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Beantwortung der Mündl. Anfrage der CDU zu Salafisten

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 19. Februar 2016; Fragestunde Nr. 20

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Editha Lorberg (CDU) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

Mit dem Landeshaushalt 2016 wurden Finanzmittel für das Justiz- und das Innenministerium beschlossen, die für Aussteigerprogramme aus dem Islamismus eingesetzt werden sollten.

Bis Ende 2013 gab es in Niedersachsen eine Aussteigerberatung für Salafisten beim niedersächsischen Verfassungsschutz.

Dieses wurde zusammen mit dem Handlungskonzept gegen Islamismus von der Landesregierung im Dezember 2013 ersatzlos eingestellt. Das im April 2015 eingerichtete Projekt beRATen e. V. bietet eine solche Aussteigerberatung nicht an.

Vorbemerkung der Landesregierung

Islamismusprävention ist eine Herausforderung, die ausschließlich im Zusammenwirken staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure gelingen kann. Ähnlich verhält es sich mit der Ausstiegsarbeit im Bereich des Islamismus/Salafismus. Auch hier bedarf es einer Kooperation unterschiedlicher Stellen, um ein passgenaues Angebot für diejenigen bereitstellen zu können, die islamistischen Ideologien, Szenen und Lebenswirklichkeiten den Rücken kehren möchten.

Einschlägige Kenntnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Aussteigerprogramms für Islamisten über deren Ideologien sind zwar notwendig, reichen jedoch bei weitem nicht aus, um erfolgreiche Ausstiegsarbeit zu gewährleisten. Insbesondere sind es fundierte, sozialpädagogische Kenntnisse sowie die Erfahrung im Umgang mit sich deviant verhaltenden jungen Menschen, die für die Ausstiegsarbeit Relevanz entfalten. Die Erfahrungen aus den seit Jahren erfolgreich praktizierten Aussteigerprogrammen im Bereich Rechtsextremismus können als beispielhaft gelten. Die Rekrutierungsmechanismen funktionieren in den beiden Phänomenbereichen ähnlich und die Bedürfnisse von jungen Menschen, die über die Zuwendung zu extremistischen Szenen befriedigt werden, sind weitestgehend dieselben. Dem entsprechend sind auch die Ausstiegsmechanismen und die dafür notwendigen Hilfestellungen durch ein Aussteigerprogramm größtenteils deckungsgleich.

Nicht zuletzt muss ein erfolgreiches Aussteigerprogramm in der Bevölkerung bekannt und akzeptiert sein.

Das Aussteigerprogramm, das bis Ende 2013 kurzzeitig im Niedersächsischen Verfassungsschutz eingerichtet war, verfolgte gute Ansätze, entsprach aber nicht den oben genannten Kriterien für eine adressatengerechte und erfolgreiche Ausstiegsarbeit. In der Konsequenz wurde es in dem damaligen Format eingestellt.

Nach dem Regierungswechsel in Niedersachsen 2013 musste seitens der Landesregierung zunächst verloren gegangenes Vertrauen vor allem in der muslimischen Bevölkerung wiederhergestellt werden. Folgerichtig wurde beschlossen, eine Beratungsstelle für Islamisten/Salafisten einzurichten, die auch von der muslimischen Bevölkerung bzw. den muslimischen Verbänden maßgeblich mitgetragen wird. Somit wurde das Niedersächsische Sozialministerium mit der Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen Beratungsstelle zur Prävention neosalafistischer Radikalisierung beauftragt. Seit Anfang 2015 leistet das Team der Beratungsstelle beRATen e. V. wertvolle Arbeit.

1. Welche Angebote gibt es in Niedersachsen für Personen, die aus dem Islamismus/Salafismus aussteigen wollen?

Um eine gesellschaftliche und soziale Reintegration zu unterstützen, bedarf es einer engen und umfassenden Begleitung potenzieller Aussteigerinnen und Aussteiger.

Dabei kommt einer Vernetzung der relevanten Akteurinnen und Akteure eine besondere Bedeutung zu. Die Entwicklung von effektiven Ansätzen und Strukturen, um dieser Herausforderung gerecht werden zu können, ist in Niedersachsen bereits ressortübergreifend angelaufen.

Der Verein für jugend- und familienpädagogische Beratung Niedersachsen – beRATen e.V. wurde unter der Federführung des Sozialministeriums gegründet und bietet als Träger der im April 2015 eingerichteten Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistsicher Radikalisierung adäquate Beratungsformen für Angehörige und von neo-salafistischer Radikalisierung betroffene junge Menschen an. Deradikalisierung setzt ein aktives Mitwirken der Betroffenen im Sinne einer Distanzierung voraus. Hierzu zählen ein Mindestmaß an Offenheit und Selbstreflexion. Nur dann können entsprechende Maßnahmen eine nachhaltige Wirkung entfalten. Personen aus Niedersachsen, die aus dem salafistischen Spektrum aussteigen wollen, finden bei der Beratungsstelle im Rahmen individueller Beratungs- und Begleitungsprozesse auch fachliche Unterstützung und Informationen bei der Distanzierungsarbeit. Dies ist Teil eines Maßnahmenbündels, das weitere Maßnahmen insbesondere aus dem Bereich der Sicherheitsbehörden, der Justiz und ggf. des Strafvollzuges, der Jugendhilfe sowie weiterer sozialräumlicher Institutionen und Verbände einschließen muss.

