Nds. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen klar Logo

Der Fall „Bernd Kirchner“ - Umfang und Maßnahmen des Zeugenschutzprogramms

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 28.09.2012; Fragestunde Nr. 49


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Helge Limburg und Ursula Helmhold (GRÜNE)

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Im Rahmen der Antwort der Landesregierung auf die erste Anfrage der Abgeordneten Helge Limburg und Ursula Helmhold zu dem Komplex um den ehemaligen V-Mann G06 „Bernd Kirchner“ („Der Fall ‚Bernd Kirchner’/Einsatz von und Umgang mit V-Personen (Teil 1)“ vom 11. Januar 2012) berichtet diese, dass Herr Kirchner im Januar 2005 entsprechend den im Übrigen genannten Richtlinien aus dem Zeugenschutzprogramm der zuständigen Polizeidirektion Hannover herausgenommen wurde. Es habe aber Maßnahmen der Nachbetreuung gegeben. Zeugenschutzprogramme umfassen in aller Regel Maßnahmen und Hilfen, die gewährleisten sollen, dass die Identität des zu Schützenden geheim bleibt, sodass etwaige Gefährdungen, wie etwa Racheakte o. Ä. aus dem Umfeld eines vormaligen Einsatzfeldes, unterbleiben. Außerdem wird den zu Schützenden nach Auffassung von Expertinnen und Experten regelmäßig eine „Legende“, also ein erfundener Lebenslauf, nebst entsprechenden Dokumenten zur Verfügung gestellt, damit diese sich ein neues Leben aufbauen und auch wieder Arbeit aufnehmen können.

Die für Herrn Kirchner zuständige Arbeitsagentur erklärte dagegen, dieser habe sich noch bis zum Jahr 2010 im Zeugenschutzprogramm befunden.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche konkreten Maßnahmen und Hilfen haben die zuständigen Behörden im Rahmen des Zeugenschutzes gegenüber Herrn Kirchner angewendet bzw. veranlasst (z. B. hinsichtlich des Identitätsschutzes, Neuausstellung amtlicher Papiere wie Geburtsurkunde, (Arbeits-) Zeugnisse etc. oder im Bereich des Umfeldwechsels)?

2. Welche weiteren finanziellen und/oder beruflichen Hilfen kamen Herrn Kirchner zu, etwa um einen (Wieder-)Einstieg in ein neues Berufsumfeld nach der verdeckten Tätigkeit reibungslos sicherzustellen?

3. Trifft es tatsächlich zu, dass Herr Kirchner im Januar 2005 aus dem Zeugenschutzprogramm herausgenommen wurde, und auf welchen Vermerk bzw. Entscheid welcher zuständigen Behörde stützt sich diese Aussage der Landesregierung?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:

Zunächst verweise ich auf die Antwort der Mündlichen Anfrage Nr. 32 der Abgeordneten Helmhold und Limburg (GRÜNE); „Der Fall „Bernd Kirchner“/Einsatz von und Umgang mit V-Personen (Teil 1)“ zu TOP 28 der 127. Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20.01.2012 durch das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport.

Herr Kirchner wurde im Juni 2004 gemäß den Gemeinsamen Richtlinien der Innenminister/-senatoren und der Justizminister/-senatoren des Bundes und der Länder zum Schutz gefährdeter Zeugen in das Zeugenschutzprogramm der Polizeidirektion Hannover aufgenommen. Entsprechend den vorgenannten Richtlinien wurde er im Januar 2005 aus dem Zeugenschutzprogramm ausgestuft. Im Anschluss daran erfolgten bis zum 25.05.2011 gefahrenabwehrende Schutzmaßnahmen der Polizei. Bis zum 31.12.2011 stand Herrn Kirchner in der Polizeidirektion Hannover ein Polizeivollzugsbeamter als fester Ansprechpartner zur Verfügung.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage auf der Grundlage der Berichterstattung der Polizeidirektion Hannover namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1. und 3.:

Im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes wurde Herrn Kirchner im Jahr 2004 durch die Polizei ein neuer Wohnraum zur Verfügung gestellt. Eine Namensänderung (Legende) erfolgte unter Berücksichtigung der Wünsche von Herrn Kirchner. Herr Kirchner erhielt entsprechende Ausweisdokumente (Personalausweis, Pass, Heiratsurkunde, Führerschein, Krankenversicherungskarte, Sportfischerpass). Für die Ehefrau wurde keine Namensänderung durchgeführt, da sie nach Angaben des Herrn Kirchner „in Gefährderkreisen absolut unbekannt sei“. Identitätsabdeckende Maßnahmen wurden im erforderlichen Umfang (Sperrvermerke, Ummeldungen usw.) veranlasst. Schulzeugnisse oder Ausbildungsunterlagen zur Umschreibung auf die neuen Personalien legte Herr Kirchner nicht vor.

Vor diesem Hintergrund gestaltete sich die Arbeitssuche für Herrn Kirchner schwierig, da er keine hinreichende berufliche Qualifikation vorweisen kann. Um ihm gleichwohl eine eigenständige Einkommensquelle zu erschließen, wurden für ihn die technischen Voraussetzungen geschaffen und finanziert, um seine wirtschaftliche Lage über „Ebay-Geschäfte“ verbessern zu können.

Herr Kirchner verhielt sich im Rahmen der Betreuung durch die Polizei nicht kooperativ und wirkte bei den Maßnahmen, die zur Sicherung seiner Existenz getroffen wurden, nicht im erforderlichen Umfang mit. So machte er im Rahmen der Anspruchssicherung gegenüber der Agentur für Arbeit nur unvollständige Angaben. Dritten (Medien) gegenüber stellte er eine Verbindung zwischen seinem ehemaligen Namen und Aufenthaltsort und seinem aktuellen Aufenthaltsort und Namen her. Dadurch gefährdete er selbst die äußerst aufwändigen, zu seinem Schutz getroffenen Maßnahmen. Aufgrund dessen wurde, entsprechend den vorgenannten Richtlinien, die Zeugenschutzmaßnahme der Polizeidirektion Hannover im Januar 2005 beendet.

Gleichwohl erfolgte – angesichts einer andauernden Gefährdung – im unmittelbaren Anschluss an die Zeugenschutzmaßnahme der Polizeidirektion Hannover die Betreuung von Herrn Kirchner als „Schutzperson außerhalb des Status eines geschützten Zeugen“ durch die zentrale Zeugenschutzdienststelle im Landeskriminalamt Niedersachsen. Im März 2005 beendete die Zeugenschutzdienststelle im Landeskriminalamt Niedersachsen ihre Zusammenarbeit mit Herrn Kirchner, weil sie einen wirksamen Schutz wegen dessen fortgesetzt unkooperativen Verhaltens als unmöglich ansah. Gefahrenabwehrende Schutzmaßnahmen wurden danach erneut von der Polizeidirektion Hannover übernommen.

Ab November 2006 wandte sich Herr Kirchner mit zahlreichen Schreiben an das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport und forderte u. a. eine seiner Ansicht nach ausstehende Einlösung des Versprechens einer umfassenden Legendierung im Rahmen des Zeugenschutzes, deren (angebliches) Fehlen er für seine desolate wirtschaftliche Situation verantwortlich machte.

Eine erneut durchgeführte Überprüfung der persönlichen Situation des Herrn Kirchner ergab, dass seine Legende durch sein Verhalten erneut Schaden genommen hatte. Auch wenn hierdurch noch keine Gefährdung des Herrn Kirchner festgestellt werden konnte, wurden ab Februar 2007 noch einmal umfangreiche Legendierungsmaßnahmen getroffen. Hierbei wurde auch besonderes Augenmerk auf Belange der Arbeitsvermittlung gelegt.

Im März 2008 wurden diese Maßnahmen konzeptionsgemäß abgeschlossen. Die Übernahme der Kosten für eine private Arbeitsvermittlungsagentur wurde Herrn Kirchner bis zum 31.12.2008 zugesagt. Die Arbeitsplatzsuche gestaltete sich jedoch, wie bereits in der Vergangenheit, problematisch, da Herr Kirchner bis heute keinerlei Arbeits- und Ausbildungszeugnisse vorgelegt hat. Ungeachtet dieser Bemühungen setzte Herr Kirchner sein legendenschädigendes und absprachewidriges Verhalten fort.

Im Jahr 2011 ergab die Prüfung der Polizeidirektion Hannover, dass keine Gefährdung des Herrn Kirchner mehr vorliegt. Vor diesem Hintergrund beendete die Polizeidirektion Hannover die bis dahin noch andauernden Maßnahmen zugunsten seiner Person. Am 26.05.2011 gaben jeweils ein Beamter der Polizeidirektion Hannover und des Landeskriminalamtes Niedersachsen Herrn Kirchner in einem persönlichen Gespräch die Beendigung der Schutzmaßnahme bekannt. Herrn Kirchner wurde ein vorbereitetes Protokoll, das die förmliche Entlassung aus der Schutzmaßnahme der Polizeidirektion Hannover dokumentiert, zur Unterzeichnung vorgelegt. Nachdem Herr Kirchner in diesem handschriftliche Ergänzungen vorgenommen hatte, erfolgte die einvernehmliche Unterzeichnung durch die Beteiligten.

Zu Frage 2.:

Herr Kirchner ist bei der Agentur für Arbeit gemeldet, steht im Leistungsbezug Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - und wird seitens der Agentur für Arbeit betreut.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
01.10.2012

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln