Mal.
Woher nehmen die Beförderer dieser Idee eigentlich die Überzeugung, ja Gewissheit, dass eine neue kommunale Gebiets- und Funktionalre-form hier und heute notwendig ist?
Richtig ist, dass seit ein paar Jahren in Politik und Verwaltungswissenschaft wieder vermehrt über die Notwendigkeit kommunaler Gebiets- und Funktionalreformen diskutiert wird. Wirklich in Gesetzesform beschlossen wurde eine solche bisher jedoch nur in Sachen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. In Sachsen-Anhalt werden zum 1. Juli 2007 Landkreise entstehen, die erst dann im Durchschnitt etwa genauso viele Einwohner haben werden, wie sie die niedersächsischen Landkreise unter Einbeziehung der Region Hannover schon heute haben, nämlich rd. 185.0000.
In Mecklenburg-Vorpommern sollen im Jahr 2009 die bisher 12 Landkreise und 6 kreisfreien Städte zu nur fünf neuen Kreisen mit dann durchschnittlich 340.000 Einwohnern zusammengefasst werden. Erst im Planungsstadium - noch ohne Gesetzentwurf - befindet sich das Vorhaben in Sachsen, so genannte Großkreise mit mehr als 200.000 Einwohnern zu schaffen. In den alten Bundesländern bestehen - abgesehen von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein - keinerlei Absichtserklärungen oder Planungen für eine kommunale Gebietsreform. Dieses betrifft die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und - wie gesagt - Niedersachsen. Verglichen mit den eben genannten Ländern nehmen die niedersächsischen Landkreise hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Gebietsgröße und Einwohnerzahl auch nicht etwa einen unteren sondern einen mittleren Platz ein. Hinzu kommt: Größe allein garantiert keine Effizienz und größere Strukturen allein lösen nicht automatisch Probleme. Das zeigt auch das Beispiel der Region Hannover. Und völlig falsch liegt, wer glaubt, durch immer größere kommunale Gebietseinheiten ließen sich alle Finanzprobleme der Kommunen lösen. Das alles heißt im Ergebnis: Diese Landesregierung steht zu ihren Landkreisen, kreisfreien Städten und zur Region Hannover und wird ihren Gebietsbestand nicht antasten.
Genauso konsequent wird diese Landesregierung aber auch damit fortfahren, Leistungsfähigkeit und Effizienz niedersächsischer Landkreise und Gemeinden zu stärken. So sind insbesondere im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung 72 Aufgaben, die bisher von den Bezirksregierungen mit einem Stellenumfang von rd. 185 Vollzeitstellen wahrgenommen wurden, gegen volle Kostenerstattung kommunalisiert worden. Dies hat die Leistungsfähigkeit und Bündelungsfunktion vor allem von Landkreisen und kreisfreien Städten gestärkt. Eine weitere wesentliche Stärkung der Verwaltungskraft niedersächsischer Landkreise und Gemeinden erwartet die Landesregierung von einer Intensivierung kom-munaler Zusammenarbeit. Die Möglichkeiten einer solchen Intensivierung sind erst kürzlich in meinem Auftrag von dem renommierten Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Hesse unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände untersucht worden. Die Vorschläge des Gutachters liegen auf dem Tisch. Über ihre gemeinsame Bewertung und Umsetzung bin ich mit den kommunalen Spitzenverbänden im Gespräch. Neun Pilotprojekte bei Gemeinden und Landkreisen laufen bereits.
Und noch zwei weitere Beispiele: Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Gemeinde-haushaltsrechts und zur Änderung gemeindewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 15. November 2005 haben wir den kommunalen Körperschaften ein einheitliches neues Haushalts- und Rechnungswesen - auch unter dem Begriff "Doppik" bekannt - an die Hand gegeben. Dieses neue Rechnungswesen führt zu mehr Transparenz, Flexibilität und Nach-haltigkeit in der Finanzwirtschaft. Darüber hinaus wurde zu Gunsten der kommunalen Haus-haltswirtschaft das Konnexitätsprinzip in der Niedersächsischen Verfassung verankert. Dieses und noch viel mehr stärkt die Verwaltungskraft unserer Kommunen und sichert ihre Zukunftsfähigkeit in ihren heutigen gebietlichen Grenzen. Ich will jetzt nicht im Einzelnen auf das Ihnen allen bekannte Positionspapier des Bundes der Steuerzahler für neue Kommunalstrukturen eingehen, das kürzlich veröffentlicht worden ist. Selbstverständlich prüfen wir derartige Vorschläge. Aber zwei Bemerkungen kann ich mir schon heute doch nicht verkneifen: Die eine betrifft den falschen Glauben daran, dass Größe allein schon Effizienz garantiere. Sie ist diesem Papier auf die Stirn geschrieben. Die zweite betrifft die Bedeutung und Notwendigkeit bürgerschaftlicher Partizipation in überschaubaren Kommunalstrukturen. Dieses Thema wird in dem Positionspapier schlicht ignoriert. Und oben drein strotzt das Positionspapier vor Ignoranz gegenüber historischen Zusammenhängen und landsmannschaftlichen Gegebenheiten. Deshalb stimme ich ausnahmsweise dem zu, was Sie, sehr geehrter Herr Kollege Bartling, laut den Schaumburger Nachrichten vom 6. November hierzu öffentlich geäußert haben: Solche Überlegungen haben keinerlei Aussicht auf Erfolg.
Vielen Dank
Artikel-Informationen
erstellt am:
09.11.2006
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010