Beantwortung der Mündl. Anfrage der CDU zu Rechtsextremismus
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16. September 2016; Fragestunde Nr. 17
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Editha Lorberg (CDU) wie folgt:
Vorbemerkung der Abgeordneten
In der Ausgabe vom 27. August 2016 berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) über völkische Siedler im ländlichen Raum („Die Bio-Nazis von nebenan“), die mit rechtsextremem Gedankengut Dorfstrukturen unterwandern wollten.
Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in der Lüneburger Heide und im Wendland hätten sich Familien niedergelassen, die weder harmlose „Ökos“ noch nostalgische Mittelalterhandwerker seien. Die HAZ schreibt hierzu:
„Die harmlos wirkenden Nachbarn arbeiten als Bauern, Imker oder Kunsthandwerker. Nach außen hin fallen die gut getarnten Rechtsextremisten unter der einheimischen Landbevölkerung kaum auf. Die Männer tragen lange Bärte und Zimmermannshosen. Die Frauen helfen beim Melken und organisieren Nachbarschaftshilfe. Ihre Ziele sind allerdings andere. Sie wollen Dorfstrukturen unterwandern und rechtsextremes Gedankengut verbreiten.
Einige von ihnen nennen sich ‚Neo-Artamanen‘, einer war Anführer in der inzwischen verbotenen militanten ‚Heimattreuen Deutschen Jugend‘ (HDJ), ein anderer führend in der Berliner NPD.
Auch in anderen dünn besiedelten Gegenden mit niedrigen Bodenpreisen haben sich ‚nationale Dorfgemeinschaften‘ gebildet, die neben ihren Häusern eigenes Land bewirtschaften und Bioprodukte zum Verkauf anbieten. Das Siedlungsgebiet reicht von Wismar und Bad Doberan über Ludwigslust und das Wendland bis hin zur Lüneburger Heide und nach Sachsen-Anhalt.
Das Innenleben der Höfe ist gut abgeschirmt. Wenn etwas nach außen dringt über diese unheimliche Szene, dann durch Aussteiger. Die 16-jährige Rebekka (Name ist von der Redaktion geändert) war gezwungen, in der Szene zu leben. Der Geliebte ihrer Mutter ist ein rassistischer Neonazi, er lebt als völkischer Siedler. Rebekka spürte das am eigenen Leib. Der Freund ihrer Mutter wollte sie ‚deutscher‘ machen. Häufig habe er sie geschlagen. Sie ritzte sich anschließend mit einer Rasierklinge die Unterarme auf, ‚um Druck abzubauen‘, wie sie erzählt.“
Vorbemerkung der Landesregierung
Der Niedersächsische Verfassungsschutz beobachtet im Rahmen der ihm nach dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) zugewiesenen Aufgaben Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Die Eingriffsschwelle für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist gesetzlich klar festgelegt und damit verbindlich für die Arbeit des Verfassungsschutzes. Demnach müssen tatsächliche Anhaltspunkte (§ 5 Abs. 1 NVerfSchG) für eine extremistische Bestrebung vorliegen. Dabei ist für eine entsprechende Zuordnung einer Organisation das Gesamtbild der Organisation maßgebend, d.h. das Zusammenspiel personeller, institutioneller und programmatischer Faktoren, die für ihre Ausrichtung und ihr Auftreten in der Öffentlichkeit prägend sind. Es reicht infolgedessen nicht aus, die Beobachtung einer Organisation nur auf Verlautbarungen eines einzelnen (führenden) Funktionsträgers zu stützen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind nach § 4 Abs. 1 Satz 3 NVerfSchG nur dann Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des NVerfSchG erheblich zu beschädigen.
Der Personenkreis der „völkischen Siedler“ ist aus diesen Gründen kein Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes.
Der völkische Kollektivismus ist jedoch in unterschiedlicher Ausprägung ein für viele rechtsextremistische Organisationen charakteristisches Ideologieelement. Es gehört zum Selbstverständnis völkischer Organisationen, Brauchtumsfeiern, aber auch Kinder- und Jugendlager sowie Volkstanz- und Musikwochenenden durchzuführen. Diese Veranstaltungen dienen dem Zusammenhalt der Gemeinschaft und fanden in der Vergangenheit u.a. auch in der Lüneburger Heide statt.
1. Leben Personen in Niedersachsen, die dem Kreis der „völkischen Siedler“ oder den „Neo-Artamanen“ zuzurechnen sind, und, wenn ja, wie viele und wo?
Im Rahmen der Beobachtung der völkischen Organisationen wurde bekannt, dass vereinzelt Familien, die dieser Gruppierung zugerechnet werden können, ihren Lebensmittelpunkt in den Landkreisen Lüchow-Dannenberg, Uelzen und Lüneburg haben, teilweise seit Generationen. Erkenntnisse zu völkischen Siedlungsprojekten oder zu einem verstärkten Zuzug von Rechtsextremisten in die genannten Landkreise liegen dem Verfassungsschutz jedoch nicht vor.
Das Flächenland Niedersachsen bietet für völkisch orientierte Menschen eine Vielzahl von Niederlassungsmöglichkeiten. Zahlenmäßige Angaben sind nicht möglich, da statistische Erhebungen über den Zuzug von „völkischen Siedlern“ nicht durchgeführt werden.
2. Wie sind die völkischen Siedler strukturiert, und aus welchen Mitteln werden diese Strukturen finanziert?
Dem Verfassungsschutz liegen aus den in der Vorbemerkung genannten Gründen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.
3. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen oder hat sie bereits ergriffen, um rechtsextreme Strukturen und die Unterwanderung von Dorfstrukturen durch rechtsextremes Gedankengut dieser Gruppierung zu verhindern bzw. zu unterbinden?
Die Ideologie der „völkischen Siedler“ bzw. völkischen Organisationen wird vom Niedersächsischen Verfassungsschutz regelmäßig im Rahmen von Lehrerfortbildungs- und sonstigen Vortragsveranstaltungen sowie im Rahmen von Führungen durch die Wanderausstellung „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“ angesprochen.
Darüber hinaus wurde bereits im Jahre 2004 im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport eine Beauftragte/ein Beauftragter für Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund installiert. Die Tätigkeit der/des Beauftragten ist seit 2007 in das Beratungskonzept des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zur „Förderung von Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextremismus in Kommunen“ eingebunden.
Wesentliche Aufgabe der/des Immobilienbeauftragten sind die Weitergabe vorhandener Erfahrungswerte, die rechtliche Beratung der betroffenen Kommunen, die Koordinierung der beteiligten Behörden und die Vermittlung von Kontakten zu sachverständigen Stellen.