Rede des Niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius zu TOP 40 in der 950. Sitzung des Bundesrates
„Entschließung für mehr Sicherheit im Straßenverkehr u. a. durch eine deutliche Erhöhung der Geldbußen in der Bußgeld-Katalog-Verordnung (BKatV)“
Gleiche Bußgelder für jeden sind sozial höchst ungerecht. Die Systematik der Bußgelder differenziert nicht ausreichend nach der Höhe des jeweiligen Einkommens. Die Wirksamkeit des Bußgeldsystems ist fragwürdig, weil jemanden mit geringerem Einkommen dasselbe Bußgeld nun einmal sehr viel härter trifft als jemanden mit einem deutlich höheren Einkommen. Das hat gleichzeitig eine mangelhafte abschreckende Wirkung und eine zunehmende soziale Ungleichheit zur Folge. Bußgelder sollten deswegen einkommensabhängig ausgestaltet sein. Wir sollten das Bußgeldsystem ähnlich wie das Tagessatzsystem im Strafrecht gestalten. Kaum jemand würde daran zweifeln, dass es sich hier nicht bewährt hat.
Rund dreieinhalb Millionen Menschen in Deutschland verdienen unter 1000 Euro im Monat - etwas mehr als vier Millionen Menschen verdienen dagegen mindestens vier Mal so viel - und teils sogar deutlich mehr. Da ist es kein Wunder, dass das pauschale Bußgeldsystem, was wir im Moment haben, dazu führt, dass die Sanktionen im Straßenverkehr nicht effektiv wirken können, weil sie eben nicht auf die ausreichende Akzeptanz stoßen. Denn natürlich ist es ungerecht, wenn das Bußgeld für zu schnelles Fahren sich für einen leitenden Angestellten anfühlt wie Peanuts, während die Verkäuferin nach dem gleichen Vergehen einen Monat länger damit wartet, sich ein dringend benötigtes Kleidungsstück zu kaufen, obwohl sie sie dringend bräuchte. Das hat eine völlig ungleiche Wirkung und kann gar nicht auf ausreichende Akzeptanz stoßen.
Gerade in dem sehr sensiblen Bereich der Verkehrsvergehen sprechen darüber hinaus Zahlen eine sehr deutliche Sprache. In 2015 kamen bundesweit 3.459 Menschen auf den Straßen ums Leben, das sind fast 10 Menschenleben - an jedem einzelnen Tag des Jahres. Die Hauptursache dafür ist nachweislich überhöhte Geschwindigkeit im Straßenverkehr, oder um es einfacher zu formulieren: sinnlose Raserei! Viele Opfer waren unbeteiligt und schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort. Es geht um Menschenleben, deswegen halte ich es für wichtig und notwendig, mit geeigneten Maßnahmen gegenzusteuern.
Ich halte es für erforderlich, dass die Regelgeldbußen, insbesondere für besonders gefährliche Verstöße, deutlich erhöht werden, da sie kaum abschreckende Wirkung entfalten. Wenn ein Autofahrer 30, 40 oder noch mehr Kilometer pro Stunde zu schnell unterwegs ist, dann finde ich es mehr als gerechtfertigt, dass Strafen je nach Verdienst bis zu 1.000 Euro oder mehr betragen.
Kritiker sagen, höhere Bußgelder seien unverhältnismäßig. Ich sage: Nur pauschale Bußgelder sind sozial ungerecht.
Der entscheidende Punkt ist: Ein Bußgeld soll eben ja nicht nur bestrafen. Es hat vor allem den Zweck, das Verhalten zu ändern.
Ein Beispiel: In Österreich klappt das Bilden von Rettungsgassen deutlich reibungsloser als bei uns. Die Gasse bildet sich dort bereits in dem Moment, in dem ein Stau entsteht und nicht erst, wenn der Alarm des Rettungswagens zu hören ist. In Deutschland ist das - wie wir alle wissen – in den allermeisten Fällen nicht der Fall. Das ist gefährlich, vor allem weil die Sanitäter und Ersthelfer dadurch möglicherweise nicht so schnell helfen können, wie es nötig wäre: Gerade bei schweren Unfällen können doch bereits wenige Sekunden entscheidend sein. Wer in Österreich eine Rettungsgasse blockiert, dem droht ein Bußgeld von über 1000 Euro. In Deutschland kostet dieser Verstoß 20 Euro.
Ziel der Entschließung ist es daher, eine deutliche und für den Betroffenen spürbare Anhebung der Geldbußen in den genannten besonders gefährlichen und gefährdenden Situationen zu erreichen.
Und wir brauchen eine Lösung dafür, dass die Wirkung einer Geldbuße für das gleiche Verhalten durch die Koppelung an das Einkommen auch eine vergleichbare Wirkung hat. Das schafft Gerechtigkeit, Akzeptanz für die einzuhaltenden Regeln und damit deren Einhaltung und damit mehr Sicherheit.
Lassen Sie uns dieses sensible Thema, bei dem es um Leben und Tod gehen kann, gemeinsam voranbringen. Wenn es Maßnahmen gibt, die die Unfallzahlen wirksam sinken lassen, dann sehe ich es als unsere Pflicht an, diese Maßnahmen auch zu ergreifen. Dies trifft auf eine Überarbeitung unseres bestehenden Bußgeldsystems gerade im Vergleich mit europäischen Nachbarländern zu, auch wenn das für manchen eine unbequeme Wahrheit sein mag.
Vielen Dank!