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Abschiebungen im Jahr 2012 in NDS, BW und NRW

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 14.03.2013; Fragestunde Nr. 12


Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordnete Thomas Adasch (CDU)

Der Abgeordnete hatte gefragt:

In den Wahlprogrammen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Landtagswahlkampf 2013 nahm die Flüchtlingspolitik eine zentrale Rolle ein. Dem folgend, enthält der Koalitionsvertrag dieser Parteien die Ankündigung eines Paradigmenwechsels in der Flüchtlingspolitik.

Die Praxis bei Abschiebungen der niedersächsischen Ausländerämter wurde in den Medien während der 16. Wahlperiode des niedersächsischen Landtages häufig als besonders rigide und unangemessen bezeichnet. Insbesondere dem ehemaligen niedersächsischen Innenminister, Herrn Uwe Schünemann, wurde eine „harte Hand“ unterstellt, beispielsweise in der Welt am Sonntag vom 18. November 2012.

In der Aussprache zur Regierungserklärung erklärte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Frau Anja Piel: „… der Name Schünemann steht für eine Politik, die nicht davor zurückschreckte, Familien bei Nacht und Nebel auseinanderzureißen …“

Vor diesem Hintergrund ist ein Vergleich mit Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg aufschlussreich, um zu sehen; ob sich in diesen Ländern die Praxis der Abschiebung im Vergleich zu Niedersachsen unterscheidet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob es in diesen Ländern zu einer unterschiedlichen Handhabung von Nachtabschiebungen gekommen ist.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Abschiebungen gab es im Jahre 2012 in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, und zwar berechnet auf 100 000 Einwohner der Bundesländer?

2. Wie viele Nachtabschiebungen, also Abschiebungen, die zwischen 22.00 und 6.00 Uhr begonnen haben, gab es im Jahre 2012 in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen?

3. Erkennt die Landesregierung qualitative Unterschiede in der Abschiebepraxis im Jahre 2012 zwischen den Bundesländern Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:

Die Abschiebepraxis in Niedersachsen hat in den vergangenen Jahren immer wieder Anlass für Kritik gegeben. Einzelne Fälle, wie zum Beispiel der der Familie Nguyen aus Hoya und derjenige der Gazale Salame aus Hildesheim, haben bundesweit für traurige Aufmerksamkeit gesorgt. Die neue Niedersächsische Landesregierung wird den von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkampf angekündigten Paradigmenwechsel in der Flüchtlings- und Asylpolitik zügig in die Realität umsetzen.

Im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport wird zur Zeit ein Erlass vorbereitet, der den am Rückführungsvollzug beteiligten Behörden (die kommunalen Ausländerbehörden, die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen und das Landeskriminalamt Niedersachsen, das für die Buchung der Abschiebungsflüge zuständig ist) klare Vorgaben für den von der Landesregierung angekündigten Paradigmenwechsel im Abschiebungsvollzug macht. Abschiebungen werden unter Beachtung des geltenden Rechts künftig so organisiert, dass die Belastungen für die betroffenen Ausländer und Ausländerinnen so gering wie möglich sind.

Die freiwillige Rückkehr der ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer hat vor allen Regelungen zum Rückführungsvollzug absoluten Vorrang. Dazu werden alle rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Optionen genutzt, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, innerhalb der vorgegebenen Fristen freiwillig und mit finanzieller Unterstützung in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Freilich sind die Ausländerbehörden bei Ausreisepflichtigen, die die Angebote zur freiwilligen Rückkehr missachten und die Erfüllung der Ausreisepflicht beharrlich verweigern, gesetzlich verpflichtet, die Ausreisepflicht auch mit Zwang durchzusetzen. Allerdings werden die Ausländerbehörden zukünftig noch stärker jeden individuellen Fall unter dem Gesichtspunkt des von der Landesregierung verfolgten Zieles einer an humanitären Gesichtspunkten orientierten Ausländerpolitik zu prüfen haben. Hierzu gehört zum Beispiel die Frage, welche Belange des Einzelnen zu berücksichtigen sind, um bei der Vorbereitung und Durchführung der Abschiebungsmaßnahme die Belastungen für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten. Das gilt insbesondere für Personengruppen mit einem erhöhten Betreuungsaufwand, wie zum Beispiel bei Familien oder Alleinerziehenden mit kleinen Kindern, Schwangeren, unbegleiteten Minderjährigen und erkrankten, behinderten oder älteren Personen. Es ist das erklärte Ziel der neuen Landesregierung, Trennungen von Familien zu vermeiden.

Niedersachsen wird sich der Praxis anderer Bundesländer (unter anderem Berlin) anschließen und sogenannte Direktabschiebungen organisieren. Den Ausreisepflichtigen wird demnach der Abschiebungstermin vorher bekanntgegeben. Bei künftigen Buchungen von Abschiebungsflügen wird darauf geachtet, dass frühmorgendliche oder nächtliche Abholzeiten nicht erforderlich werden. Hierbei wird in jedem Einzelfall abzuwägen sein, welche zusätzlichen Erschwernisse die Abzuschiebenden zu erwarten haben, wenn die Betroffenen in der Frühe oder spät am Abend am Zielflughafen ankommen, so dass eine unmittelbare Weiterreise in die jeweiligen Heimatorte nicht erfolgen kann.

