Fusionsverhandlungen der Stadt Wolfsburg und Landkreis Helmstedt
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13.12.2013; Fragestunde Nr. 76
Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Angelika Jahns und Frank Oesterhelweg (CDU).
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Der Landkreis Helmstedt ist aufgrund seiner finanziellen Situation auf die Stadt Wolfsburg zugegangen, um die Möglichkeit einer Fusion mit einem starken Partner zu nutzen und die Entschuldungshilfe durch den von der früheren CDU/FDP-Landesregierung geschaffenen Zukunftsvertrag in Anspruch zu nehmen. Wie am 8. November 2013 in einer Pressekonferenz bekannt gegeben wurde, lehnt die Landesregierung die bisherigen Pläne ab. Sie will die Bildung einer Region „Wolfsburg-Helmstedt“ nicht unterstützen. Begründet wurde dies mit der notwendigen Berücksichtigung der Entwicklungsperspektiven der Stadt Braunschweig. Die Stadt Königslutter hat bereits einen Antrag auf Eingemeindung durch Wolfsburg gestellt.
Vor diesem Hintergrund befürchten laut Zeitungsmeldungen viele Bürgerinnen und Bürger, dass die Landesregierung den Landkreis Helmstedt zerschlagen oder filetieren wolle. Sie seien verunsichert und hätten keine Erklärung für das Verhalten des Innenministers/der Landesregierung.
Am 20. November 2013 hat der Innenminister die Fusion von Osterode und Göttingen gelobt. Bei einer Veranstaltung in Osnabrück wies er darauf hin, dass Fusionen im Idealfall „von unten“ kommen sollen.
Eine Fusion der Stadt Wolfsburg und des Landkreises Helmstedt zu einer Region wäre nach Expertenmeinung für beide Partner von Vorteil. Beide Kommunen befinden sich in einer Arbeitsmarktregion mit starken Pendlerbeziehungen. Der Landkreis Helmstedt verfügt über eine Vielzahl kultureller Schätze und ein erhebliches Reservoir an Gewerbe- und Wohnflächen. Die Stadt Wolfsburg ist mit dem Volkswagenwerk das wirtschaftliche und innovative Kraftzentrum der Region. Ein neuer Gemeindeverbund soll die Existenz des Landkreises Helmstedt sichern, die jeweiligen Stärken bündeln und damit die gesamte Region stärken. Aus diesem Grund beschlossen der Rat der Stadt Wolfsburg und der Kreistag des Landkreises Helmstedt, entsprechend dem Gutachten von Herrn Prof. Hagebölling und Prof. Mehde zu fusionieren.
Nunmehr sei aber die „Zukunft des Landkreises Helmstedt völlig ungewiss“, wie die Helmstedter Nachrichten am 9. November 2013 titelten.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wann, wo und mit welchen Teilnehmern hat ein Gedankenaustausch mit der Landesregierung stattgefunden, der zu einem Stopp der Fusionsverhandlungen und zu der Presseberichterstattung führte?
2. Wird dem Landkreis Helmstedt die Entschuldungshilfe durch den Zukunftsvertrag auch gewährt, wenn es zu keiner Fusion kommt, oder wird es keinerlei Entschuldungshilfe durch das Land mehr geben?
3. In welcher Höhe übernimmt das Land die bisher im Zuge des Fusionsvorhabens dem Landkreis Helmstedt entstandenen Sach- und Personalkosten?
Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Der Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg und der Landrat des Landkreises Helmstedt wandten sich erstmals im Herbst 2012 mit dem gemeinsamen Vorschlag an die Öffentlichkeit, die Stadt Wolfsburg und den Landkreis Helmstedt durch Eingemeindung aller Städte, Samtgemeinden und Gemeinden des Landkreises Helmstedt in die kreisfreie Stadt Wolfsburg zu fusionieren. Der Vorschlag findet bis heute bei den betroffenen Gemeinden, in der regionalen Presseberichterstattung und in der Öffentlichkeit Unterstützung. Im Mittelpunkt der diesbezüglichen Diskussionen stehen die Verbesserung des Entwicklungspotenzials der Stadt Wolfsburg sowie die äußerst prekäre finanzwirtschaftliche Lage des Landkreises Helmstedt und einiger seiner Gemeinden.
