MOX-Transporte LK Wesermarsch
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 09.11.2012; Fragestunde Nr. 5
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Ina Korter und Helge Limburg (GRÜNE)
Die Abgeordneten hatten gefragt:
„Minister wittert Geheimnisverrat“ überschrieb die Nordwestzeitung (NWZ) vom 29. September 2012 ihre Berichterstattung aus dem Landtag. „Vorwurf: Landrat verrät MOX-Termin“ titelte die Kreiszeitung Wesermarsch am gleichen Tag und berichtete zudem wörtlich über Vorwürfe des CDU-Fraktionsvorsitzenden Björn Thümler: „Landrat Höbrink hat schlicht die Unwahrheit gesagt, als er angab, er sei von den Landesbehörden nicht unterrichtet worden.“
„Ermittlungen gegen Landrat nach MOX-Transport“ titelte kurz danach am 4. Oktober 2012 die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Nach kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit und im Landtag zum Transport von MOX-Brennelementen aus dem britischen Sellafield über den privaten Midgard-Hafen in Nordenham (Kreis Wesermarsch) zum Einsatz im niedersächsischen AKW Grohnde gehe die Polizei jetzt gegen den Landrat des Landkreises Wesermarsch vor. In Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft werde gegen Landrat Michael Höbrink wegen möglichen Geheimnisverrats ermittelt, weil er angeblich vertrauliche Informationen über die MOX-Transporte der Presse zugänglich gemacht haben soll, berichtet die Zeitung weiter.
Landrat Höbrink hatte gegenüber der Presse und im Kreistag am 1. Oktober 2012 dazu ausgeführt, dass er im Vorfeld der MOX-Transporte nicht durch Vertreterinnen und Vertreter von Polizeibehörden oder der Landesregierung über Details informiert worden sei, so dass er keine intensiven Vorkehrungen für den Katastrophenschutz habe treffen können. Er habe keine vertraulichen Informationen an die Presse gegeben, sondern lediglich die sehr allgemeine Mitteilung von E.ON darüber, dass zwei MOX-Transporte im September und im November über Nordenham geplant seien, an die Kreistagsfraktionsspitzen weitergegeben.
Innenminister Schünemann hatte nach Meinung von Fachleuten ohne vorherige Rücksprache mit dem Wesermarsch-Landrat in der Landtagssitzung am 28. September 2012 im Rahmen der parlamentarischen Fragestunde Landrat Michael Höbrink eines möglichen Geheimnisverrats verdächtigt. Er hatte erklärt, er werde sich das Verhalten Höbrinks dienstrechtlich anschauen und so nach Auffassung von Beobachterinnen und Beobachtern zu einer öffentlichen Vorverurteilung beigetragen. In der Wesermarsch-Kreistagssitzung vom 1. Oktober 2012 hatte CDU-Kreistagsfraktionschef Beck Presseberichten zufolge dem Landrat vorgehalten, er sei durch den Polizeivizepräsidenten Buskohl am 2. August 2012 über Details der MOX-Transporte informiert worden, und sich, wie die NWZ berichtet, dabei auf Vermerke des Polizeivizepräsidenten bezogen, die in der Zeitung wörtlich wiedergegeben wurden: „In dem von mir ausdrücklich als vertraulich eingestuften Gespräch habe ich den Landrat auch in seiner Funktion als Behördenleiter über den Transporttermin, die Transportabwicklung über den Hafen Nordenham und den weiteren Straßentransport bis nach Grohnde informiert.“ So die NWZ, 2. Oktober 2012, Seite 33.
Bereits in einer Sondersitzung von Wesermarsch-Kreistag und Rat der Stadt Nordenham am 17. September 2012 im Kreishaus in Brake war von CDU-Kreistagsmitgliedern die Frage gestellt worden, ob es richtig sei, dass auch der Polizeipräsident den Landrat vorab informiert habe.
Vor dem Hintergrund, dass die Verdächtigungen, der Wesermarsch-Landrat habe möglicherweise vertrauliche Informationen an die Presse weitergegeben, erstmalig vom Innenminister am 28. September 2012 öffentlich im Landtag geäußert wurden, wird von Beobachtern in der Wesermarsch jetzt die Frage gestellt, woher die Wesermarsch-Abgeordneten der CDU bereits elf Tage vorher über solche Detailkenntnisse aus der Polizeibehörde verfügten und weshalb sie im Kreistag am 1. Oktober 2012 aus einem Vermerk des Innenministeriums oder der Polizeidirektion in der Ichform zitieren konnten.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Hat Innenminister Schünemann als oberste Dienstaufsicht vor seinen Äußerungen und öffentlichen Verdächtigungen des Wesermarsch-Landrates mit diesem über seinen Verdacht gesprochen und, wenn ja, wann und auf welchem Wege, wenn nein, warum nicht?
2. Sind interne polizeiliche Vermerke oder Vermerke des Innenministeriums an die CDU-Kreistagsfraktion Wesermarsch oder den CDU-Landtagsfraktionsvorsitzenden Thümler weitergegeben worden?
3. Wurde das inzwischen von Polizeivizepräsident Buskohl als Beweis in der Presse angeführte Telefonat mit Landrat Höbrink vom 2. August 2012 ohne dessen Wissen mitgeschnitten, aufgezeichnet oder mitgehört und, wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Mit Bescheid vom 27. Juli 2012 wurde durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) der Transport von unbestrahlten Mischoxidbrennelementen (MOX) für Druckwasserreaktoren aus der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield/Seascale (Großbritannien) zum Kernkraftwerk in Grohnde unter Auflagen genehmigt.
