Fusionen in Südniedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20.07.2012; Fragestunde Nr. 14
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Frauke Heiligenstadt, Karl-Heinz Hausmann und Uwe Schwarz (SPD)
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Im Zusammenhang mit den laufenden Fusionsgesprächen in Südniedersachsen wurde Innenminister Schünemann mit den Worten zitiert, er werde einer Fusion der Landkreise Osterode, Göttingen und Northeim auf keinen Fall zustimmen. „So etwas werde ich nicht unterschreiben“, sagte Uwe Schünemann. „Sollte sich Osterode hingegen für eine Fusion mit dem Kreis Goslar entscheiden, würde die Entschuldungshilfe des Landes in Höhe von 39,1 Millionen Euro ohne weitere Prüfung sofort bereitgestellt“, so der Minister weiter. „Ein unterschriftsreifer Vertrag würde auch schon vorliegen“, so die Verlautbarungen in der Braunschweiger Zeitung vom 8. Juni 2012 und im Harz-Kurier vom 12. Juni 2012. Diese Aussagen des Ministers sind auch durch den Osteroder Bürgermeister, Klaus Becker, und den Ersten Kreisrat von Osterode, Gero Geißelreiter, bestätigt worden. Bekanntlich finden im südniedersächsischen Raum Fusionsgespräche der Landkreise Göttingen, Osterode, Northeim und der Stadt Göttingen statt. Grundlage dieser Gespräche sind unter anderem der Zukunftsvertrag des Landes Niedersachsen sowie Aussagen des Innenministers und des Ministerpräsidenten, dass das Land noch auf Freiwilligkeit setze. Sollte dieses Vorgehen jedoch erfolglos sein, werde auch der Landesgesetzgeber insbesondere aufgrund der demografischen Entwicklung in der neuen Legislaturperiode handeln müssen, so Ministerpräsident McAllister auf der Jahrestagung des Niedersächsischen Landkreistags.
Die sogenannte Freiwilligkeit wird durch die Landesregierung im Rahmen der Haushaltskonsolidierung allerdings schon heute mit klaren Auflagen beschleunigt. So ist in der Lenkungsgruppe in Südniedersachsen durch den Vertreter des niedersächsischen Innenministeriums mitgeteilt worden, dass der Landkreis Osterode nur dann mit einer Entschuldungshilfe des Landes in Höhe von ca. 39 Millionen Euro rechnen könne, wenn sich der Landkreis zu einer Fusion verpflichte.
Unmittelbar vor den entscheidenden Beschlüssen im Osteroder Kreistag werden jetzt die Verantwortlichen mit den oben dargestellten Aussagen des Innenministers konfrontiert. Der Minister droht öffentlich, dem Kreis Osterode die in Aussicht gestellte Entschuldungshilfe nicht zu gewähren, wenn er nicht zu der von ihm favorisierten Fusion mit dem Landkreis Goslar komme.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie beurteilt die Landesregierung den dargestellten Sachverhalt?
2. Wie verträgt sich das Verhalten des Ministers im Fusionsprozess mit der Zielsetzung des Zukunftsvertrages, der Verpflichtung der Landesregierung zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes und dem Gestaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung?
3. Welche finanziellen Entschuldungshilfen sind bei der sogenannten Triangellösung (Landkreise Göttingen, Northeim, Osterode und Stadt Göttingen) bzw. bei solitären Lösungen der genannten Gebietskörperschaften zu erwarten?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Die Gespräche, die der Landkreis Osterode am Harz derzeit mit den Landkreisen Göttingen und Northeim bzw. dem Landkreis Goslar führt, sollen zu einer Vorentscheidung über seine grundsätzliche Bereitschaft führen, mit einem oder zwei dieser Nachbarlandkreise zu fusionieren. Die Landesregierung begrüßt die Gespräche der Landkreise. Sie beruhen unter anderem darauf, dass der Landkreis Osterode am Harz – das gleiche gilt aber auch für die Landkreise Northeim und Goslar – in dem im Auftrag der Landesregierung erstellten Gutachten des Internationalen Instituts für Staats und Europawissenschaften Berlin (Prof. Dr. Dr. Hesse) über die Kommunalstrukturen in Niedersachsen als „stabilisierungsbedürftig“ eingestuft wurde. Gespräche über mögliche kommunale Zusammenschlüsse werden auch von vielen anderen Kommunen im Land – insbesondere von zahlreichen Gemeinden – geführt.
Im Zusammenhang mit Gesprächen von Kommunen über eine verbesserte interkommunale Zusammenarbeit oder einen möglichen Zusammenschluss hat die Landesregierung immer wieder betont, dass es in erster Linie in der Verantwortung der kommunalen Akteure vor Ort selbst liegt, die bestmögliche Lösung für notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Zukunftsfähigkeit ihrer Kommune zu finden. Gleichwohl vollziehen sich weder die interkommunale Zusammenarbeit noch etwaige kommunale Zusammenschlüsse in einem rechtsfreien Raum. So bestimmt zum Beispiel Artikel 59 der Niedersächsischen Verfassung, dass Gebietsänderungen von Gemeinden und Landkreisen nur durch formelles Gesetz und nur aus Gründen des Gemeinwohls zulässig sind. Darüber hinaus sind nach der sogenannten „Lüchow-Dannenberg-Entscheidung“ des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes vom 6. Dezember 2007 (1/06, StGH 1/06) die früheren Leitbilder aus der allgemeinen Verwaltungs- und Gebietsreform der 1970er Jahre auch heute noch grundsätzlich zu beachten.
Eine wichtige Rolle spielt bei Zusammenschlussabsichten von Kommunen immer wieder auch der Abschluss eines Zukunftsvertrages mit dem Land zur Erlangung einer Entschuldungshilfe. Die niedersächsische Landesregierung und die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände haben am 17. Dezember 2009 die gemeinsame Erklärung zur Zukunftsfähigkeit der niedersächsischen Kommunen unterzeichnet. Diese bildet den Grundstein für die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Kommunen und für den Ausbau des hierzu erforderlichen Instrumentariums. Unter anderem wurde vereinbart, zur Wiederherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit von Kommunen mit besonderen strukturellen Problemen einen gemeinsamen Entschuldungsfonds zu bilden, in dem ab 2012 Finanzmittel von bis zu 70 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stehen. Insgesamt stehen nach der Finanzplanung des Landes bis zu 1,26 Milliarden Euro für die Entschuldung struktur- und finanzschwacher Kommunen zur Verfügung.
Die Gewährung von Entschuldungshilfen für niedersächsische Kommunen richtet sich nach § 14a NFAG. In den Vorteil einer solchen Entschuldungshilfe können nur Kommunen gelangen, die über eine unterdurchschnittliche Steuereinnahmekraft verfügen, weit überdurchschnittlich hohe Liquiditätskredite aufgenommen haben, erhebliche eigene Konsolidierungsbemühungen nachweisen können und durch die Entschuldungshilfe eine nachhaltige Sicherung ihrer Leistungsfähigkeit erreichen können. Viele Landkreise, Städte und Gemeinden konnten bereits einen derartigen Zukunftsvertrag abschließen und damit den entscheidenden Schritt in Richtung Entschuldung machen – mit oder ohne kommunalen Zusammenschluss. Bislang konnten 28 Zukunftsverträge mit einem Entschuldungsvolumen von über 590 Millionen Euro abgeschlossen werden.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die in der Anfrage dem Niedersächsischen Minister für Inneres und Sport zugeschriebenen Zitate sollen Äußerungen des Ministers am Rande eines Leichtathletiktreffens in Osterode wiedergeben. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass die dem Minister in den Mund gelegten Zitate nicht korrekt sind. Insbesondere hat der Minister nicht erklärt, 39,1 Millionen Euro würden „ohne weitere Prüfung sofort bereitgestellt“, falls sich der Landkreis Osterode am Harz für eine Fusion mit dem Landkreis Goslar entscheiden würde. Tatsache ist, dass der Minister am Rande des Leichtathletiktreffens in Osterode seinen in rechtlicher Hinsicht bestehenden Bedenken gegen eine Fusion des Landkreises Osterode am Harz mit den Landkreisen Göttingen und Northeim Ausdruck verliehen hat. Dem liegt zugrunde, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob die Bildung eines neuen Landkreises durch den Zusammenschluss der bisherigen Landkreise Göttingen, Northeim und Osterode am Harz verfassungsgemäß wäre. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken ergeben sich zum einen daraus, dass eine kommunale Gebietskörperschaft mit rund 470.000 Einwohnern und ca. 3.000 qkm Fläche gewichtige Nachteile für die bürgerschaftlich-demokratische Prägung kommunaler Selbstverwaltung mit sich brächte; diese würden aller Voraussicht nach nicht durch besondere Vorteile gerade dieses Zusammenschlusses unter Berücksichtigung der konkreten Ziele des betreffenden Neugliederungsgesetzes und alternativer Gestaltungsmöglichkeiten aufgewogen. Zum anderen widerspräche die Bildung eines derart großen Landkreises ohne entsprechende Gebietsstrukturveränderungen auch in anderen Landesteilen dem grundsätzlich fortgeltenden Leitbild der Gebietsreform der 1970er Jahre (vgl. hierzu die bereits in der Vorbemerkung erwähnte Lüchow-Dannenberg-Entscheidung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs). Die Einwohnerzahl des neuen Landkreises würde nicht nur die diesbezüglichen Richtwerte der sogenannten Weber-Kommission (Gutachten von März 1969) und des Achten Gesetzes zur Verwaltungs- und Gebietsreform, sondern auch die heutigen tatsächlichen Einwohnerzahlen der größten Landkreise in Niedersachsen deutlich übersteigen. Ein Vergleich mit der Region Hannover ist hierbei nicht zulässig. Deren Bildung im Jahr 2001 beruhte auf regionalen Besonderheiten des Raumes Hannover, die es so oder auch nur ähnlich im Raum Göttingen nicht gibt. Gegen eine mögliche Fusion des Landkreises Osterode am Harz mit nur einem seiner Nachbarlandkreise bestehen die vorgenannten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht.
Eine vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport in diesem Zusammenhang durchgeführte Prüfung hat darüber hinaus ergeben, dass eine Eigenentschuldung durch den Landkreis Osterode am Harz zur Erlangung der Entschuldungshilfe nach § 14a NFAG mangels Nachweis der nachhaltigen Sicherung der Leistungsfähigkeit nicht möglich ist. Dieses hat der Innenminister dem Landkreis Osterode am Harz mit Schreiben vom 8. Juni d.J. mitgeteilt. Zugleich wurde in dem Schreiben darauf hingewiesen, dass durch eine – bereits zu diesem Zeitpunkt zunehmend diskutierte – Fusion mit dem Landkreis Goslar die Leistungsfähigkeit des Landkreises Osterode am Harz gesichert werden könne. Im Übrigen könnte hierfür – selbstverständlich nach vorhergehender Prüfung – ggf. eine Entschuldungshilfe bis zur Höhe von max. 39,1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
Zu 2.:
Hinweise eines Mitglieds der Landesregierung auf verfassungsrechtliche oder sonstige rechtliche Anforderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung einer möglicherweise angestrebten kommunalen Fusion und zum Abschluss eines diesbezüglichen Zukunftsvertrages sind weder eine Drohung noch eine Abkehr vom kommunalen Freiwilligkeitsprinzip. Mit solchen Hinweisen kommen das Land und speziell das Ministerium für Inneres und Sport als oberste Kommunalaufsichtsbehörde vielmehr ihrer kommunal- verfassungsrechtlichen Verpflichtung nach, die Kommunen in ihren Rechten zu schützen und die Erfüllung ihrer Pflichten zu sichern (vgl. § 170 Abs. 1 Satz 1 NKomVG). Schon deshalb wird mit derartigen Hinweisen auch weder der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz verletzt noch unzulässig in den Gestaltungsspielraum kommunaler Selbstverwaltung eingegriffen.
Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.
Zu 3.:
Nach § 14a Abs. 1 NFAG können Kommunen zur nachhaltigen Sicherung ihrer Leistungsfähigkeit unter bestimmten Voraussetzungen Zins- und Tilgungshilfen in Höhe von bis zu 75 % ihrer bis zum 31. Dezember 2009 aufgenommenen Liquiditätskredite gewährt werden. Die tatsächliche Höhe der Zins- und Tilgungshilfen, d.h. die tatsächliche Höhe der Entschuldungshilfen, die die Kommunen im Einzelfall konkret erwarten können, wird auf Grund aktueller, in Fällen kommunaler Zusammenschlüsse gemeinsamer Haushaltsplanungen nach Maßgabe des Grades der Bedürftigkeit der beteiligten Kommunen sowie ggf. vorhandener Vermögenswerte bestimmt.
Da es zum nachgefragten möglichen Zusammenschluss der Landkreise Göttingen, Northeim und Osterode am Harz bisher keine gemeinsamen Haushaltsplanungen oder Vermögensbewertungen gibt, kann nicht gesagt werden, in welcher Höhe Entschuldungshilfen in diesem Fall konkret zu erwarten wären. Das gleich gilt für die nachgefragten „solitären Lösungen“. Insoweit ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass weder der Landkreis Göttingen noch der Landkreis Northeim für sich betrachtet die Voraussetzungen für die Gewährung einer Entschuldungshilfe erfüllen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
23.07.2012
zuletzt aktualisiert am:
05.09.2012