Neue Wattführerverordnung (NWattFVO) - Teil 2
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13.12.2013; Fragestunde Nr. 14
Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten
Thomas Schremmer (GRÜNE) und Uwe Santjer (SPD).
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Die Cuxhavener Nachrichten vom 7. November 2013 berichten über „Hürden auf dem Weg ins Watt“. Hintergrund ist eine neue Wattführerverordnung, die seit dem 1. September 2013 in Kraft ist. Die Zeitung schreibt: „Die NWattFVO sorgt für beträchtliche Unruhe unter den mehrheitlich nebenberuflich arbeitenden Wattführern. Stein des Anstoßes ist vor allem die verbindlich vorgeschriebene Prüfung, in deren Rahmen die Tourenleiter nachweisen sollen, ob sie mit den naturräumlichen Besonderheiten des Wattenmeers und dem Streckenverlauf vertraut sind und darüber hinaus wissen, wie man sich in Gefahrensituationen richtig verhält. (…) Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch die finanzielle Seite: Eine Gebühr von 500 Euro wird pro Prüfung fällig.“ Zudem würde durch die Mehrkosten die Zukunft des Projekts „Blaues Klassenzimmer“ gefährdet.
Die niedersächsische Küste ist sehr vielfältig. Das gilt auch für die Beschaffenheit der vorgelagerten Wattflächen und die dort jeweilig vorhandenen Gefahrenlagen. Entsprechend differenziert sind die Anforderungen an Qualifikation und Ausstattung von Wattführern zu sehen.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie geht die Landesregierung mit der Kritik der Betroffenen um?
2. Wie wurde die Stadt Cuxhaven in das Verfahren zur NWattFVO eingebunden?
3. Ist die Landesregierung offen für Veränderungen der NWattFVO, z. B. in Bezug auf Differenzierungen in strandnahe Wattführungen und Wanderungen in entlegene Wattbereiche?
Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Die niedersächsische Nordseeküste ist ein vielbesuchtes Tourismusgebiet, in dem nicht zuletzt auch an dem Naturraum Wattenmeer ein erhebliches Interesse besteht. Wattwanderungen gehören zu den fest etablierten Attraktionen.
Das Wattenmeer ist jedoch nicht nur idyllische Landschaft, sondern birgt erhebliche Gefahren, die für unkundige Besucher kaum einzuschätzen sind. Im gesamten Bereich des Wattenmeeres – sowohl im küstennahen Watt als auch auf den Flächen zwischen Festland und den Inseln – können ortsunkundige Wattwanderer oder Wattwanderinnen in lebensbedrohliche Situationen geraten. So droht ein Einsinken in ehemalige Baggerlöcher und Schlickfelder, die sich auch in unmittelbarer Nähe der Küstenlinie befinden können. Eine Befreiung ist dann nur noch mit fachkundiger Hilfe möglich. Als hochdynamischer Naturraum unterliegt das Wattenmeer ständigen Veränderungen, die z. B. zu einer kurzfristigen Verlagerung von Prielen führen können. Damit verändern sich auch die begehbaren Routen ständig. Die zu erwartenden Wasserstände hängen von den Witterungsverhältnissen und Gegebenheiten wie Nipp- und Springtiden ab. Bei auflaufendem Wasser können Priele, die sich teilweise mit hohen Strömungsgeschwindigkeiten sehr schnell mit Wasser füllen, den Rückweg zum Festland oder zur Insel abschneiden. Plötzlich aufkommender Seenebel, Regen oder Hagel können zu Orientierungsverlust führen. Besondere Gefahren entstehen auch im Falle eines Gewitters.
Es ist daher erforderlich, den Besuchergruppen im Wattenmeer ortskundige und qualifizierte Wattführer oder Wattführerinnen zur Seite zu stellen.
Im Gebiet des niedersächsischen Wattenmeeres ist durch Verordnung vom 13.12.1985 ein Nationalpark errichtet worden (der heute auf dem Gesetz über den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ [NWattNPG] vom 11.07.2001 beruht), um die besondere Eigenart der Natur und Landschaft der Wattregion zu erhalten und vor Beeinträchtigungen zu schützen. Das Gesetz enthält hierzu umfassende naturschutzrechtliche Regelungen. Das deutsch / niederländische Wattenmeer wurde 2009 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Ein wirksamer Schutz und die Einhaltung der Vorschriften wird durch eine sachkundige Führung der Besuchergruppen unterstützt.
Die Niedersächsische Verordnung über Führungen auf Wattflächen (NWattFVO) vom 19.08.2013 (Nds. GVBl. S. 209) ersetzt die Verordnung über die Genehmigungspflicht für Führungen auf den Wattflächen der ehemaligen Bezirksregierung Weser-Ems. Sie gilt jedoch für das gesamte Niedersächsische Wattenmeer, d. h. auch für die Gebiete der ehemaligen Bezirksregierung Lüneburg.
Auch in diesen Gebieten besteht sowohl im Hinblick auf die beschriebenen Gefahren für Leib und Leben der Besucher als auch im Hinblick auf die Einhaltung des Naturschutzrechts im Wesentlichen die gleiche Gefährdungslage wie im Gebiet der ehemaligen Bezirksregierung Weser-Ems.
Aus diesem Grund haben auch verschiedene Fachverbände und Institutionen im Rahmen der Verbandsbeteiligung dringend davon abgeraten, bestimmte Gebiete oder Strecken von der Genehmigungspflicht auszunehmen.
Wie bereits auf der Grundlage der Verordnung über die Genehmigungspflicht für Führungen auf den Wattflächen der ehemaligen Bezirksregierung Weser-Ems sind für die Durchführung der Prüfung und die Erteilung der Genehmigung Kosten zu erheben. Die Gebührenordnung sieht hierfür einen Gebührenrahmen vor, der von 200,- € bis 500,- € reicht. Für die innerhalb dieses Rahmens im Einzelfall festzusetzende Gebühr spielen unter anderem das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers und die beantragte Genehmigungsdauer – längstens 6 Jahre – eine Rolle.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.
Anregungen und Bedenken der Betroffenen werden von der Landesregierung im Rahmen der Abwägung geprüft und soweit wie möglich berücksichtigt. Allerdings stehen auch unter Berücksichtigung der geäußerten Kritik der Schutz der geführten Personen und des Naturraumes im Vordergrund.
Von den Regelungen der NWattFVO sind sämtliche Wattführerinnen und Wattführer in Niedersachsen betroffen, darunter auch viele Bildungseinrichtungen, die Kinder und Erwachsene über den besonderen Lebensraum Wattenmeer informieren. Wegen der besonderen Gefahrensituationen für ortsunkundige Personen im Watt ist es unumgänglich, dass Personen, die andere ins Watt führen, zuvor ihr Wissen über das Verhalten in Gefahrensituationen wie auch ihre Kenntnisse über die naturräumlichen Besonderheiten des Gebietes nachweisen.
Es wird jedoch geprüft, ob eine Ausnahmeregelung für strandnahe Veranstaltungen in die Verordnung aufgenommen werden kann.
Zu 2.
§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Landesregierung und der Ministerien in Niedersachsen (GGO) schreibt eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände in Rechtsetzungsverfahren vor, soweit kommunale Belange berührt sind. Dementsprechend ist im Rahmen der Verbandsanhörung der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Inwieweit von dieser die betroffenen Kommunen beteiligt worden sind, entzieht sich der Kenntnis der Landesregierung.
Zu 3.
Eine generelle Differenzierung in strandnahe Wattführungen und Wattführungen in entferntere Gebiete findet seinen Niederschlag in den jeweiligen Prüfungsanforderungen; auf eine Prüfungspflicht für ausschließlich in strandnahen Bereichen tätige Wattführerinnen und Wattführer kann jedoch wegen der auch dort bestehenden Gefahren nicht verzichtet werden. Generell müssen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Wattführung darauf vertrauen können, dass Wattführerinnen und Wattführer auch bei plötzlich umschlagendem Wetter jederzeit die Orientierung behalten, Rettungswege und Kontaktpersonen für externe Hilfe kennen und mit den möglichen Herausforderungen vertraut sind. Dies gilt umso mehr, wenn Eltern ihre Kinder einer Wattführerin oder einem Wattführer anvertrauen. Die Landesregierung wird prüfen, wie insbesondere zu Beginn einer Saison spezielle Kursangebote für Wattführerinnen und Wattführer kostengünstig angeboten werden können, um alle gewünschten Führungen durchführen zu können.