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport erhielt von diesem Transportvor-haben bereits im Rahmen des Genehmigungsverfahrens Kenntnis, da hinsichtlich der Sicherung des Transportes eine polizeiliche Bewertung erforderlich war. In diesem Zusammenhang wurden die vom Transportweg berührten Polizeibehörden sowie das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz über den anstehenden Transport informiert.
Die Beförderungsgenehmigungen für Transporte von MOX-Brennelementen werden grundsätzlich als „Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die vertrauliche Behandlung der Anmeldung von Transporten von Kernbrennstoffen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung des erforderlichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter. Eine allgemeine Information der von derartigen Transporten berührten Kommunen und weiterer Behörden erfolgt aus Gründen des Geheimschutzes durch die Polizei grundsätzlich nicht. Auf das Erfordernis dieser Geheimhaltung ist durch die Landesregierung wiederholt hingewiesen worden.
Vor dem Hintergrund einer guten und vertrauensvollen behördenübergreifenden Zusammenarbeit informierte der Polizeivizepräsident der Polizeidirektion Oldenburg als stellvertretender Behördenleiter den Landrat des Landkreises Wesermarsch bereits am
2. August 2012 über das geplante Transportvorhaben. In dem als vertraulich eingestuften Gespräch wurde der Landrat auch in seiner Funktion als Behördenleiter über den Transporttermin, die Transportabwicklung in Nordenham und den Straßentransport nach Grohnde informiert. Der Polizeivizepräsident wies in diesem Gespräch ausdrücklich darauf hin, dass die konkrete Transportabwicklung als Verschlusssache eingestuft ist.
Ausweislich einer Berichterstattung im Internet unter der Adresse http://www.bund-hameln.net (Abruf am 15. August 2012, 12:51 Uhr) informierte der Landrat unter Bezugnahme auf eine Information der E.ON Kernkraft GmbH die Abgeordneten des Kreistages des Landkreises Wesermarsch schriftlich über den avisierten Transport. Die in diesem Zusammenhang am
10. August 2012 seitens des Landrates an die oben angegebenen Abgeordneten versandte E-Mail liegt dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport zwischenzeitlich in Kopie vor. Darin teilte der Landrat erste, wenn auch unkonkrete, Einzelheiten zu den Transportterminen und zur Transportabwicklung mit. In der Deister-Weser-Zeitung vom 14. August 2012 wurden die bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich vertraulich kommunizierten Transporttermine thematisiert.
In der 147. Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtages am 28. September 2012 wurde die Informationsweitergabe im Zusammenhang mit dem oben angegebenem MOX-Transport unter Tagesordnungspunkt 39, Mündliche Anfragen - Drs. 16/5175, Ausführungen zur Frage 1, umfassend erörtert.
Während dieser parlamentarischen Befassung wurde darauf hingewiesen, dass der dargestellte Geschehensablauf einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen sei. Dienstrechtlich könnte ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht nach § 37 Beamtenstatusgesetz, strafrechtlich ein Verstoß gegen § 353 b StGB wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses bei einer besonderen Geheimhaltungspflicht gegeben sein. Daher wurde im Anschluss eine kommunalaufsichtliche Prüfung in meinem Hause veranlasst.
Die Polizeidirektion Oldenburg hat die bei ihr vorliegende Schriftlage am 4. Oktober 2012 an die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit der Bitte um strafrechtliche Prüfung des Sachverhaltes übersandt. Nach dem Ergebnis der Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Oldenburg besteht gegen den Landrat des Landkreises Wesermarsch der Anfangsverdacht einer Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353 b Abs. 1 StGB. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat gegen ihn deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat die gemäß § 353 b Abs. 4 StGB erforderliche Strafverfolgungsermächtigung erteilt und prüft das Verhalten des Landrats derzeit unter disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten.
Zu der vorliegenden Anfrage hat mir die Polizeidirektion Oldenburg berichtet. Dieser Bericht ist Grundlage meiner nachstehenden Ausführungen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1.:
Nein, es gab keinen Anlass für ein solches Gespräch.
Zu Frage 2.:
Nein, weder polizeiliche Vermerke noch Vermerke des Ministeriums für Inneres und Sport wurden an die Kreistagsfraktion oder Herrn MdL Thümler versandt. Auf Nachfrage von Herrn MdL Thümler wurden ihm seitens des Innenministeriums am 01.10 2012 Auszüge aus den Gesprächsvermerken zu den Telefonaten zwischen Herrn Polizeivizepräsidenten Buskohl und Herrn Landrat Höbrink mitgeteilt.
Zu Frage 3.:
Das Telefonat zwischen dem Polizeivizepräsidenten der Polizeidirektion Oldenburg und dem Landrat des Landkreises Wesermarsch am 2. August 2012 wurde nicht mitgeschnitten, nicht aufgezeichnet und nicht mitgehört.
In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 6. September 2012 wird der Landrat des Landkreises Wesermarsch mit der Aussage zitiert, sein Landkreis habe keine behördlichen Informationen zum anstehenden MOX-Transport bekommen. Daraufhin nahm der Polizeivizepräsident am selben Tag erneut fernmündlich Kontakt zu ihm auf. Bei diesem Gespräch, in dem die Inhalte des Telefonates vom 2. August 2012 nochmals erörtert wurden, war der Leiter des Dezernates Einsatz und Verkehr der Polizeidirektion Oldenburg im Büro des Polizeivizepräsidenten zugegen. Dieser konnte dem Gesprächsverlauf anhand der Äußerungen des Polizeivizepräsidenten folgen, den Wortlaut des Landrates aber nicht mithören. Eine Aufzeichnung bzw. ein Mitschnitt dieses Telefonates ist ebenfalls nicht erfolgt.