Das bereits erfolgreich laufende Aussteigerprogramm „Aktion Neustart“ für Rechtsextremisten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes spricht potenzielle Aussteiger proaktiv an und setzt verstärkt auf die Arbeit über und in den Sozialen Netzwerken. Ausgehend von den hier vorhandenen Erfahrungen und den Erfahrungen des bereits bestehenden Aussteigerprogramms für gewaltbereite Islamisten im Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen wird deutlich, dass das Konzept von Aktion Neustart auf den Islamismusbereich ausgeweitet werden kann. Derzeit wird ein Konzept für ein Aussteigerprogramm Salafismus im Niedersächsischen Verfassungsschutz abgestimmt, um insbesondere sicherheitsrelevante Ausstiegsfälle betreuen zu können.

In Zusammenarbeit mit dem Violence Prevention Network (VPN) aus Berlin wurde zwischen August und November 2015 ein Konzept zur „De-Radikalisierung und Ausstiegsbegleitung im Justizvollzug des Landes Niedersachsen“ erarbeitet. Das Konzept ist abgestimmt, die Finanzierung ( ca. 170.000,00 Euro pro Jahr) für 2016 durch den Landtag gesichert.

Das Konzept umfasst: die Beratung der Mitarbeiter(innen) der Niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen; Diagnostische Gespräche mit Gefangenen; Beratung, Begleitung und spezifisches Training für Radikalisierte in der Straf- und Untersuchungshaft (auch Ausreisewillige und sog. Rückkehrer(innen)); Übergangsmanagement: Stabilisierungscoaching und Reintegration nach der Haftentlassung; Einbeziehung des sozialen Umfeldes während des Trainings und während der Reintegration; Anti-Gewalt- und Kompetenztraining im Jugendvollzug für radikalisierungsgefährdete Personen bzw. Radikalisierte im frühen Stadium.

Die Betreuung wird durch zwei Mitarbeiter(innen) von VPN mit jeweils 30 Wochenstunden flächendeckend in Niedersachsen implementiert und umgesetzt. Mit dem Konzept ist sichergestellt, dass allen islamistisch radikalisierten Gefangenen (auch den sog. Gefährdeten und den sog. Rückkehrern) ein wirksames Konzept zur De-Radikalisierung und Ausstiegsbegleitung im Niedersächsischen Justizvollzug angeboten werden kann und die Zeit im Vollzug bestmöglich genutzt wird. Ferner werden die Bediensteten der Justizvollzugseinrichtungen fortlaufend geschult, beraten und erhalten dabei feste Ansprechpartner(innen) von VPN.

Durch die Kooperation der Beratungs- bzw. Ausstiegsprogramme beRaten e.V., Aktion Neustart und VPN in der Justiz wird sichergestellt sein, dass jeder Ausstiegswillige eine für seine Lebensumstände und Bedürfnisse passgenaue Ausstiegsbegleitung erfährt.

2. Plant die Landesregierung ein neues ressortübergreifendes Handlungskonzept gegen Salafismus und Islamismus?

Die Verzahnung und Kooperation aller Akteure des Themenfeldes Salafismusprävention in Niedersachsen ist gewährleistet. Im Rahmen einer etablierten ressortübergreifenden Netzwerkarbeit (u.a. regelmäßige Treffen im Sozialministerium, enge Verzahnung der Sicherheitsbehörden, Einrichtung der „Arbeitsgruppe Islamistische Radikalisierung (AGiR)“ im MJ, Einrichtung der Präventionsstelle Politisch motivierte Kriminalität (PPMK), Einrichtung des Fachgebiets der Prävention im Verfassungsschutz, Aktivitäten des Landespräventionsrates), werden zwischen den Ministerien die jeweiligen Präventions- und Interventionsansätze in dem immer noch sehr dynamischen Themenfeld Salafismus/Islamismus abgestimmt und weiterentwickelt. Im Sinne des ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes wird in jedem Einzelfall umfassend und fortlaufend geprüft, welche Maßnahmen gegen islamistische/salafistische Bestrebungen bzw. die hiermit im Zusammenhang stehenden Personen in Betracht kommen und zweckmäßig sind. Art und Umfang der Maßnahmen richten sich hierbei nach den vorliegenden Erkenntnissen und der Bewertung des Gefährdungspotenzials sowie den rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen und des besten Ansatzes.

In Abstimmung befinden sich zudem Ansätze zur Unterstützung der (Re-) Integration von Rückkehrerinnen und Rückkehrern.

3. Welche Moscheen in Niedersachsen gelten als Treffpunkte der islamistischen und salafistischen Szene?

Moscheen mit islamistischer Ausrichtung sind über ganz Niedersachsen verteilt, vor allem in den Ballungsräumen Hannover / Hildesheim und Braunschweig / Wolfsburg. Ein Focus liegt bei der Beobachtung vor allem auf den salafistischen Objekten.

Hierzu zählen insbesondere die folgenden, bereits im Verfassungsschutzbericht 2014 erwähnten, salafistisch dominierten Beobachtungsobjekte des niedersächsischen Verfassungsschutzes:

  • Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft in Braunschweig,
  • Deutschsprachiger Islamkreis e.V. Hannover und
  • Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e.V.

Weitergehende Informationen können auf Wunsch im vertraulichen Teil in einer der nächsten Sitzungen des Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vorgetragen werden.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.02.2016

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