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Pannen oder Angst? – Warum wurde den Hinweisen auf hundertfachen Sozialbetrug nicht schnell und konsequent nachgegangen?

Sitzung des Nds. Landtages am 2. Februar 2017; TOP 15 b) Dringliche Anfrage

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregie-

rung auf die Dringliche Anfrage der Fraktion der CDU wie folgt:

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

die Aufklärung von Mehrfachidentitäten und von möglichem Betrug von Sozialleistungen durch Asylsuchende ist schon immer ein zentrales Anliegen für das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport und der ihm nachgeordneten Behörden. Daher sind entsprechende Maßnahmen zur Aufklärung dieser Fälle bereits frühzeitig eingeleitet und verstärkt worden.

Ich möchte nochmals auch an dieser Stelle zunächst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesaufnahmebehörde für ihre Arbeit herzlich danken. Sie haben in einer absoluten Ausnahmesituation, in der bis zu 2.000 Flüchtlinge pro Tag nach Niedersachsen kamen, hervorragende Arbeit geleistet und dazu beigetragen, eine Obdachlosigkeit von Flüchtlingen zu verhindern. Angesichts dieser Leistung finde ich es sehr bedauerlich, wenn auf dem Rücken aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der LAB NI, pauschale Kritik geübt wird.

Viele scheinen aktuell zu vergessen, wie die Situation von Sommer 2015 bis Frühjahr 2016 während des enormen Zuzugs von Flüchtlingen war. In den Erstaufnahmeeinrichtungen mussten Menschen teilweise in den Gängen und Büros untergebracht werden, weil keine Räume mehr vorhanden waren. Der Innenausschuss des Landtags war im Oktober 2015 zu Besuch in Braunschweig und lobte einheitlich die dort geleistete Arbeit. Die Überschrift der Braunschwei-ger Zeitung, ich wiederhole mich gerne, lautete seinerzeit „Politiker loben LAB: Schwierige Lage wird gut gemanagt“. Die jetzt geäußerte unverhältnismäßige Kritik an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Verantwortlichen dort, erscheint mir scheinheilig. Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen hat bereits in der Vergangenheit entsprechende Verdachtsfälle immer und sofort den zuständigen Polizeidienststellen gemeldet. Auch die von der fragestellenden Fraktion in der zitierten Berichterstattung dargestellten Fälle wurden vollständig der zuständigen Polizei in Braunschweig übergeben.

Mit Schaffung der rechtlichen und technischen Voraussetzungen für ein einheitliches Identitätsmanagement durch das Datenaustauschverbesserungsgesetz, für das ich mich mit anderen Kollegen auf Bundes- und Länderebene frühzeitig eingesetzt und dies u.a. im Kanzleramt mit verhandelt habe und das im Februar 2016 in Kraft trat, wird eine eindeutige Identifizierung von Asylsuchenden ab dem ersten Kontakt und nicht wie bisher erst bei Asylantragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sichergestellt. Ich will das noch einmal unterstreichen:

Bis dahin gab es eine geordnete Registrierung und Erfassung von Fingerabdrücken durch das BAMF erst bei Asylantragstellung und wir alle wissen, wie viel Zeit bisweilen dazwischen lag.

Alle Flüchtlinge werden seitdem unmittelbar nach ihrer Ankunft durch das BAMF oder seit April 2016 auch durch die LAB NI elektronisch registriert, weshalb Fälle, wie die vorliegenden heutzutage bereits praktisch ausgeschlossen sind. Hierfür stehen der LAB NI entsprechende technische Geräte, sogenannte Personalisierungsinfrastrukturkomponenten (PIK) zur Verfügung, die u. a. mit Fingerabdruck-Scannern ausgestattet sind.

Sämtliche Datensätze (einschließlich der Fingerabdrücke) werden bundeseinheitlich an zentraler Stelle im Ausländerzentralregister (AZR) gespeichert, die Fingerabdrücke werden mittels Fast-ID mit den im automatisierten Fingerabdruckidentifizierungssystem für Ausländer (AFIS-A) gespeicherten Fingerabdrücken verglichen. Damit ist sichergestellt, dass keine Registrierungen unter verschiedenen Personalien mehr möglich sind. Außerdem wird mit diesem Verfahren ein systematisches Vorgehen zur Aufklärung von Mehrfachregistrierungen gewährleistet, ohne z. B. anhand eines manuellen Abgleichs von Fotos die Nadel im Heuhaufen suchen zu müssen.

Da für die Landesregierung ein solides Identitätsmanagement bereits am Anfang der Flüchtlingsbewegung im Herbst 2015 von herausragender Bedeutung war, wurde bereits im Oktober 2015 in einem Pilotverfahren zusammen mit dem BAMF, übrigens als eines der ersten Bundesländer, in der Erstaufnahmeeinrichtung Bramsche der LAB NI eine sogenannte „Bearbeitungsstraße“ eingerichtet. In dieser wurden die Registrierung im System „Erstverteilung von Asylbegehrenden“ (EASY) und in der Niedersächsischen Ausländersoftware (NIAS) durch Landespersonal und die ED-Behandlung im Bundessystem MARIS durch Bundespersonal zeitgleich in einem Büro vorgenommen. Darüber hinaus wurde seitens der Polizeidirektion Braunschweig die Erstaufnahmeeinrichtung Braunschweig der LAB NI durch den Einsatz von sog. Live-Scan-Geräten unterstützt.

Die LAB NI arbeitet aktiv und erfolgreich an der Aufklärung von Mehrfachidentitäten. So hatte sie hierzu bereits im Herbst 2016 eine Projektgruppe eingesetzt, die ein Verfahren entwickelt hat, um die Nutzung von Mehrfachidentitäten in der Vergangenheit aufzuklären und seit Einführung des einheitlichen Identitätsmanagement erkannte Mehrfachidentitäten effektiv und effizient zu bearbeiten. Das Verfahren wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport gebilligt und wird von der LAB NI umgesetzt.

An allen Erstaufnahmeeinrichtungen werden nunmehr besonders zuständige Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter für die Thematik Mehrfachidentitäten eingesetzt. Durch diese vorbildhafte Einrichtung konnten zwischenzeitlich etliche Fälle von Sozialleistungsbetrug aufgedeckt werden. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden darüber hinaus mit Vertretern der Polizei in einer Expertengruppe zusammenarbeiten, um niedersachsenweit entsprechenden Verdachtsfällen nachzugehen. Durch diese Vernetzung eben aller Fachleute soll sichergestellt werden, dass in diesen Fällen überall und umfassend reagiert werden kann. Eine, soweit hier bekannt, deutschlandweit einzigartige Einrichtung aus Sicht der Landesregierung mit Vorbildcharakter.

Bereits seit Frühsommer 2016 arbeitete das Land Niedersachsen zudem gemeinsam mit den zuständigen kommunalen Ausländerbehörden und dem BAMF zusammen, um auch diejenigen erkennungsdienstlich zu erfassen, die zwar seit Herbst 2015 im EASY-System des Bundes registriert worden waren, aber nach dem damalig etablierten Verfahren durch das zuständige BAMF nicht erkennungsdienstlich behandelt werden und einen Asylantrag stellen konnten (sog. EASY GAP).

Um diese Lücke zu schließen, unterstützte das Land Niedersachsen das BAMF frühzeitig insbesondere bei der Kommunikation mit den Ausländerbehörden, der Ladung und der Beförderung dieser bereits auf die Kommunen verteilten Personen zur Antragstellung. Personen, die dieser Einladung nicht nachkommen konnten bzw. nicht nachgekommen sind, wurden vom zuständigen BAMF ein zweites Mal persönlich eingeladen. Bei Personen, die auch nach dieser zweiten Aufforderung nicht zur Asylantragstellung erschienen sind, wird das Asylverfahren vom BAMF eingestellt; die Betroffenen werden damit ausreisepflichtig.

Die nunmehr zuständigen kommunalen Ausländerbehörden ergreifen – ggf. in Zusammenarbeit mit der Polizei – die weiteren aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen, wozu auch die nachträgliche erkennungsdienstliche Behandlung zählt. Sie werden hierbei ebenfalls vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport unterstützt. Damit zeigt sich, dass die LAB NI ein ganz eigenes originäres Interesse daran hat, Fälle von Sozialleistungsbetrug durch Mehrfachidentitäten aufzuklären. Und zwar durch ein gut organisiertes, systematisches Vorgehen. Die eigenmächtige Ermittlungsarbeit der Beschwerdeführerin war - das habe ich bereits betont – im Endeffekt hilfreich, wofür ich ihr auch ausdrücklich danken möchte. Allerdings auch auf den Zufall gebaut, weil es eine Kollegin gab, die sich in besonderer Weise Gesichter merken kann. Da die Ereignisse rund um dieses Thema aktuell Gegenstand dienst- und strafrechtlicher Ermittlungsverfahren sind, werde ich mir nach dem Abschluss überlegen, inwiefern ich oder mein Haus mit der Beschwerdeführerin in Kontakt treten.

Zu Frage 1:

Im Juni 2016 informierte die damalige Behördenleiterin der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) die damalige Leiterin des für die Fachaufsicht über die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen zuständigen Referates, dass der Standort Braunschweig der LAB NI Akten an die Polizei übergeben hat. Dass Akten von einer Behörde einer anderen Behörde übergeben werden, stellt einen Routinevorgang innerhalb einer Verwaltung dar. Daher bestand seinerzeit seitens der Fachaufsicht auch keine Notwendigkeit, weitere Schritte einzuleiten. Der konkrete Vorwurf der Vertuschung wurde im Ministerium für Inneres und Sport im Dezember 2016 über die Beschwerde der ehemaligen Zeitarbeits-Mitarbeiterin in der LAB NI bekannt. Die Beschwerdeführerin nahm erstmals am 7. Dezember 2016 telefonisch Kontakt zur von dieser Landesregierung für derartige Fälle eingerichteten Beschwerde­stelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizei auf. Aufgrund des Umfangs und der Komplexität der Schilderungen wurde sie gebeten, ihr Anliegen schriftlich vorzutragen. Ihr auf den 8. Dezember 2016 datiertes Schreiben übersandte die Beschwerdeführerin am Freitag, 9. Dezember 2016, per E-Mail persönlich an die Beschäftigte der Beschwerdestelle, mit der sie zuvor telefonischen Kontakt gehabt hatte. Das Schreiben wurde am 9. Dezember 2016, also am selben Tag, der Leiterin der Beschwerdestelle vorgelegt und bewertet. Es erfolgte noch am selben Tage elektronisch eine Vorlage an den Beauftragten für Beschwerdemanage­ment und Museum Friedland, der aufgrund eines ganztägigen dienstlichen Termins am 9. Dezember 2016 ortsabwesend war. Am Montag, 12. Dezember 2016, fand eine interne Besprechung zwischen dem Beauftragten für Beschwerde­management und Museum Friedland und der Leiterin der Beschwerdestelle statt; im Anschluss daran erfolgte die Vorlage des Schreibens der Beschwerdeführerin bei Herrn Staatssekretär Manke auf elektronischem Wege. Herr Staatssekretär verfügte – ebenfalls elektronisch – noch am selben Tag Rücksprache mit der Leitung der Beschwerdestelle und leitete das Schreiben zeitgleich an den zuständigen Abteilungs­leiter 1 und die Referatsleiterin des Fachaufsichtsreferates im MI weiter. Die Leiterin der Beschwerdestelle vereinbarte daraufhin noch im Laufe des 12. Dezember 2016, also am gleichen Tag, mit dem Vorzimmer des Staatssekretärs einen Termin für eine telefonische Besprechung, die am Vormittag des 13. Dezember 2016 stattfand.

Am 13. Dezember 2016 bat die Beschwerdestelle die Abteilung 1 des Innenministeriums auf elektronischem Wege um eine Stellungnahme, die neben der Stellungnahme der betroffenen Beschäftigten auch die Bewertung der jeweiligen Dienststelle enthalten sollte. In diesem Zusammenhang erhielten sowohl der zuständige Sachbearbeiter wie auch der stellvertretende Referatsleiter des Fachaufsichtsreferates Kenntnis von der Beschwerde.

Eine erste Stellungnahme der Referatsleiterin des Fachaufsichtsreferates lag noch am 13. De-zember 2016 vor. Diese Stellungnahme wurde dann auch der Pressestelle zugeleitet.

Infolge der Presseberichterstattung am 2. Januar 2017 wurde die Polizeidirektion Braunschweig gebeten, der Abteilung 2, Referat 23 einen Sachstand zu den Ermittlungen der Polizeiinspektion Braunschweig (Soko ZErm) in Fällen des Sozialleistungsbetruges durch Flüchtlinge/Asylbewerber mit Frist 4. Januar 2017 mitzuteilen. Im Zuge dieser Anfrage wurde ferner über die hiesige Beschwerdestelle bekannt, dass zu diesem Sachverhalt bereits eine Beschwerde durch die Abteilung 1 in Bearbeitung war. Herrn Minister Pistorius wurde der Sachverhalt mit dem Vorwurf der Vertuschung zuerst am 22. Januar 2017 durch die Presseberichterstattungen bekannt. Am 23. Januar 2017 gab es direkt im Anschluss an die Morgenlage des Ministers eine erste Unterrichtung des Ministers zu dem Thema.

Zu Frage 2:

Die dienstlichen Erklärungen zu diesem Fragegegenstand sind dem Ausschuss für Inneres und Sport am 27. Januar 2017 in vertraulicher Sitzung mitgeteilt worden. Diese Frage ist darüber hinaus Gegenstand laufender Disziplinarverfahren. Die Ermittlungen in diesem förmlichen Verfahren sind daher abzuwarten.

Zu Frage 3:

Die Zahlen basieren auf einer Berichterstattung der Polizeidirektion Braunschweig vom 31. Januar 2017. Die insgesamt acht Aktenordner umfassenden Dokumente enthielten 520 Verdachtsfälle des Sozialleistungsbetruges durch Flüchtlinge bzw. Asylsuchende. Wie viele Täter sich im Einzelnen dahinter verbergen, kann heute noch nicht abschließend beantwortet werden. Bislang wurden 154 strafrechtlich relevante Sachverhalte identifiziert. Davon wurden bislang 13 Vorgänge aufgrund eines nicht ermittelten Aufenthaltsortes an die Staatsanwaltschaft Braunschweig abgegeben. Die Sichtung und Auswertung der weiteren Unterlagen dauert aktuell an.

Presseinformation

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erstellt am:
02.02.2017

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