Nds. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen klar Logo

Präventionsarbeit gegen Islamismus

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13.12.2013; Fragestunde Nr. 75

Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten

Rudolf Götz, Angelika Jahns, Ansgar Focke und Thomas Adasch (CDU).

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Am 25. November 2013 berichteten Braunschweiger Zeitung und Nordwest-Zeitung, dass es seit dem Wechsel der Landesregierung kein Konzept mehr zum Kampf gegen islamistischen Extremismus gebe. Der Grund sei, dass der Innenminister, Boris Pistorius, den Antiradikalisierungskurs seines Vorgängers in den Papierkorb verwiesen hätte. Der rundblick vom 26. November 2013 schreibt, dass die Extremismus-Prävention seit dem Regierungswechsel praktisch zum Erliegen gekommen sei.

Die Arbeit der Niedersächsischen Extremismusinformationsstelle (NEIS) ist bereits seit Frühjahr 2013 offiziell eingestellt.

Nicht nur dem Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern auch dem Niedersächsischen Verfassungsschutz macht die wachsende Zahl von Islamisten Sorgen, die aus Deutschland in Krisenländer wie Syrien aufbrechen und teilweise mit Kampferfahrungen zurückkehren. Wenn sie die dortige „Kampfausbildung“ überlebten, trügen die Islamisten in Deutschland zur Radikalisierung von Muslimen bei und würben Konvertiten für den „Heiligen Krieg“ an, schreibt der rundblick. Die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, sagte gegenüber dpa vom 25. November 2013:“Was wir bundesweit feststellen, ist, dass die Zahl derjenigen, die von hier aufbrechen in die Krisengebiete, deutlich gestiegen ist. Wenn (die Islamisten) zurückkehren, können sie gefährlich sein, wenn sie versuchen, andere zu rekrutieren“.

Diese Aussagen werden vom Verfassungsschutzbericht 2012 gestützt. Als „Reiseziele“ werden Afghanistan, Ägypten, Pakistan und Somalia aufgezählt. Den Sicherheitsbehörden des Bundes liegen Informationen zu ca. 230 Personen vor, die entweder deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund oder Staatsangehörige anderer Länder mit zeitweisem Aufenthalt in Deutschland seien. Bei ca. 110 Personen gibt es konkrete Hinweise, dass sie eine paramilitärische Ausbildung erhielten oder an Kampfhandlungen in Krisenländern wie Syrien teilgenommen hätten. Mehr als die Hälfte davon sollen sich wieder in Deutschland aufhalten.

In Europa und Nordamerika belegen mehrere Anschläge, dass sich auch in den westlichen Ländern geborene bzw. aufgewachsene Muslime radikalisieren, und dass Konvertiten für den „Heiligen Krieg“ angeworben würden.

In Kenntnis dieser Gefahr unterlassen es gegenwärtig der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, und die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, Maßnahmen gegen die Radikalisierung von Muslimen und das Anwerben von Konvertiten für den „Heiligen Krieg“ zu ergreifen. Dies räumt der Innenminister in seinem Vorwort zum Verfassungsschutzbericht 2012 offen ein, wenn er die große Gefahr durch Islamismus beschreibt und zugleich die Einstellung der Präventionsarbeit rechtfertigt.

Die Landesregierung möchte laut der zitierten Berichterstattung zu einem späteren Zeitpunkt die Islamismus-Prävention an die muslimischen Verbände auslagern und dies in einem Staatsvertrag regeln.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wann wird es in Niedersachsen wieder eine effektive Präventionsarbeit gegen Islamismus geben, und wie soll diese ausgestaltet werden?

2. An welche Verbände wird die Landesregierung die Präventionsarbeit gegen andere Extremismusformen übertragen, wenn die Landesregierung dies bei Islamismus für sinnvoll erachtet?

3. Wird der Innenminister auch weiterhin die politische Verantwortung für die Präventionsarbeit gegen Islamismus tragen, wenn zukünftig diese ausschließlich von Verbänden getragen wird? Und wenn nein, wer dann?

Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:

Die Landesregierung teilt die Ansicht der Sicherheitsbehörden, wonach deutsche Interessen im In- und Ausland erklärtes Ziel jihadistisch motivierter Gewalt darstellen. Somit besteht auch für Niedersachsen weiterhin eine hohe abstrakte Gefährdung, die sich jederzeit in Form von sicherheitsrelevanten Ereignissen bis hin zu Anschlägen konkretisieren kann. Der islamistische Terrorismus stellt eine anhaltende Bedrohung dar.

Nach Ansicht der Landesregierung besteht eine Gefährdung durch jihadistisch orientierte Organisationen weiterhin fort. Zunehmend an Relevanz gewinnt jedoch die Bedrohung durch organisationsungebundene Einzeltäter und Kleinstgruppen. So erschoss am 02.03.2011 der aus dem Kosovo stammende, in Deutschland aufgewachsene Arid Uka zwei Soldaten der US-Streitkräfte am Flughafen Frankfurt am Main. Zum ersten Mal wurden damit bei einem islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland Menschen getötet. Weitere aktuelle Anschläge und Anschlagsversuche gegen Ziele in westlichen Staaten, auch in der Bundesrepublik, durch Einzeltäter zeigen, dass die Strategie des „individuellen Jihads“ an Bedeutung stetig zunimmt. So unterstreichen die verwirklichten Anschläge in Boston (April 2013) und London bzw. Paris (jeweils Mai 2013) sowie der mutmaßlich jihadistisch motivierte, gescheiterte Anschlag am Bonner Hauptbahnhof (Dezember 2012) und der vereitelte Anschlag gegen islamkritische Politiker in Nordrhein-Westfalen (März 2013) eindringlich die von radikalisierten Einzeltätern und Kleinstgruppen ausgehende terroristische Bedrohungslage – unabhängig davon, ob es sich bei diesen um Rückkehrer aus terroristischen Ausbildungslagern oder um selbstradikalisierte Täter ohne Organisationsanbindung handelt.

Eine besondere Bedeutung für die islamistische Szene nimmt seit 2011 der Konflikt in Syrien ein. In islamistisch beeinflussten Moscheen auch in Niedersachsen wird der syrische Konflikt angesprochen. Diese Thematisierung und eine intensive islamistische Propaganda führten dazu, dass mittlerweile bundesweit Erkenntnisse zu mehr als 240 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vorliegen, die in Richtung Syrien ausgereist sind, um dort beispielsweise an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Widerstand gegen das Assad-Regime in sonstiger Weise zu unterstützen. Von diesen Personen sind bereits einige Personen wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen allerdings keine Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen vor Ort beteiligt haben. Die Landesregierung unterstützt die Sicherheitsbehörden in deren Bestreben, auf diese Rückkehrer ein besonderes Augenmerk zu richten.

Der Verfassungsschutzbericht 2012 wird in der Mündlichen Anfrage in Bezug auf die Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden über die Teilnahme an Kampfhandlungen in Krisenländern nicht korrekt zitiert. Hierbei handelt es sich um weitere 230 Personen, die u. a. nach Afghanistan, Ägypten, Pakistan und Somalia, aber nicht nach Syrien, ausgereist sind. Die im Weiteren genannten 110 Personen haben ihre Erfahrungen in anderen Krisenregionen als Syrien erworben. Der Verfassungsschutzbericht 2012 enthält diesbezüglich keine Aussage zu Syrien.

Der Niedersächsische Innenminister hat im Rahmen der Vorstellung des Niedersächsischen Verfassungsschutzberichtes 2012 am 24.04.2013 Folgendes angekündigt: „Das von der Vorgängerregierung beschlossene ‚Handlungskonzept zur Antiradikalisierung und Prävention im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus’, das unter Federführung des Verfassungsschutzes konzipiert wurde, wird eingestellt. Die in den Medien häufig als ‚Checkliste’ bezeichnete Radikalisierungsbroschüre wird ebenfalls nicht mehr verbreitet. ‚Salafistische und islamistische Bestrebungen wird der Verfassungsschutz weiterhin aufmerksam beobachten. Für Maßnahmen zur Deradikalisierung aber ist der Verfassungsschutz nicht die geeignete Behörde’.“[1] Fortgeführt werden die erfolgreichen von der Polizei mit den muslimischen Moscheegemeinden geführten Gespräche.

Das Handlungskonzept hat insgesamt zu unzulässigen pauschalen Verdächtigungen gegen den Islam und hier lebende Muslime geführt. Die Einstellung des Handlungskonzeptes vermeidet, dass Muslime durch Maßnahmen der Sicherheitsbehörden unter Generalverdacht gestellt werden. Mit der Einstellung besteht die Möglichkeit, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und die im Zusammenhang mit dem Antiradikalisierungskonzept entstandenen Missverständnisse auszuräumen.

Dieses wurde den muslimischen Verbänden Schura Niedersachsen und Ditib Landesverband Niedersachsen – Bremen in einem persönlichen Schreiben des Ministers mitgeteilt.

In ihrem Statement zu den neuen Herausforderungen des Verfassungsschutzes im Rahmen des Symposiums „Rechtsextremismus im Wandel“ am 12.06.2013 hat die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zur Prävention ausgeführt: „Bei der Prävention wird der Niedersächsische Verfassungsschutz fortan wichtige Impulse setzen in der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Behörden. Er wird mit sich mit seiner fachlichen Expertise als Input-Geber an der Prävention beteiligen. Dies gilt für die wichtigen Herausforderungen der Präventionsmaßnahmen gegen Rechtsextremismus, die in einem Landesprogramm gebündelt werden. An der Erarbeitung dieses ressortübergreifenden Landesprogramms wird sich der Niedersächsische Verfassungsschutz aktiv beteiligen. Dies gilt aber auch für den Bereich der Radikalisierung von Jugendlichen im islamistischen Umfeld. Auch hier wird der Niedersächsische Verfassungsschutz seine Expertise in den Dienst der Sache stellen und anderen Kooperationspartnern bei der Aufklärung und Bewertung zur Seite stehen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz versteht sich als Partner im Bereich der Prävention, dessen Erkenntnisse dem gesamtgesellschaftlichen Bemühen um Bekämpfung des Extremismus zugute kommen werden. Denn die Kernaufgabe des Verfassungsschutzes bleibt die Analyse und Bewertung extremistischer Phänomene.“

Unzutreffend ist die Aussage dieser Mündlichen Anfrage, dass Innenminister Pistorius es unterlassen habe, in Kenntnis der Gefahr Maßnahmen gegen die Radikalisierung von Muslimen und das Anwerben von Konvertiten für den ‚Heiligen Krieg’ zu ergreifen.

Die Landesregierung hat am 10.12.2013 eine Vorlage zur Prävention im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus in Niedersachsen beschlossen. Die Vorlage hat u. a. folgende Punkte zum Gegenstand:

1. die Fortsetzung der Konzepte und Maßnahmen zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Niedersachsen durch die Polizei.

2. das Festhalten an der von der Polizei zur Verwirklichung des ganzheitlichen Ansatzes zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus bestehenden Kooperation / Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen der Justiz, Ausländerbehörden, Einbürgerungs-, Sozial- und Verwaltungsbehörden.

3. das Angebot des Verfassungsschutzes, auf Anfrage für Informationen zur Aufklärung der Öffentlichkeit über Hintergründe, Entstehung und Gefahren des Islamismus und Salafismus zur Verfügung zu stehen.

4. die Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen sozialen Arbeitsstelle, die Jugendliche, insbesondere aus dem Bereich der muslimischen Jugendlichen, vor einer Radikalisierung durch islamistische Einflüsse bewahren soll, auf Basis eines vom Sozialministerium gemeinsam mit den Verbänden zu erarbeitenden Konzepts

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.

Die Einstellung des Handlungskonzeptes Antiradikalisierung der Vorgängerregierung hat nicht zu einem Erliegen der Präventionsarbeit gegen Islamismus geführt, sondern wird selbstverständlich fortgeführt. So wurde der Verfassungsschutz seitdem für Vorträge zur Aufklärung über den Islamismus und Salafismus angefragt und konnte damit für die Gefahren dieser Phänomene sensibilisieren.

Darüber hinaus steht auch die Niedersächsische Polizei seit mehreren Jahren bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Kooperation mit dem Verfassungsschutz und weiteren öffentlichen Einrichtungen, u. a. Justiz, Ausländerbehörden, Einbürgerungsbehörden. Die zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Niedersachsen seit vielen Jahren aufgebauten vielfältigen und engen Kontakte zwischen den Ansprechpartnern der Niedersächsischen Polizei und muslimischen Einrichtungen/Personen haben sich bewährt. Sie werden auch mit der präventiven Zielrichtung fortgeführt, das aufgebaute Vertrauensverhältnis zu intensivieren, um gemeinsam islamistischen Einflüssen und Radikalisierungstendenzen entgegenwirken zu können.

Im Übrigen verweise ich auf die Vorbemerkungen.

Zu 2.

Die Präventionsarbeit der Landesregierung gegen Extremismus wird nicht an muslimische Verbände oder andere zivilgesellschaftliche Akteure übertragen. Wohl aber sollen insbesondere die muslimischen Verbände (u. a. DITIB Landesverband Niedersachsen-Bremen und Schura Niedersachsen) in die Erarbeitung eines mit dem Sozialministerium gemeinsam zu erstellenden Konzeptes für die Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen sozialen Arbeitsstelle, die Jugendliche, insbesondere aus dem Bereich der muslimischen Jugendlichen, vor einer Radikalisierung durch islamistische Einflüsse bewahren soll, eingebunden werden. Für eine wirksame Prävention ist eine Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden unerlässlich. Für eine fachliche Begleitung oder Beratung der Arbeitsstelle stehen die niedersächsischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung und wirken insoweit an Präventionsmaßnahmen mit.

Die zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Niedersachsen seit vielen Jahren aufgebauten vielfältigen und engen Kontakte zwischen den Ansprechpartnern der Niedersächsischen Polizei und muslimischen Einrichtungen/Personen haben sich bewährt. Sie werden auch mit der präventiven Zielrichtung fortgeführt, das aufgebaute Vertrauensverhältnis zu intensivieren, um gemeinsam islamistischen Einflüssen und Radikalisierungstendenzen entgegenwirken zu können. Innenminister Pistorius hat bereits bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2012 im Frühjahr 2013 betont, dass vor dem Hintergrund der multikausalen Zusammenhänge für Radikalisierung und des Erfordernisses eines interdisziplinären Ansatzes für konkrete Maßnahmen zur Deradikalisierung der Verfassungsschutz nicht allein die geeignete Behörde sei. Wie in vielen anderen Ländern auch, soll der Verfassungsschutz vielmehr als fachlicher Input-Geber mit seinen Erkenntnissen über die Gefahren des Islamismus aktiv an Präventionskonzepten beteiligt werden.

Zu 3.

Prävention ist grundsätzlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Insofern können alle gesellschaftlichen Gruppen eigenständig Prävention gegen jegliche Art von Extremismus betreiben. Die politische Verantwortung für die vom Innenministerium getragene Präventionsarbeit gegen Islamismus wird der Innenminister weiterhin tragen. Das schließt eigene weitere Präventionsmaßnahmen von Verbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren, aber auch anderen Ressorts, nicht aus. Eine Abstimmung und Koordination der Maßnahmen der Landesregierung mit denen anderer Präventionsträger ist jedoch vorgesehen.

Das Innenministerium sieht sich weiterhin dem von der 191. IMK beschlossenen ganzheitlichen Präventionsansatz gegen den islamistischen Terrorismus verpflichtet. Die Landesregierung ist bestrebt, entsprechend dem Beschluss zu TOP 21 der 193. IMK im Bereich der Islamismusprävention eine ressortübergreifende Koordinierung vorzunehmen. Es ist beabsichtigt, die Thematik in den IMAK Migration und Teilhabe einzubringen, der als künftige koordinierende Stelle fungieren könnte.

[1] Zitiert aus Presseinformation 044 des Niedersächsischen Ministers für Inneres und Sport vom 24.04.2013.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
16.12.2013

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln