Beantwortung der mdl. Anfrage der FDP zur Kriminalitätsstatistik 2013
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.05.2014; Fragestunde Nr. 58
Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten
Abgeordnete Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner und Jan-Christoph Oetjen (FDP).
Die Abgeordnete hatte gefragt:
In Niedersachsen sind im Jahr 2013 mehr politisch motivierte Straftaten erfasst worden. Im Vergleich zu 2012 ist deren Anzahl um 32 % angestiegen. Wurden im Jahr 2012 noch etwa 2 500 politisch motivierte Straftaten erfasst, so ist deren Anzahl 2013 auf etwa 3 300 gestiegen. Diese Zahlen ergeben sich aus der kürzlich von Landesinnenminister Boris Pistorius vorgestellten Statistik zu politisch motivierten Straftaten.
Für den Anstieg sieht Pistorius neben Bundestagswahl und Landtagswahlen auch den Trauermarsch in Bad Nenndorf am 3. August. 2013. Auf die drei Anlässe entfielen etwa 1 100 Straftaten. Aufgrund des hohen Anteils der drei Anlässe an der Gesamtzahl politisch motivierter Straftaten forderte Innenminister Pistorius eine Überarbeitung der Qualifizierungsmerkmale für die Statistik. „Die wirklich bedrohlich motivierte Kriminalität dürfe nicht verwässert werden und im schlimmsten Fall unentdeckt bleiben, weil sie in einen Topf mit singulär auftretendem bürgerlichen Protest geworfen wird“, führte der Minister aus.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Welche Form der Kriminalität meint Minister Pistorius mit „singulär auftretendem bürgerlichen Protest“?
2. Wie bewertet Innenminister Pistorius die Straftaten, die im Rahmen eines Protestes gegen eine genehmigte Demonstration am 3. August 2013 in Bad Nenndorf aufgetreten sind, und inwieweit hält er diese für gesellschaftlich wertvoll?
3. Welche Kategorien politisch motivierter Straftaten kann sich die Landesregierung bei einer differenzierten Erfassung vorstellen?
Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Der niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, hat am 28.04.2014 die Statistik der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) für das Jahr 2013 vorgestellt.
Nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) wurde bundesweit im Jahr 2001 ein einheitlicher Kriminalpolizeilicher Meldedienst - Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) eingeführt, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Auswertung und Lagedarstellung zu ermöglichen.
In Niedersachsen wurden im Jahr 2013 insgesamt 3340 Delikte registriert, die nach den aktuell geltenden Definitionen als politisch motivierte Kriminalität gezählt werden. Die Gesamtfallzahl stieg in Niedersachsen gegenüber dem Vorjahr um insgesamt 818 Taten, diese Zunahme beträgt 32,4 %.
Der Anstieg der Fallzahlen hängt mit einer Vielzahl von Straftaten zu drei besonderen Anlässen im vergangenen Jahr zusammen:
1. - die Ereignisse im Zusammenhang mit dem sogenannten „Trauermarsch“ der rechten Szene in Bad Nenndorf (661 Delikte),
2. - die Bundestagswahl (329 Delikte),
3. - die niedersächsische Landtagswahl (109 Delikte).
Allein im Zusammenhang mit diesen drei Anlässen wurden im Jahr 2013 insgesamt 1099 PMK-relevante Straftaten registriert (also ein knappes Drittel der Gesamtzahlen). Den Schwerpunkt der als politisch motivierte Straftaten registrierten Fälle bildeten dabei insbesondere die Sitzblockaden des bürgerlichen Spektrums, beispielsweise Angehörige von ortsansässigen Vereinen und Bürgerinitiativen, in Bad Nenndorf. Insbesondere diese Tatsache zeigt, dass die Kriterien, nach denen seit 2001 unverändert die politisch motivierte Kriminalität bundeseinheitlich erfasst und kategorisiert wird, überarbeitet werden müssen. Bereits der 2. Parlamentarische Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode des Bundestages (PUA-NSU) hat in seinem Abschlussbericht eine solche Überarbeitung als notwendig erachtet.
Wie bereits angekündigt wird sich Innenminister Boris Pistorius deshalb auf der kommenden Frühjahrskonferenz der Innenminister für eine Überarbeitung der Kriterien einsetzen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die bei dem zuvor genannten Anlass 1) im Zusammenhang mit Sitzblockaden begangenen Straftaten des bürgerlichen Spektrums wurden von Innenminister Pistorius als „singulär auftretender bürgerlicher Protest“ bezeichnet. Singulär meint den Anlass des sogenannten „Trauermarsches“ der rechten Szene.
Zu 2.:
Im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen am 03.08.2013 in Bad Nenndorf äußerte sich der Protest des bürgerlichen Spektrums u. a. in Form von Sitzblockaden auf der Straße. Dadurch haben einige Bürgerinnen und Bürger die gesetzlichen Grenzen des Versammlungsrechts überschritten, sodass strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Annähernd 90 % dieser Verfahren sind von der zuständigen Staatsanwaltschaft mittlerweile gemäß §§ 153, 153a StPO und § 45 JGG eingestellt worden.
Der Innenminister unterstreicht nicht zuletzt durch seine persönliche Teilnahme an Demons-trationen die besondere Bedeutung der verfassungsrechtlich normierten Versammlungsfreiheit sowie das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.
Im Rahmen der Versammlungsfreiheit ist der durch die persönliche Teilnahme geäußerte Protest gegen Rechtsradikale und deren Gedankengut ein Zeichen der Geschlossenheit der Bürgerinnen und Bürger und deren Zivilcourage. Sofern es dabei zu Straftaten kommt, wird dies missbilligt und ist auf Basis der bestehenden Gesetze zu verfolgen.
Zu 3.:
Das Ergebnis einer möglichen Überarbeitung unter Hinzuziehung von Expertenwissen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft kann aufgrund der Komplexität des Themas nicht vorweg genommen werden.