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Vorstellung des zweiten gemeinsamen Lagebildes von Polizei und Justiz zur Clankriminalität 2021 in Niedersachsen

Pistorius: „Die Strafverfolgungsbehörden werden auch zukünftig eine Null-Toleranz-Strategie umsetzen und alle rechtsstaatlich zulässigen Maßnahmen ausschöpfen“

Havliza: „Kriminelle Clans glauben, sie stünden über dem Recht. Das dulden wir nicht“


Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, und die Niedersächsische Justizministerin, Barbara Havliza, haben heute (11.07.2022) das zweite gemeinsame Lagebild von Polizei und Justiz zur Clankriminalität in Niedersachsen vorgestellt.

Insgesamt 2.841 Fälle wurden im Jahr 2021 der Clankriminalität zugeordnet (im Jahr 2020 waren es 1.951 Fälle). Verglichen mit der gesamten Polizeilichen Kriminalstatistik ergibt dies für die Clankriminalität einen prozentualen Anteil von 0,60 Prozent. Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit machen dabei den überwiegenden Teil der Gesamtfälle der Clankriminalität aus. Dieser deutliche Anstieg der Fallzahlen ist in erster Linie auf noch mehr und niedrigschwellige Kontrollen, bessere Möglichkeiten der polizeilichen Erfassung der Straftaten und diverse Schwerpunktmaßnahmen wie etwa die Joint-Action-Days in Zusammenhang mit Autoposern im vergangenen September in ganz Niedersachsen mit nahezu 1000 eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten zurückzuführen. Auch die Entschlüsselung kryptierter Kommunikation hat zur Aufhellung von kriminellen Handlungen beigetragen. 2.622 Personen wurden als Tatverdächtige erfasst (im Jahr 2020 waren es 1.886 Tatverdächtige). Davon waren ca. 84 Prozent männlich und 55 Prozent in einem Alter unter 30 Jahren.

Innenminister Pistorius sagt: „Clankriminalität macht zwar prozentual nur einen kleinen Anteil der Gesamtkriminalität aus. Sie ist aber sehr vielfältig und die Täterinnen und Täter wollen den Betroffenen mit ihrem Auftreten das Gefühl vermitteln, dass Polizei, Justiz und andere Behörden geradezu machtlos gegen sie sind. Aber das ist nicht der Fall! Die niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden verfolgen eine konsequente und unnachgiebige ‚Null-Toleranz-Strategie‘ bei der Bekämpfung von kriminellen Clans. Mit einem hohen Kontrolldruck, sehr niederschwelligen und intensiven Maßnahmen schränken wir insbesondere die Mobilität der Täterinnen und Täter ein. Auch mit einer noch stärkeren Vermögensabschöpfung und dem Ausbau der Zusammenarbeit mit den relevanten Netzwerkpartnern auf Landes- und Bundesebene gehen wir, Polizei und Justiz gemeinsam, sehr entschlossen gegen Clankriminalität vor.“

Justizministerin Havliza ergänzt: „Unsere vier Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Stade haben im Jahr 2021 insgesamt 853 Verfahren geführt. Diese Verfahren und die neu eingerichteten Strukturen belegen, dass wir auf das Phänomen Clankriminalität eine klare Antwort haben. Sie lautet: konsequente Strafverfolgung! Durch Konsequenz und Spezialisierung sind Polizei und Justiz in der Lage, sofort auf Clan-Kriminalität zu reagieren und entschlossen vorzugehen. Das ist auch notwendig. Denn das Gefährliche an Clan-Kriminalität ist nicht nur der Unrechtsgehalt im Sinne des Strafgesetzbuchs. Es ist oftmals die Botschaft, die von kriminellen Clan-Mitgliedern überdeutlich gesendet wird und die jedem rechtschaffenen Bürger verunsichern muss: ‚Seht her, wir stehen über dem Recht, ihr könnt uns gar nichts.‘ Polizei und Justiz lassen sich das auf keinen Fall bieten!“

Wesentliche Inhalte des Lagebildes 2021

Das Phänomen der Clankriminalität stellt die Strafverfolgungsbehörden anhaltend vor große Herausforderungen. Auch wenn es statistisch weniger als ein Prozent der polizeilich erfassten Kriminalität ausmacht, ist Clankriminalität seit Jahren ein landesweiter Schwerpunkt in der Aufgabenwahrnehmung von Polizei und Justiz. Der Clankriminalität werden, wenn bestimmte Kriterien zutreffen, nach einer zwischen Justiz und Polizei abgestimmten Definition sämtliche Fälle – von kleineren Ordnungswidrigkeiten bis hin zur Organisierten Kriminalität – zugeordnet.

Kriminelle Clanstrukturen sind gekennzeichnet durch die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten jeglicher Deliktsart und -schwere aus diesem Umfeld, das sich durch ein hohes kriminelles Potenzial und eine allgemein rechtsfeindliche Gesinnung auszeichnet.

Die maßgeblichen, ergänzenden Indikatoren umfassen unter anderem

· das Ausleben eines stark überhöhten familiären Ehrbegriffs und das innerfamiliäre Sanktionieren von Verstößen gegen diesen Ehrbegriff,

· das Voranstellen von familieninternen, oft im Gewohnheitsrecht verwurzelten Normen über das Gesetz und die Verfassung,

· das Provozieren von Eskalationen auch bei nichtigen Anlässen oder geringfügigen Rechtsverstößen unter Ausnutzung clantypischer Mobilisierungs- und Bedrohungspotentiale,

· eine den Rechtsstaat umgehende oder unterlaufende Paralleljustiz.

Die Tatverdächtigen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit (ca. 58 Prozent) wurden auch überwiegend in Deutschland geboren. In Bezug auf die Herkunft dominieren neben der Bundesrepublik Deutschland die Staaten Libanon, Türkei und Syrien.

Insgesamt wurden Vermögenswerte in Höhe von 3.535.792 Euro vorläufig gesichert (im Jahr 2020 waren es 945.954 Euro).


Die Tatorte verteilen sich – in unterschiedlicher Ausprägung – über das gesamte Flächenland Niedersachsen, sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten. Eine dauerhafte Konzentration an bestimmten Orten ist nicht festzustellen. Sogenannte Hotspots wie in anderen Bundesländern gibt es nicht in vergleichbarem Ausmaß.

Maßgebliche Bekämpfungsansätze

Mit der im März 2018 in Kraft gesetzten und im Januar 2022 aktualisierten „Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in Niedersachsen“, der landesweit einheitlichen Standards definiert und auf einen ganzheitlichen und niedrigschwelligen Ansatz abzielt, wurde ein richtungsweisendes Instrument geschaffen.

Die bereits seit November 2020 gültige gemeinsame „Richtlinie über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Bekämpfung krimineller Clanstrukturen“ gewährleistet eine noch engere phänomenbezogene Zusammenarbeit. Die Basis dabei ist ein einheitliches Begriffsverständnis von „Clan“ und „kriminellen Clanstrukturen“.

Ein wichtiger Aspekt der „Null-Toleranz-Strategie“ ist die Erhöhung des Kontrolldrucks. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Verkehrs- und Gewerbekontrollen, wie z. B. die Überprüfung von hochmotorisierten Fahrzeugen oder Kontrollen in Shisha-Bars und Barber-Shops - ggf. interdisziplinär in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren. Ziel ist die eindeutige Botschaft und Realität, dass Rechtsverstöße jedweder Art mit aller Konsequenz verfolgt werden.

Ein relevanter Baustein bei der Bekämpfung der Clankriminalität ist die Einschränkung der Mobilität. Hochwertige Kraftfahrzeuge stellen bei kriminellen Clanangehörigen ein wichtiges Statussymbol dar. Neben der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung (z. B. Einziehung von Kraftfahrzeugen) sind deshalb auch fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen (z. B. Entzug der Fahrerlaubnis, Initiierung der Überprüfung der Fahreignung) von besonderer Bedeutung.

Auch Finanzermittlungen werden noch stärker in den Fokus gerückt. Dazu hat die Polizei ganz aktuell eine Landesrahmenkonzeption entwickelt, die zurzeit noch mit den beteiligten Akteuren abgestimmt wird, um die Vermögensabschöpfung im Bereich besonderer krimineller Akteure und Strukturen zu stärken.

Ebenso wird die Netzwerkarbeit auf Landes- und Bundesebene fortlaufend ausgebaut. Um in der behörden- und zuständigkeitsübergreifenden Zusammenarbeit die gegenseitige Übermittlung von Daten, Informationen und Erkenntnissen zu erleichtern, wird zurzeit eine entsprechende Handreichung finalisiert, die allen beteiligten Kooperationspartnerinnen und -partnern zur Verfügung gestellt werden soll.


Artikel-Informationen

erstellt am:
11.07.2022

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