Nds. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen klar Logo

„Reichsbürger“ in Niedersachsen – Was passiert?

Rede von Innenminister Boris Pistorius zu TOP 20

zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 2. März 2017

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

in der Großen Anfrage der CDU-Fraktion geht es um das Phänomen der so genannten „Reichsbürger“ in Niedersachsen, um ihre Strukturen und das Gefährdungspotenzial, das von ihnen ausgeht. Um eines vorweg zu nehmen: ich finde es sehr wichtig, dass wir auch auf der parlamentarischen Ebene diese Bevölkerungsgruppe genau in den Blick nehmen und über sie debattieren, denn wir können und dürfen „Reichsbürger“ nicht einfach als weltfremde „Spinner“ mit einer völlig verqueren Weltanschauung abtun. Sie stellen eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar und speziell für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den staatlichen Institutionen. Das haben jüngste Gewalttaten und dabei besonders der furchtbare Angriff auf bayrische Polizistinnen und Polizisten im Oktober vergangenen Jahres gezeigt, bei dem ein Beamter getötet worden ist.

„Reichsbürger“ und diejenigen, die sich als „Selbstverwalter“ sehen, lehnen die Bundesrepublik Deutschland, deren Repräsentanten, das Grundgesetz und damit unsere freiheitliche demokratische Grundordnung rigoros und fundamental ab. Die Bundesrepublik wird als ein „Be-satzungskonstrukt“ verunglimpft, ihre Gesetze und Rechtsordnung für nicht verbindlich erklärt.

Allgemein stellen die „Reichsbürger“ keine einheitliche Bewegung dar. Sie setzen sich vielmehr aus unabhängig voneinander agierenden Einzelpersonen sowie Gruppierungen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden. Allen Erscheinungsformen ist jedoch eins gemein: Sie negieren die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und propagieren den Fortbestand des Deutschen Reiches, dessen Vertretungsrecht sie für sich selbst reklamieren. Mit Blick auf einen eigenen Regierungsanspruch werden dann oftmals eigene Funktionsposten wie „Reichskanzler“ oder „Reichsaußenminister“ kreiert. Anhand dieser Begriffe wird auch deutlich, dass viele „Reichsbürger“ rechtsextreme Positionen vertreten, die von Antisemitismus, Rassismus bis zu Revisionismus und der Leugnung des Holocaust geprägt sind. Das muss selbstverständlich strafrechtlich verfolgt werden und das wird es auch.

An die Stelle unserer Gesetze und rechtsstaatlichen Prinzipien legen die „Reichsbürger“ eigene Gesetze bzw. ein eigenes selbstbestimmtes Quasi-Naturrecht als verbindliche Rechtsordnung zugrunde. Dadurch, dass sie die Bundesrepublik Deutschland und unsere Institutionen ablehnen, kommt es zwangsläufig zu Problemen im Kontakt mit „Reichsbürgern“.

Sie ignorieren alle Schreiben, die einen amtlichen Charakter haben, wie Bescheide und Verwaltungsakte, Personalausweise und Führerscheine. Gleichzeitig überschwemmen die „Reichsbürger“ die Behörden oder Gerichte mit eigenen kruden E-Mails und Briefen. Und das ist die harmlosere Form ihres Widerstands.

Das von ihnen proklamierte „Naturrecht“ versuchen die „Reichsbürger“ teilweise durch Androhung und – wie schon erwähnt – auch durch Anwendung von Gewalt durchzusetzen. Es gibt derzeit in Niedersachsen kein Netzwerk von „Reichsbürgern“, das auf gewaltbefürwortenden oder gewaltbereiten Strukturen basiert. Aber einzelne Angriffe von „Reichsbürgern“ auf Polizeibeamtinnen und -beamten auch in Niedersachsen haben deutlich gemacht, dass Gewalt ein legitimes Mittel gegen Repräsentanten des von ihnen negierten Staates zu sein scheint.

Dieses erhebliche Maß an Renitenz und Gewaltbereitschaft gegenüber staatlichen Institutionen und Maßnahmen zeichnet die „Reichsbürger“ und Selbstverwalter aus. Gleichzeitig herrscht in der „Reichsbürgerszene“ eine hohe Affinität zu Waffen und einige von ihnen sind auch im Besitz verschiedener Waffenarten.

Diese Kombination ist höchst beunruhigend und stellt eine potenzielle Gefahr für den Staat und seine Repräsentanten dar. Daher sind wir als Politik gefordert, diese Menschen und die Allgemeinheit mit entsprechenden Maßnahmen zu schützen. Und wir haben im Innenministerium darauf reagiert. Wir haben mit einem Erlass deutlich gemacht, dass „Reichsbürger“ als „waffenrechtlich unzuverlässig“ gelten und waffenrechtliche Erlaubnisse zu versagen beziehungsweise aufzuheben sind. Dies führt im Ergebnis dazu, dass Reichsbürger nach Maßgabe des Waffenrechts ihre Waffen abgeben müssen. Die Waffenbehörden können dabei auch auf Erkenntnisse der Niedersächsischen Polizei und des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zurückgreifen.

Generell befinden sich die Polizei und der Verfassungsschutz zu den „Reichsbürgern“ in einem engen Austausch und stehen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern jeder Zeit als Ansprechpartner zur Verfügung.

Zudem haben wir als Landesregierung die Aufklärungsarbeit intensiviert und das Informationsangebot zum Thema „Reichsbürger“ ausgeweitet. Das Niedersächsische Justizministerium und der Verfassungsschutz beispielsweise führen hierzu seit letzter Woche gemeinsame Informationsveranstaltungen durch, die sich vor allem an Landesbedienstete aus dem Bereich der Justiz richten und große Resonanz erfahren. Hierfür liegen bereits ca. 1.000 Anmeldungen vor.

Wir nehmen als Landesregierung die sogenannte „Reichsbürgerbewegung“ sehr ernst! Durch die niedersächsischen Sicherheitsbehörden und die beteiligten Ressorts sind bereits die notwendigen Maßnahmen zum Umgang mit der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ eingeleitet worden; wir werden auch weiterhin unter Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten konsequent gegen die „Reichsbürger“ und ihre Bewegung vorgehen.

Vielen Dank!

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
02.03.2017

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln