Beantwortung der Mündl. Anfrage der FDP zur sogenannten „Identitären Bewegung“
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 28. Oktober 2016; Fragestunde Nr. 34
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Jan-Christoph Oetjen (FDP) wie folgt:
Vorbemerkung der Abgeordneten
Die sogenannte „Identitäre Bewegung“ ist seit einiger Zeit auch in Niedersachsen aktiv und wird seit 2014 vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Die Facebook-Seite der rechtsextremen Bewegung in Niedersachsen gefällt mittlerweile knapp 4.000 Menschen. Die „Identitäre Bewegung“ gibt sich mit einem modernen Internetauftritt als Jugendsubkultur, die sich vordergründig mit dem Thema Identität befasst. Eindeutig rechtsextreme Positionen und Artikel im Online-Shop der Bewegung sowie auf verlinkten Seiten machen jedoch schnell klar, wo diese Gruppierung politisch zu verorten ist.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die rechtsextremistische „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) wird seit Anfang 2014 vom Niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Im Jahresbericht 2014 wird erstmals über die Organisation berichtet. Der niedersächsische Verfassungsschutz war somit eine der ersten Landesbehörden, die in die gezielte Beobachtung der IBD eingestiegen sind. Die Positionen der IBD sind vor allem von einer zum antimuslimischen Rassismus tendierenden Islamfeindlichkeit geprägt. Die IBD behauptet eine Unvereinbarkeit und Feindschaft der Muslime mit der einheimischen Bevölkerung und schreibt ihnen unabänderliche Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen usw.) pauschal zu. Ethnische Zugehörigkeiten werden auf diese Weise kulturalisiert und religiös überhöht, auch um an bestehende fremden- und islamfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen zu können.
Ideologisch verfolgt die IBD einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zugehörigkeiten klassifiziert und bewertet. Im Mittelpunkt ihrer Ideologie steht ein kollektivistisches Begriffsverständnis von „Heimat, Freiheit, Tradition“ (so der Slogan der IBD), das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und das sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet.
Seit September 2014 ist mit der Ausweitung der Kampagnenfelder auf Asylsuchende eine weitere Radikalisierung der IBD festzustellen, auch wenn die Organisation bemüht ist, sich nach außen hin als eine gemäßigte, islamkritische, lediglich um das Wohlergehen des deutschen Volkes und dessen Fortbestand besorgte Bewegung zu inszenieren. Ziel ist die Anschlussfähigkeit der IBD an breite gesellschaftliche Kreise. Mit dem Kampagnenthema 2015 „Der große Austausch“ belegt die IBD ihre Aktionsfähigkeit und verbindet diese mit einer ideologisch-programmatischen Gesamtstrategie zur „ethnokulturellen Identität“.
Die IBD selbst organisierte sich zunächst über das Internet. Im August 2014 wurde dann der Verein „Identitäre Bewegung Deutschland e. V.“ gegründet. In Niedersachsen verfügt die IBD über etwa 50 Aktivisten, bundesweit bei ungefähr 300 Personen, die in unterschiedlicher Zusammensetzung an Aktivitäten teilnehmen. Unter den Mitgliedern der IBD dominiert die Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen. Lokale Strukturen bestehen vor allem im Raum Lüneburg/Hamburg sowie im Raum Hannover/Hildesheim. Seit Mai 2016 existiert bei Facebook allerdings nur noch das neu eingestellte Profil „Identitäre Bewegung Niedersachsen“.
1. Wie hat sich der Kreis der Aktiven sowie der Unterstützer der Bewegung in Niedersachsen seit Jahresbeginn entwickelt?
Die Identitäre Bewegung in Niedersachsen teilt sich in zwei größere örtliche Bereiche auf, in den Bereich des „südlichen Niedersachsens“ mit dem Raum Hannover/Braunschweig/ Hildesheim und in einen zweiten Bereich um Lüneburg und das südliche Hamburg. Der Organisation gehören in Niedersachsen ca. 50 Personen an. Nach dem Unfalltod des örtlichen Regionalleiters im Sommer 2015 war im Großraum Hannover zwischenzeitlich ein Rückgang an Mitgliedern und Aktivitäten festzustellen. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich auch im Raum Lüneburg. Mittlerweile hat sich dieser Trend wieder umgekehrt. Vom hohen Maß an Aktionsbereitschaft zeugt die wiederholt festzustellende Teilnahme von Mitgliedern der IBD aus Niedersachsen an Aktionen in anderen Bundesländern.
2. Welche personellen, organisatorischen und finanziellen Schnittmengen bestehen in Niedersachsen zwischen Identitärer Bewegung und den Parteien AfD, NPD und Die Rechte sowie zu rechtsextremen Kameradschaften?
Allgemein ist die IBD zwar bemüht, sich nach außen hin als eine gemäßigt islamkritische, lediglich um das Wohlergehen des deutschen Volkes und dessen Fortbestand besorgte Bewegung zu inszenieren. In den Publikationen der IBD zeigen sich jedoch unverkennbar islam- und fremdenfeindliche Positionen bis hin zu eindeutig völkisch-nationalistischen Haltungen.
Zu einzelnen Aktivisten gibt es Erkenntnisse über frühere Mitgliedschaften in anderen rechtsextremistischen Organisationen. Zu den Protagonisten der IBD gehören beispielsweise der ehemalige Stützpunktleiter der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) in Lüneburg und der ehemalige Schulungsbeauftragte der JN aus Rostock. Die Verfassungsschutzbehörden in Sachsen-Anhalt und Thüringen registrieren personelle Überscheidungen zwischen der NPD und der neonazistischen Szene bzw. der JN.
Über eine strategische Kooperation zwischen IBD und AfD bzw. der Jungen Alternative (JA) liegen in Niedersachsen bislang keine Erkenntnisse vor. Zu Einzelpersonen der JA gibt es allerdings Hinweise auf eine Betätigung bei Veranstaltungen der IBD. Thematische Überschneidungen – vor allem bezüglich der Flüchtlingsthematik und die beiderseitig festzustellende ausgeprägte Anti-Establishment-Haltung gegenüber den etablierten Medien, Parteien und Politikern könnten Anknüpfungspunkte für eine Kooperation bilden.
Über finanzielle Verflechtungen der Identitären Bewegung mit Parteien liegen derzeit keine Erkenntnisse vor.
3. Welche personellen, organisatorischen und finanziellen Schnittmengen bestehen in Niedersachsen zwischen Identitärer Bewegung und HoGeSa und deren Nachfolgegruppen sowie zur Fußballfanszene (Stadionbesuche, Werbemittelverteilung, Zielgruppenansprache, Zugehörigkeit zu Fangruppen)?
Der Polizei liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Anfrage vor. Allerdings erhielt die Polizeiinspektion Harburg im Jahr 2013 einen Hinweis auf eine möglicherweise von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene genutzte Party-Location im Raum Tostedt. In dem sozialen Netzwerk Facebook wurden auf einem öffentlich einsehbaren Gruppenprofil Fotos von der genutzten Örtlichkeit und Personen eingestellt, die an entsprechenden Feiern teilnahmen. Auf den Bildern war ersichtlich, dass sich in der Örtlichkeit u.a. eine Reichskriegsflagge und eine Fahne der Hooliganband „Kategorie C“ angebracht befanden. Weiterhin konnten Fanartikel der Fußballvereine Hertha BSC Berlin und Hamburger SV in dem Raum festgestellt werden. Die Fotos deuteten auf eine rechte Gesinnung zumindest einzelner Personen hin. Eine durchgeführte Überprüfung ergab, dass die Örtlichkeit sich auf dem Grundstück einer Person befand, die später aktiv als Angehöriger der IBD in Erscheinung trat. Konkrete Erkenntnisse über eine Zugehörigkeit dieser Person zur aktiven Fanszene liegen jedoch nicht vor. Das entsprechende Facebookprofil der Gruppe ist nicht mehr aufrufbar. Weitere Erkenntnisse über dort stattgefunde Treffen liegen nicht vor.