Allerdings wurden vor Ort auch Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer derartigen Fusion geäußert. Deshalb gaben beide Kommunen bei den Professoren Lothar Hagebölling und Veith Mehde die Anfertigung eines Gutachten „zu den rechtlichen Aspekten einer Fusion des Landkreises Helmstedt mit der Stadt Wolfsburg zu einer kreisfreien Stadt Wolfsburg auf freiwilliger Basis und den einer solchen Fusion nahe kommenden Lösungen“ in Auftrag. Die Ergebnisse des Gutachtens wurden am 06. Februar 2013 in Wolfsburg der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Gutachter halten die beschriebene Eingemeindungslösung für eher nicht verfassungskonform. Dagegen komme – bei Zurückstellung anderer verfassungsrechtlicher Bedenken – die Bildung eines Gemeindeverbandes aus der Stadt Wolfsburg und den Städten, Samtgemeinden und Gemeinden des Landkreises Helmstedt in Betracht. Die verbandsangehörige Stadt Wolfsburg könnte und sollte in dem Gemeindeverband einen Sonderstatus, vergleichbar dem der Landeshauptstadt Hannover in der Region Hannover, bekommen. Eine zusätzlich zur Gemeindeverbandsbildung angestrebte Vergrößerung der Stadt Wolfsburg durch Eingemeindung einer oder mehrerer Nachbargemeinden würde allerdings nach Meinung der Gutachter die auch gegen eine Gemeindeverbandsbildung bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken vergrößern.
Mit Schreiben vom 21. Februar 2013 zeigten die Stadt Wolfsburg und der Landkreis Helmstedt dem Innenministerium die beabsichtigte Aufnahme von Verhandlungen über einen Zusammenschluss beider Gebietskörperschaften an. Die entsprechenden Vertretungsbeschlüsse wurden im März 2013 gefasst. Mit Schreiben vom 25. Februar 2013 zeigten darüber hinaus die Stadt Wolfsburg und die Stadt Königslutter am Elm dem Innenministerium an, Verhandlungen auch speziell über einen Zusammenschluss ihrer Gebietskörperschaften aufnehmen zu wollen.
Wichtiges Anliegen des Landkreises Helmstedt und seiner Samtgemeinden und Gemeinden im Zusammenhang mit einem Zusammenschluss von Landkreis Helmstedt und Stadt Wolfsburg ist es, eine Entschuldungshilfe nach dem Zukunftsvertrag zu erlangen. Mit diesem Ziel stellten der Landkreis selbst sowie alle Städte, Samtgemeinden und Einheitsgemeinden im Landkreis Helmstedt fristwahrend, d.h. rechtzeitig vor dem 31. März 2013, entsprechende Anträge an das Land. Dabei handelt es sich in einem Fall um eine beabsichtigte Eigenentschuldung und im Übrigen um beabsichtigte Zusammenschlüsse von Samtgemeinden, Einheitsgemeinden oder Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden.
Seit Mai dieses Jahres werden intensive politische und fachliche Gespräche zwischen dem Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg, dem Landrat des Landkreises Helmstedt und Vertretern der Landesregierung geführt. Die Landesregierung begrüßt und unterstützt das Zusammenschlussvorhaben von Stadt Wolfsburg und Landkreis Helmstedt und ist bereit, bei der Klärung weiterer Fragen und der bestmöglichen Ausgestaltung eines solchen Vorhabens mitzuwirken. Aufgrund der bisher geführten Gespräche sind sich alle Beteiligten darin einig, dass eine Fusion von Stadt Wolfsburg und Landkreis Helmstedt insgesamt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht durch Eingemeindungen sondern „nur“ durch Gemeindeverbandsbildung nach dem Beispiel der Region Hannover erfolgen kann. Dieses Modell beinhaltet jedoch die Übertragung wesentlicher Aufgaben, die heute von der Stadt Wolfsburg wahrgenommen werden, auf den Gemeindeverband.
