Unterschiede in der Abschiebungspraxis der niedersächsischen Behörden zu denen der Behörden in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 07.12.2012; Fragestunde Nr. 57
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Adasch (CDU)
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Die Abschiebungspraxis der niedersächsischen Ausländerämter wird häufig als besonders rigide und unangemessen bezeichnet. Insbesondere wird dem niedersächsischen Innenminister, Herrn Uwe Schünemann, eine „harte Hand“ unterstellt, wie zuletzt in der Welt am Sonntag vom 18. November 2012 zu lesen war.
Vor diesem Hintergrund ist ein Vergleich mit Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg aufschlussreich, ob sich in diesen Ländern die Praxis der Abschiebung im Vergleich zu Niedersachsen unterscheidet. Dabei ist auch von Interesse, welche Landesregierungen mit sogenannten Wintererlassen Abschiebungen in der Winterzeit aussetzen.
Abschiebungen in die Republik Kosovo sind ebenfalls in der Diskussion. Eine Reise einer Delegation des Innenausschusses des Niedersächsischen Landtages kam zu dem Ergebnis, dass diese vertretbar seien. Eine Delegation des Petitionsausschuss des baden-württembergischen Landtages kam laut Schwäbischem Tagblatt vom 13. März 2012 bei einer Reise im Januar 2012 zu einem ähnlichen Ergebnis.
Ich frage die Landesregierung:
1. Gab es in den ersten neun Monaten des Jahres 2012 in Niedersachsen mehr Abschiebungen auf 100.000 Einwohner berechnet als in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen?
2. Gab es in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen in den letzten beiden Jahren sogenannte Wintererlasse oder sind solche dort derzeit geplant?
3. Beurteilt die Landesregierung Abschiebungen in die Republik Kosovo anders als die Landesregierungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Zwangsweise Rückführungen ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer stehen immer am Ende eines Verwaltungsverfahrens, in dem die zuständigen Behörden geprüft haben, ob den Antragstellern oder Asylsuchenden ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt werden kann. Die ablehnenden Entscheidungen der Behörden, durch welche die Ausreisepflicht begründet wird, sind regelmäßig verwaltungsgerichtlich überprüft und in den meisten Fällen auch in zweiter Instanz bestätigt worden.
Abschiebungen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer sind eine zwingende gesetzliche Rechtsfolge in den Fällen, in denen die Betreffenden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht selbstbestimmt unter Inanspruchnahme der finanziellen Rückkehrförderung nachkommen, obwohl sie damit die zwangsläufig mit einer Abschiebung verbundenen negativen Begleiterscheinungen verhindern könnten.
Abschiebungen erfolgen auf Grundlage des Aufenthaltsgesetzes. Es handelt es sich um ein Bundesgesetz, das für alle Länder gleichermaßen bindend ist und dessen Anwendung durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundes konkretisiert wurde. Der Gesetzgeber hat den vollziehenden Behörden in den Fällen zwangsweiser Aufenthaltsbeendigungen kein Ermessen eingeräumt, so dass die Vorgehensweise in allen Ländern gleich ist. Eine spezielle „niedersächsische Abschiebungspraxis“ gibt es daher nicht. Diese Rechtslage gilt für jede vollziehbar ausreisepflichtige Person in ganz Deutschland unabhängig vom Herkunftsstaat.
Ausnahmen von der Durchsetzung einer vollziehbaren Ausreiseverpflichtung durch eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung sind auf der Grundlage des § 60a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) möglich. Danach kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.
Bei diesen Abschiebungsstopps handelt es sich um ein Instrument der Krisenintervention, mit dem auf aktuelle unvorhersehbare Ereignisse im Herkunftsland reagiert werden kann. Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit geht der Anordnung eines Abschiebungsstopps ein Konsultationsverfahren mit dem Bundesministerium des Innern und den Ländern voraus. Die Anordnung von Abschiebungsstopps für eine Frist von mehr als sechs Monate bedarf der Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern.
Im Gegensatz zu asylrechtlichen Anerkennungen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Berücksichtigung der vom Auswärtigen Amtes erstellten Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage des jeweiligen Herkunftslandes in individuell- konkreten Einzelfällen gewähren kann und die für den Antragsteller die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts zur Folge haben, bleiben Personen, die unter einen Abschiebungsstopp fallen, geduldet und damit ausreisepflichtig.
Im Hinblick auf Rückführungen in die Republik Kosovo und die Situation in diesem Land decken sich die hier bekannten Ergebnisse über die Einschätzung der Delegationen aus Baden-Württemberg und Niedersachsen mit der des Auswärtigen Amtes.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1.:
Nein, in der Zeit vom 01.01.2012 bis 30.09.2012 sind aus Niedersachsen 412 Personen abgeschoben worden.
Die Gesamtzahl der Abschiebungen aus Baden-Württemberg beträgt 593 Personen und der aus Nordrhein-Westfalen 1516 Personen.
Das entspricht in Niedersachsen 5,2 Personen pro 100.000 Einwohner, in Baden-Württemberg 5,5 Personen pro 100.000 Einwohner und in Nordrhein-Westfalen 8,5 Personen pro 100.000 Einwohner.
Zu Frage 2.:
Abschiebungsstopps gemäß § 60a AufenthG für den Winter 2011/12 sind weder in Baden-Württemberg noch in Nordrhein-Westfalen erlassen worden. Ob für den kommenden Winter 2012/13 Abschiebungsstopps geplant sind, ist der Niedersächsischen Landesregierung nicht bekannt.
Zu Frage 3.:
Abschiebungen – auch in die Republik Kosovo – erfolgen auf der Grundlage geltenden Bundesrechts. Eine Bewertung dieser im Aufenthaltsgesetz normierten zwingend vorgeschriebenen Rechtsfolge in den Fällen, in denen vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nicht freiwillig zurückkehren erfolgt durch die niedersächsische Landesregierung nicht. Ob die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen diesbezügliche Bewertungen vornehmen, entzieht sich hiesiger Kenntnis.