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Linksextremismus – Wie geht es weiter mit der Prävention?

Sitzung des Nds. Landtages am 27. Oktober 2016; TOP 16 a) Dringliche Anfrage

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregie-

rung auf die Dringliche Anfrage der Fraktion der CDU wie folgt:

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,

in Anbetracht der Tatsache, dass wir uns in diesem Hohen Haus im Juni 2016 mit einer Dringlichen Anfrage zu dem Themenbereich Linksextremismus beschäftigt haben, erscheint mir die erneute Auswahl und Schwerpunktsetzung dieser Thematik vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse in der bundesweiten Lage gerade im Bereich des Rechtsextremismus und des Salafismus als etwas gewollt. Ich möchte an dieser Stelle nur beispielhaft die aktuelle Diskussion um die Geschehnisse der sogenannten Reichsbürger oder den zweiten Jahrestag von PEGIDA nennen.

Ich werde daher an dieser Stelle nicht müde zu betonen, was ich bereits im Juni getan habe, dass jegliche Form von Extremismus die Demokratie, die Sicherheitsbehörden sowie den Staat vor große Herausforderungen stellt. Die Landesregierung nimmt jegliche Form des Extremismus sehr ernst. Dies umfasst sowohl den Rechts-, den Links- als auch den salafistischen Extremismus. Und ich betone auch hier noch einmal ganz deutlich: Jede Gewalt - egal, von wem auch immer begangen- ist kriminell und muss vom Rechtsstaat in aller Deutlichkeit geahndet werden.

Im Gegensatz zum Rechtsextremismus existieren zum Linksextremismus bisher leider sehr wenige aussagekräftige sozialwissenschaftliche Analysen, zum Beispiel zu den dort stattfindenden Radikalisierungsprozessen, auf deren Grundlage wirkungs-volle Konzepte zur Prävention des Linksextremismus entwickelt werden können. Die Radikalisierungsprozesse verlaufen im Bereich links auch äußerst unterschiedlich. Die Übertragbarkeit von Präventionsansätzen vom Rechts- auf den Linksextremismus wird insgesamt kontrovers diskutiert und ist nicht nur aus Sicht der Landesregierung aufgrund der diametralen Ideologien und Einstellungen der jeweiligen Szenen, wenn überhaupt, nur ansatzweise möglich. Im Rahmen ihrer Präventionsarbeit, die Ihnen durch die umfassende parlamentarische Befassung mittlerweile weitläufig bekannt sein dürfte, bekämpft die Landesregierung deshalb den Linksextremismus in erster Linie durch Aufklärung. Verfassungsschutz und Polizei in Niedersachsen informieren die Öffentlichkeit vor allem durch Publikationen von Fachinformationen, Tagungen, Vortragsveranstaltungen, Beratungen von Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern in den Ministerien, Landesbehörden, Städten und Kommunen. sowie durch Fortbildungen über die Gefahren, die vom Linksextremismus ausgehen und wollen so zur weiteren Auseinandersetzung mit der Thematik anregen.

Für die überwiegende Zahl der in Niedersachsen tätigen Multiplikatoren in den Regelstrukturen der Schule und der außerschulischen Jugendbildung stellt der Linksextremismus keine aktuelle Priorität in den präventiven und pädagogischen Handlungsfeldern dar. So lagen dem Niedersächsischen Verfassungsschutz für die Jahre 2014-2016 insgesamt 56 Vortragsanfragen aus Schulen zur Extremismusprävention vor. (Rechtsextremismus 29 Anfragen, Islamismus 21 Anfragen, Linksextremismus 6 Anfragen)

Linke Gewalt wird hauptsächlich von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen begangen. Bisherige Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden beschreiben die Personengruppe folgendermaßen: Die Hälfte der Tatverdächtigen war zum Tatzeitpunkt zwischen 18 und 24 Jahre alt. Dabei sind die Tatverdächtigen überwiegend Männer (81 Prozent). Linke Gewalt ist daher in Teilen auch als Jugendphänomen zu begreifen. Vieles deutet darauf hin, dass die Ausübung linker Gewalt bei den meisten Tatverdächtigen an eine bestimmte Lebensphase gebunden ist. Mit zunehmendem Alter spielt Gewalt als Ausdrucksform eine geringere Rolle.

Niedersachsen gewährleistet hinsichtlich der Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität aufgrund der vereinbarten Erfassungsvorgaben eine ständige Aktualität, auch für bereits zurückliegende Zeiträume. Ergebnisse aus Ermittlungsverfahren oder Gerichtsurteilen finden auch für vergangene Jahre Berücksichtigung in der Statistik. Dies führt dazu, dass Änderungen bzw. Nacherfassungen notwendig werden, welche die Vergleichbarkeit von Daten insbesondere in Abhängigkeit vom Erhebungszeitpunkt beeinflussen.