Alternativ zu diesem Modell könnten einzelne Eingemeindungen in die Stadt Wolfsburg zweckmäßig sein und in Betracht kommen. Durch solche Eingemeindungen würden sehr viel weiter gehende Fragen aufgeworfen. In diesem Fall müssten die gesamten Strukturen im Raum Braunschweig/Wolfsburg betrachtet werden. Insoweit hat das Land in den Gesprächen auf seine Verantwortung in dieser Frage hingewiesen. Diese Gesamtverantwortung erfordert es, bei dem jetzt für das Zusammenschlussvorhaben Wolfsburg/Helmstedt erreichten Erörterungsstand andere Kommunen und kommunale Akteure im Raum Braunschweig in die konkrete Ausgestaltung der anzustrebenden Lösung einzubeziehen. Der Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg und der Landrat des Landkreises Helmstedt haben darauf hin das Land gebeten, in den weiteren Abstimmungsgesprächen eine moderierende Rolle zu übernehmen und diese zeitnah zu beginnen.
Anders als der Presseberichterstattung im Raum Braunschweig zu entnehmen war, gehen demzufolge die Gespräche über den bestmöglichen Zuschnitt der kommunalen Grenzen im Raum Wolfsburg/Helmstedt mit der Stadt Wolfsburg und dem Landkreis Helmstedt weiter und treten „lediglich“ in ein neues Stadium ein.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Einen Gedankenaustausch, der zu einem „Stopp der Fusionsverhandlungen und zu der Presseberichterstattung führte“, hat es nicht gegeben (s. Vorbemerkung).
Zu 2.
Eine Entschuldungshilfe kann grundsätzlich sowohl im Falle einer Eigenentschuldung (ohne Fusion) als auch im Falle einer Fusion gewährt werden. Neben einer fristgerechten Antragstellung und der Erfüllung weiterer Anspruchsvoraussetzungen ist dafür vor allem das Erreichen eines ausgeglichenen Jahresergebnisses des Haushalts erforderlich.
Im Falle einer Eigenentschuldung muss dieser Ausgleich in dem Jahr erfolgen, in welchem die Entschuldungshilfe gewährt wird; im Falle einer Fusion spätestens im fünften Jahr nach Erhalt der Entschuldungshilfe. Zur Prüfung, ob alle notwendigen Voraussetzungen für eine Entschuldung erfüllt sind, wurde die sog. Entschuldungskommission eingerichtet, die sich aus Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und des Innenministeriums zusammensetzt. Die letzte Entscheidung obliegt dem Innenminister.
Sollte es nicht zu einer Fusion des Landkreises Helmstedt kommen, könnte der mit Schreiben vom 16. Mai 2012 von diesem gestellte Antrag auf Eigenentschuldung wieder aufleben. Sofern der Landkreis dann alle notwendigen Anforderungen für eine Eigenentschuldung erfüllen kann, wäre demzufolge auch eine Entschuldungshilfe ohne Fusion grundsätzlich möglich.
Zu 3.
Die Finanzmittel, die die Kommunen und das Land Niedersachsen gemeinsam im Rahmen des Zukunftsvertrages bereitgestellt haben, sind ausweislich des Haushaltsplans des Landes ausschließlich als direkte Entschuldungshilfe für Kommunen vorgesehen. Sach- oder Personalkosten, die bei den betroffenen Kommunen im Rahmen eines Entschuldungsprozesses entstehen, können aus diesen Mitteln nicht übernommen werden. Andere Haushaltsmittel stehen dafür ebenfalls nicht zur Verfügung. Die bei Kommunen entstehenden Sach- und Personalkosten stellen insofern eine notwendige Eigenleistung der Kommunen im Rahmen von Entschuldungsverfahren dar; sie können vom Land nicht übernommen werden.