Selbst ernannte „Bürgerwehren“ in Niedersachsen
Sitzung des Nds. Landtages am 18. Februar 2016; TOP 16 a) Dringliche Anfrage
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregie-
rung auf die Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wie folgt:
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
sehr geehrte Frau Piel,
die Landesregierung begrüßt und befürwortet grundsätzlich bürgerliches Engagement und Zivilcourage in Fragen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
Was unsere Polizeiarbeit nämlich wirklich unterstützt, sind aufmerksame Bürgerinnen und Bürger, die verdächtige Feststellungen melden und sich bei Straftaten als Zeugen zur Verfügung stellen. Bürgerwehren hingegen braucht niemand!
Insgesamt wird derzeit deutlich, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger Gedanken über die aktuelle Flüchtlingssituation und die daraus resultierenden Folgen für die Zukunft machen.
Das ist verständlich. Davon deutlich abzugrenzen ist aber, wenn es beteiligten Personen offensichtlich nicht um Hilfeleistungen, Unterstützungshandlungen und um konstruktive Lösungsansätze geht, sondern vielmehr darum, bestimmte Bevölkerungsgruppen und Flüchtlinge zu diskreditieren und zu verunglimpfen.
Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Tendenzen, die dieses Prinzip zu unterlaufen versuchen, müssen von uns sehr genau beobachtet werden.
Es ist bekannt, dass Rechtsextremisten versuchen, die in weiten Teilen der Bevölkerung spürbare Verunsicherung für die Verwirklichung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele zu nutzen.
Ziel ist es dabei, latent vorhandene Ängste vor Überfremdung in der Bevölkerung zu verstärken und für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren.
Diese Aktivitäten von Rechtsextremisten stehen im Fokus der Beobachtungen des Verfassungsschutzes.
Zu Frage 1:
Der Duden definiert das Wort „Bürgerwehr“ als „Gesamtheit der von Bürgern einer Gemeinde gebildeten bewaffneten Einheiten.“ Über die Bildung von sogenannten „Bürgerwehren“ als verfestigte organisierte Strukturen, gegebenenfalls auch mit Bewaffnung oder Uniformierung, liegen bei der Polizei in Niedersachsen keine Erkenntnisse vor.
Vereinzelte temporäre Zusammenschlüsse und Versuche, zu „Bürgerwehren“ aufzurufen, sind bekannt. Diese Gruppierungen sind nach hiesiger Einschätzung keine „Bürgerwehren“ im Sinne der Definition, sondern überwiegend Foren bei Facebook, in denen Bürgerwehren thematisiert werden.
Neben den in der Vorbemerkung benannten Bürgerwehren in Schwanewede, Hildesheim, Hameln und Braunschweig liegen Erkenntnisse zu 27 weiteren solcher Aufrufe oder loser Zusammenschlüsse vor.
Diese möchte ich Ihnen gerne aufgeteilt nach den Bezirken der Polizeidirektionen nennen:
Im Bezirk der Polizeidirektion Oldenburg:
• „Bürgerwehr WHV e.V.“ (öffentlich agierende Gruppierung)
• „Bürgerwehr Wilhelmshaven“
• „Bürgerwehr Vechta“, mittlerweile umbenannt in ‚Xxx haha xxx‘
• „Vechta Gegen Linke Gewalt“
• „Oldenburg wacht! / Bürger in Oldenburg (B.I.O.)“
• „Bürger aus der Mitte Oldenburg“
Im Bezirk der Polizeidirektion Lüneburg:
• „Bürgerwehr Uelzen“
• „Celle passt auf“
Im Bezirk der Polizeidirektion Osnabrück:
• „Aurich passt auf“
• „Bürgerwehr Aschendorf (LK EL)“
• „Nationaler Widerstand Spelle“
• „Bürgerwehr Grafschaft Bentheim / Nordhorn“, mittlerweile umbenannt in „Offene Augen der Grafschaft Bentheim“
• „Bürgerwehr Ostfriesland“
Im Bezirk der Polizeidirektion Hannover:
• „Bürgerwehr Hannover“
• „Hannover passt auf“ (2 Bürgerwehren mit identischem Namen)
• „Hannover passt auf“
• „Bürgerwehr Lehrte“
• „Hannoversche Nachbarschaftshilfe“
• „Hannover Bürgerwehr – wir schützen und helfen „Hannover
Im Bezirk der Polizeidirektion Braunschweig:
• „Gifhorn passt auf“
• „Bürgerwehr LK Goslar (Langelsheimer Bürgerwehr)“
Im Bezirk der Polizeidirektion Göttingen:
• „Hildesheimer diskutieren“
• „Nachbarschaftshilfe Hildesheim“
• „Sicherheit Göttingen - Bürgerinitiative – Bürgerstreife“
• „Bürgerwehr Weserbergland Gemeinschaft“
• „Initiative treues Weserbergland Gemeinschaft“
• „Anonymus Hameln Gemeinschaft“
Zu Frage 2:
Die in der Vorbemerkung dieser Dringlichen Anfrage genannten Ermittlungen gegen die Langelsheimer Bürgerwehr hat die Polizeidirektion Braunschweig bestätigt. Außerdem wurde gegen ein Mitglied der Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Hannover“ ein Ermittlungsverfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gem. § 111 StGB eingeleitet.
Gegen einen der insgesamt drei Administratoren der Facebookgruppe „Hannover passt auf“ wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Niedersächsische Versammlungsgesetz eingeleitet.
Zu Frage 3:
Nach den vorliegenden Informationen zeichnet sich diesbezüglich ein ambivalentes Bild ab.
Während bei einigen sogenannten Bürgerwehren keine Erkenntnisse über Kontakte zur rechtsextremistischen Szene vorliegen, sind bei anderen solche Verbindungen vorhanden. Diese sind sehr unterschiedlich ausgeprägt und reichen von Sympathiebekundungen in sozialen Netzwerken bis hin zu der aktiven Beteiligung an dieser Szene.