Unter Beachtung des Vorrangs der freiwilligen Ausreise und der neuen Vorgaben zum Abschiebungsvollzug soll die Abschiebungshaft künftig entbehrlich werden. Sie soll möglichst nur noch in den Fällen angeordnet werden, in denen rechtskräftig ausgewiesene Straftäter oder Ausländer, die entgegen eines bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots eingereist sind, betroffen sind. Niedersachsen wird auch hier einen neuen Weg gehen und zumindest versuchsweise die Möglichkeit eröffnen, durch die Bereitstellung einer Kaution, die auch von Dritten geleistet werden kann, auf Abschiebungshaft zu verzichten und eine Abschiebung aus der Freiheit heraus zu organisieren. Hierzu bedarf es allerdings noch weiterer Absprachen mit den beteiligten Behörden, um die praktische Durchführbarkeit möglichst ohne zusätzlichen Aufwand für die Beteiligten zu organisieren.

Die Praxis des Rückführungsvollzugs wird seit fast zwanzig Jahren zwischen den Ländern, dem Bundesministerium des Innern und der Bundespolizei eng abgestimmt. Dazu hat die ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) mit Beschluss vom 14.05.1993 die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung (AG Rück) eingerichtet. Sie hat die Aufgabe, alle mit der Vorbereitung und Durchführung der Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern im Zusammenhang stehenden Fragen zu prüfen und unter Berücksichtigung der individuellen Rechte und Belange der ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Niedersachsen wird sich hier im Sinne des von der Landesregierung angestrebten Paradigmenwechsels auf Bundesebene einbringen. Dies wird nicht nur über den Bundesrat, sondern auch über die IMK und die AG Rück erfolgen.

Die Niedersächsische Landesregierung ist im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bestrebt, sogenannte „Nachtabschiebungen“ bei denen die Ausreisepflichtigen in der Zeit zwischen 22.00 Uhr des Vortages und 06.00 Uhr morgens (im Regelfall liegt die Abholzeit nach 03.30 Uhr) aus ihren Wohnungen abgeholt werden müssen, zu vermeiden. Schwierigkeiten bereitet hierbei nicht selten die Tatsache, dass die Abholzeiten derzeit in aller Regel von den für Abschiebungsflüge nutzbaren Flugverbindungen, Abflug- und Abfertigungszeiten bestimmt werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Ankunftszeit am Zielflughafen den Ausreisepflichtigen noch am selben Tag eine Weiterreise in ihre Heimatorte und möglichst eine Ankunft bei Tageslicht ermöglichen soll. Auch hierzu wird sich Niedersachsen auf Bundesebene für neue Wege einsetzen, die dem Gedanken der Humanität besser Rechnung tragen, als dies bislang der Fall ist. Die Abholung am Tag vor der Abschiebung und eine damit verbundene kurzzeitige zwangsweise Ingewahrsamnahme der ausreisepflichtigen Personen (Abschiebungshaft) kann hierbei keine Lösung sein. Die Landesregierung wird das bisherige Verfahren daher auf den Prüfstand stellen und alle denkbaren Alternativen in Erwägung ziehen, um nächtliche oder frühmorgendliche Abholzeiten beim Vollzug von Abschiebungen künftig möglichst ganz zu vermeiden.

Grundsätzlich gilt bei alledem: Der Paradigmenwechsel in der Flüchtlings- und Asylpolitik beginnt in den Köpfen. Der Landesregierung ist es daher besonders wichtig, die zahlreichen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den am Rückführungsvollzug beteiligten Behörden behutsam mit auf den Weg zu nehmen. Sie wird geeignete Maßnahmen treffen, um eine noch stärkere Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sinne der neuen, an humanitären Gesichtspunkten orientierten Flüchtlings- und Asylpolitik zu erreichen. Erreicht werden soll ein Umdenken im Sinne eines sensibleren Umgangs mit den Betroffenen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1:

Land

Gesamtzahl der

Abschiebungen

im Jahr 2012

Einwohner

(gerundet)

Abschiebungen

je 100.000 Einwohner

im Jahr 2012

Baden-Württemberg

763

10,8 Mio

7,1

Niedersachsen

563

7,9 Mio

7,1

Nordrhein-Westfalen

2.103

17,8 Mio

11,8

Zu Frage 2:

In den Ländern Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es keine statistische Erfassung zu den Abholzeiten bzw. zum zeitlichen Beginn der jeweiligen Vollzugsmaßnahme.

Zu Frage 3:

Es gibt keine systematische vergleichende Bewertung der Abschiebungspraxis in den Ländern Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, die es erlauben würde, nach objektiven Kriterien eine Aussage zur Qualität des Rückführungsvollzugs in diesen Ländern zu treffen.

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erstellt am:
14.03.2013

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