Zu Frage 1: (Wann wird die neue konzeptionelle Planung der Landesregierung für die Prävention gegen den Linksextremismus abgeschlossen sein, die Innenminister Pistorius im Januar 2014 ankündigte?)

Die Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus in einer Demokratie und in einer sich ständig verändernden offenen Gesellschaft ist kein abgeschlossener Prozess, sondern befindet sich dauernd in der Fortentwicklung. Konzepte wie oben beschrieben müssen daher fortlaufend angepasst werden. Die momentanen Entwicklungen im Linksextremismus sind geprägt von Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus. Der Antifaschismus steht für die Autonomen hierbei in den letzten Jahren im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Dies darf allerdings nicht zum Generalverdacht gegenüber einem Engagement von jungen Menschen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus führen.

Aus Sicht der Sozialwissenschaften erscheint hier die Frage nach den Attraktivitätsmomenten linksmilitanter Szenen für die überwiegend jugendlichen Akteure. Weitet man den Blick entsprechend, dann zeigt sich, dass neben dem Interesse an gesellschaftlicher Mitgestaltung auch viele jugendspezifische Motive eine Rolle spielen, z. B. Selbstwirksamkeitserfahrungen, radikale Hinterfragung des Bestehenden, das Bedürfnis nach Grenzerfahrungen. Neue Formen einer zeitgemäßen staatlichen Prävention gegen Linksextremismus sind daher auf eine ganzheitliche Kooperation mit allen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Akteuren angewiesen. Daher strebt die Landesregierung hierzu die Fortsetzung des gesellschaftlichen Dialogs mit den Sozialwissenschaften an. Dies ist u.a. vorgesehen in der Fortsetzung der Veranstaltungsreihe“ Aktuell und Kontrovers“ des Niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Seitens des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI) wurden, überwiegend unter Federführung der Präventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität (PPMK), eine Reihe von Maßnahmen – hauptsächlich mit der Zielrichtung einer Sensibilisierung durch Aufklärung – zur Prävention der Politisch motivierten Kriminalität – links (PMK – links) ergriffen.

Dies waren unter anderem:

- Roll-Out des Films RADIKAL am 13. Oktober 2016 im LKA NI, der auch das Thema „Radikalisierung in der gewaltbereiten linksextremen Szene“ jugendgerecht aufbereitet und an Schulen, in Jugend- und vergleichbaren Einrichtungen eingesetzt werden kann. Der ca. 60 Personen umfassende Zuhörerkreis bestand aus Polizeibeamten (Staatsschutz und Prävention), Mitarbeitern des kommunalen Sozialdienstes, Vertretern der Niedersächsischen Landesschulbehörde, der Agentur für Arbeit, des Landessozialamtes und der Polizeiakademie.

- Fachliche Unterstützung bei der Fertigstellung des Internetleitfadens vom Pro-gramm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) zum Thema Linksextremismus und Bekanntgabe desselben per elektronischem Rundschreiben durch die PPMK am 28. November 2014 an die Polizeibehörden.

- Übersendung des durch ProPK entwickelten und seit November 2015 angebotenen Konzeptes „Demo JA! – Gewalt NEIN! - Einsatzbegleitende Materialien mit deeskalierendem Ansatz“ an die Polizeibehörden mit Präventionsmaterialien.

Es handelt sich dabei insbesondere um Plakate, Faltblätter und Postkarten, mit denen verhindert werden soll, dass sich ansonsten rechtstreue Bürgerinnen und Bürger in besonderen Demonstrationssituationen mit gewaltbereiten Teilnehmerinnen und Teilnehmern solidarisieren oder zu Straftaten verleiten lassen.

- Planung und Durchführung von bislang zwei Fortbildungsveranstaltungen im Oktober 2015 und September 2016 für Lehrer und angehende Lehrer in Hildesheim, u. a. auch zum Thema „Linksextremismus“ (Kooperation des LKA NI mit der Stiftungsuniversität Hildesheim, Fachbereich Geschichte).

- Planung und Durchführung von bislang zwei Fortbildungsveranstaltungen für angehende Justizvollzugsbedienstete in Wolfenbüttel im September 2015 und im Mai 2016, u.a. auch zum Thema Linksextremismus; eine dritte Veranstaltung identischen Inhalts ist für November 2016 geplant.

- Planung und Durchführung der ersten landesweiten Fachtagung der PPMK am 26. November 2014 zum Thema “Politische und religiöse Radikalisierung – Herausforderungen für die Prävention“, die sich auch dem Phänomenbereich Linksextremismus gewidmet hat, mit ca. 120 Teilnehmern.

- Versenden von elektronischen Rundschreiben an die zuständigen Dienststellen, um auf Präventionsmaterialien u. a. im Bereich PMK-links aufmerksam zu machen, z. B. am 9. Juli 2015 zur Broschüre „Linksextremismus“ des Berliner Verfassungsschutzes.

- Gezielte Bekanntmachung der aktuellen Broschüre des Niedersächsischen Verfassungsschutzes „Vom Autonomen zum Postautonomen?“ über den Wöchentlichen Lagebericht „Polizeilicher Staatsschutz in Niedersachsen“ des LKA NI ab der 38. Kalenderwoche 2016. Der Lagebericht richtet sich an einen breiten Empfängerkreis in den Polizeibehörden.

Zu Frage 2: (Wie viele der politisch links motivierten Gewaltdelikte in Niedersachsen aus den Jahren 2015 und 2016 konnten aufgeklärt werden, und wie viele Verurteilungen gab es deswegen?)

Nach Berichterstattung des LKA NI wurden in Niedersachsen für das Jahr 2015 insgesamt 147 Gewaltdelikte der PMK -links polizeilich registriert, wovon 81 Taten aufgeklärt werden konnten. Von den bisher für das Jahr 2016 erfassten 194 Gewaltdelikten konnten bisher 89 Taten aufgeklärt werden (Stand: 25. Oktober 2016). Hierzu konnten 122 Tatverdächtige für Delikte aus dem Jahr 2015 und 94 für Delikte im laufenden Jahr ermittelt werden.

Justizielle Statistiken zur Erfassung linksextremistisch motivierter Straftaten werden nicht geführt. Aussagen dazu, wie viele Verurteilungen aufgrund politisch links motivierter Gewaltdelikte in Niedersachsen in den Jahren 2015 und 2016 erfolgt sind, können daher von justizieller Seite nicht gemacht werden.

Die Beantwortung der Frage würde eine Beteiligung der niedersächsischen Staatsanwaltschaften erforderlich machen. Damit wäre für die Staatsanwaltschaften jedoch ein Arbeitsaufwand verbunden, der ohne Zurückstellung der eigentlichen Aufgaben der Staatsanwaltschaften nicht möglich wäre und zudem im Rahmen der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage nicht geleistet werden kann.

Zu Frage 3: (Was wird der nächste Schritt in der Prävention des Linksextremismus sein, etwa durch Verteilaktionen der beiden Broschüren in den bekannten Autonomen Zentren oder konkrete Projekte zur Entradikalisierung?)

Die Information und Aufklärung über den Linksextremismus in Form von Publikationen und Handreichungen durch die Landesregierung und die Sicherheitsbehörden wird weiterhin Bestandteil einer umfassenden Prävention sein. Vor diesem Hintergrund hat der Niedersächsische Verfassungsschutz jüngst einen Flyer zum Linksextremismus und eine Broschüre zu den Autonomen erstellt, welche für Interessenten über den Niedersächsischen Verfassungsschutz zu beziehen ist Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereichs Linksextremismus des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stehen zudem auf Anfrage für die Fortbildung von gesellschaftlichen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, wie z. B. Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung. Auf Wunsch klären sie auch sonstige Interessierte, wie z. B. Schulklassen über die Gefahren, die vom Linksextremismus ausgehen, auf. Dabei arbeiten sie eng mit der Polizei, insbesondere dem Bereich PPMK des LKA NI, zusammen. Regelmäßig werden zudem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staatsschutzes und Rechtsreferendare vom Fachbereich Linksextremismus über die aktuellen Entwicklungen im Linksextremismus informiert, um diese für ihre praktische Arbeit mit dem Linksextremismus zu sensibilisieren. Diese Veranstaltungen dienen ferner auch dem persönlichen Dialog zwischen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz und somit dem engeren Zusammenwirken dieser drei Bereiche.

In einem geplanten Symposium am 6. Dezember 2016 wird es neben den aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus auch um die Frage gehen, wo die Grenzen des Engagements gegen Rechtsextremismus in Abgrenzung zum linksextremistisch geprägten Antifaschismus in der Auseinandersetzung liegen.

Darüber hinaus wird die vorgesehene Dokumentationsstelle zur Analyse und Forschung von Demokratiefeindlichkeit an der Universität Göttingen einen maßgeblichen Anteil an einer zukünftigen Entwicklung von notwendigen Präventionsmodulen zur Auseinandersetzung mit linker Militanz und Linksextremismus haben.

Presseinformation

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erstellt am:
27.10.2016

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