Verkehrskontrollen in Wolfenbüttel und auf der A7
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 14.03.2013; Fragestunde Nr. 14
Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordnete Thomas Adasch (CDU)
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Am Morgen des 4. März 2013 kam es laut einem Bericht der HAZ vom 5. März 2013 in Wolfenbüttel zu einer Verfolgungsjagd. Polizisten verfolgten einen 31-jährigen BMW-Fahrer, der sich einer Verkehrskontrolle entziehen wollte.
Nachdem der BMW-Fahrer eine Straßensperre umfahren hatte, verlor er an einer Tankstelle die Kontrolle über das Fahrzeug. Dieses erfasste auf dem Gehweg eine Spaziergängerin und ihren Hund, die in der Folge verstarben.
Einen Tag zuvor, am 3. März 2013 kam es bereits auf der A 7 zu einer Verfolgungsjagd. Von Walsrode bis nach Bockenem verfolgte die Polizei über eine Strecke von über 100 km einen 46-jährigen Fahrer. Laut Medienberichten, etwa im Hamburger Abendblatt vom 4. März 2013, konnte dieser nur nach „halsbrecherischen“ Aktionen gestoppt werden. Verletzte soll es hier nicht gegeben haben.
Ich frage die Landesregierung:
1. Wie stellen sich die Sachverhalte dieser Verfolgungsjagden konkret dar?
2. Wie beurteilt die Landesregierung diese Vorfälle und die Gefahren von Verfolgungsjagden?
Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Zur Beantwortung der vorliegenden Anfrage haben mir die Polizeidirektionen Braunschweig, Göttingen und Lüneburg berichtet. Diese Berichte sind Grundlage der nachstehenden Ausführungen.
Der Hintergrund für ein plötzliches Fluchtverhalten von motorisierten Verkehrsteilnehmern liegt regelmäßig in der Absicht, sich der Verantwortung für begangene Verkehrsordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu entziehen. Darüber hinaus können auch pathologische Ursachen bei Verkehrsteilnehmern ein entsprechendes Verhalten auslösen.
Verfolgungsfahrten sind Extremsituationen, die sich auf die psychische und physische Leistungsfähigkeit auswirken. Flüchtende Verkehrsteilnehmer zeigen in der Regel unter Missachtung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften ein für andere Verkehrsteilnehmer unvorhersehbares Verhalten. Dieses Verhalten führt in einer Vielzahl der Fälle zu erheblichen Gefahren- und Gefährdungssituationen auch für unbeteiligte Verkehrsteilnehmer. Der flüchtende Verkehrsteilnehmer verwirklicht dabei Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände.
Die Polizei hat den gesetzlichen Auftrag zur Gefahrenabwehr sowie zur Erforschung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Insofern kann von einer Verfolgung eines flüchtenden Verkehrsteilnehmers nicht von vornherein abgesehen werden. Die rechtlichen Grenzen einer solchen Verfolgung werden durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmt.
Der Vermeidung bzw. Reduzierung von Gefahrensituationen wird im Bereich der polizeilichen Aus- und Fortbildung eine besondere Bedeutung beigemessen. Während des Studiums an der Polizeiakademie Niedersachsen werden den Studierenden bereits grundlegende Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse für die spätere Verwendung im Polizeivollzugsdienst vermittelt. Die entsprechenden Trainingseinheiten werden insbesondere unter dem Aspekt der Gefahrenvermeidung sowie der Eigensicherung regelmäßig inhaltlich überarbeitet, aufeinander abgestimmt und an die aktuellen Herausforderungen des Polizeidienstes angepasst.
Darüber hinaus werden für die Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten Fortbildungsmaßnahmen in verschiedenen Trainingsfeldern angeboten. Dieses Angebot sieht u.a. ein zielgruppenorientiertes Fahrtraining mit verbindlich vorgegebenen Grund- und Mindeststandards vor. Die Zielrichtung des Fahrtrainings besteht in der Steigerung der Verkehrssicherheit und der Vermittlung von Handlungskompetenzen, insbesondere durch Erzeugung und Schärfung des Gefahrenbewusstseins, Erweiterung der Stressresistenz sowie Verbesserung der Fahrfertigkeiten. Diese Zielsetzung wird ergänzt durch effiziente Maßnahmen der Sensibilisierung, Förderung der realistischen Selbsteinschätzung und Schaffung eines hohen Verantwortungsbewusstseins für das eigene und fremde Verkehrsverhalten.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1:
Die Abläufe der in der Anfrage thematisierten Verfolgungsfahrten stellen sich wie folgt dar:
a) Verfolgungsfahrt am 03.03.2013
Mehrere Verkehrsteilnehmer meldeten der Polizei am 03.03.2013, gegen 15.10 Uhr, einen Verkehrsteilnehmer, der sein Fahrzeug auf der BAB 7 im Bereich Soltau in Fahrtrichtung Süden wiederholt auf dem linken Fahrstreifen bis zum Stillstand abbremsen würde. Das Fahrzeug des Verursachers wurde durch Polizeikräfte an der Anschlussstelle Bad Fallingbostel festgestellt und aus gefahrenabwehrrechtlichen sowie strafrechtlichen Gründen verfolgt. Das verkehrsgefährdende Verhalten konnte auch von den hinterherfahrenden Polizeibeamten durch verschiedene Verkehrsverstöße des Verursachers festgestellt werden.
Das unter Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten (Blaulicht und Einsatzhorn) folgende Polizeieinsatzfahrzeug wurde seitens des verursachenden Verkehrsteilnehmers nicht beachtet; Haltezeichen wurden ignoriert. Nachdem in einem dreistreifigen Bereich der BAB mehrere polizeiliche Anhalteversuche scheiterten, beschränkten die Polizeikräfte ihre Maßnahmen zunächst auf Schutzmaßnahmen für den allgemeinen Verkehr und folgten dem Fahrzeug in angemessenem Abstand. Die dabei gefahrene Geschwindigkeit bewegte sich zwischen 150 und 200 km/h.
Ein erneuter Anhalteversuch in Höhe der Tank- und Rastanlage Hildesheimer Börde scheiterte durch einen permanenten Fahrstreifenwechsel seitens des Verursachers; Anhaltezeichen wurden dabei auch weiterhin missachtet.
In einem folgenden Baustellenbereich ergab sich eine günstige Gelegenheit, einen erneuten Anhalteversuch durchzuführen. Vor dem Hintergrund der fest mit dem Untergrund verankerten baulichen Trennung der Richtungsfahrbahnen konnten Gefährdungssituationen für den Gegenverkehr weitgehend ausgeschlossen werden. Ein ausreichender Abstand des nachfolgenden Verkehrs wurde durch zusätzliche polizeiliche Maßnahmen gewährleistet. Der verursachende Fahrzeugführer konnte durch mehrere Polizeifahrzeuge zunächst zu einer deutlichen Verringerung der Geschwindigkeit und anschließend zum Anhalten des Fahrzeugs gezwungen werden. Der Verursacher wurde festgenommen.
b) Verfolgungsfahrt am 04.03.2013
Im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung im Phänomenbereich Diebstahl in Braunschweig folgte eine zivile Polizeistreife am 04.03.2013 zunächst verdeckt dem Fahrzeug eines Tatverdächtigen.
Im Bereich der BAB 39 bemerkte der Fahrzeugführer offensichtlich diese polizeiliche Maßnahme, beschleunigte sein Fahrzeug und verließ die Autobahn an der Anschlussstelle Salzgitter-Thiede. Das zivile Polizeifahrzeug folgte dem flüchtigen Fahrzeug unter Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten (Blaulicht und Einsatzhorn). Infolgedessen wurde das flüchtende Fahrzeug unter massiver Missachtung straßenverkehrsrechtlicher und strafrechtlicher Vorschriften außerorts auf bis zu 200 km/h beschleunigt.
Das Polizeifahrzeug folgte dem Tatverdächtigen in wechselnden Abständen über eine Distanz von etwa 17 Kilometern. In Wolfenbüttel wurden durch Polizeikräfte Sperrmaßnahmen im Bereich der Einmündung der Landesstraße 495 / Landesstraße 615 (Halchtersche Kreuzung) eingeleitet. Das flüchtende Fahrzeug bog dort mit hoher Geschwindigkeit in Richtung des Wolfenbütteler Ortsteiles Halchter ab.
Im Ortseingang Halchter ereignete sich unmittelbar darauf ein Verkehrsunfall. Nach vorliegenden Erkenntnissen der Tatort- bzw. Verkehrsunfallaufnahme erfasste das Fahrzeug des Tatverdächtigen eine Fußgängerin, die in Folge des Aufpralls tödlich verletzt wurde. Unmittelbar nach dem Verkehrsunfall versuchte der Tatverdächtige seine Flucht zu Fuß fortzusetzen, konnte aber nach kurzer Verfolgung durch Polizeikräfte festgenommen werden.
Bei der Staatsanwaltschaft in Braunschweig ist gegen den beschuldigten Fahrzeugführer ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen Mordes anhängig. Durch das Amtsgericht in Braunschweig wurde am 05.03.2013 Haftbefehl gegen ihn erlassen.
Ein Ermittlungsverfahren gegen die am Polizeieinsatz beteiligten Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten wird nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Braunschweig nicht eingeleitet, da die zwischenzeitlich erfolgte Prüfung keinen Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung ergeben hat.
Weitere Angaben sind vor dem Hintergrund des anhängigen Ermittlungsverfahrens gegenwärtig nicht möglich.
Zu Frage 2:
Siehe Vorbemerkungen.