Antiterrorgesetze in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 27.05.2011; Fragestunde Nr. 3
Der Abgeordnete hatte gefragt:
In der Bundesrepublik wird aktuell über eine erneute Verlängerung der umstrittenen Antiterrorgesetze gestritten, die nach 2007 nunmehr am 10. Januar 2012 auslaufen. Während CDU/CSU und Bundesinnenminister Friedrich eine weitere Verlängerung der Gesetze fordern, will die liberale Bundesjustizministerin eine konkrete Evaluierung der Einzelmaßnahmen und danach eine Entscheidung treffen. Schon bei dem ersten Evaluierungsbericht des Gesetzes im Juni 2010 kam es zu Streit zwischen Innen- und Justizministerium, auch weil der Bericht keine verfassungsrechtliche Bewertung enthielt, aber dennoch empfahl, alle Gesetze unbefristet weiterlaufen zu lassen und sogar mit einer Zugriffsmöglichkeit auf Schließfächer zu erweitern. Erst der dann kurzfristig beauftragte Staatsrechtler Heinrich Amadeus Wolff von der Europa-Universität Viadrina nahm diese Bewertung vor und kritisierte z. B. den fehlenden Rechtsschutz für Betroffene und die mangelnde Beteiligung der G-10-Kommission des Bundestages bei den Maßnahmen nach den Antiterrorgesetzen. Der Jurist bemängelt in seinem Bericht, „dass außerhalb der Nachrichtendienste und des zuständigen Ministeriums keine Stelle den Vorgang sieht und kontrolliert“.
Die Antiterrorgesetze des Bundes wurden teilweise auch in niedersächsisches Landesrecht überführt, wie z. B. in das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie und warum haben sich nach Auffassung der Landesregierung die einzelnen erweiterten Befugnisse der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde bewährt?
- Sieht die Landesregierung neben den derzeit geltenden Regelungen noch Schutzlücken im niedersächsischen Sicherheitsrecht, wenn ja, wo bestehen diese, um welche Normen handelt es sich, und was soll gegebenenfalls geändert werden?
- Wie beurteilt sie die Kritik des Staatsrechtlers Wolff u. a. zu dem ungenügenden Rechtsschutz gegen die Auskunftsverpflichtungen u. a. durch Telemediendienste und Luftfahrtunternehmen, und welche Schlüsse wird sie hieraus für die niedersächsischen Gesetze ziehen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Auch der niedersächsische Gesetzgeber hat 2004 Konsequenzen aus den Anschlägen vom 11. September 2001 sowie den weiteren Anschlägen gezogen und in Anlehnung an das Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes die gesetzlichen Instrumentarien der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde mit dem Gesetz zur Änderung verfassungs- und geheimschutzrechtlicher Vorschriften vom 27. Januar 2004 fortentwickelt. Insbesondere wurden - wie auf Bundesebene - Besondere Auskunftspflichten für Luftfahrtunternehmen, Banken, Post-, Telemedien- und Telekommunikationsunternehmen, sowie der Einsatz des sog. IMSI-Catchers zur Ermittlung der Geräte- und Kartennummer eines aktiv geschalteten Mobiltelefons in das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) neu eingeführt. Zudem wurden im Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) Regelungen zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz aufgenommen, die eine Sicherheitsüberprüfung für Personen vorsehen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen in lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen tätig sind.
Diese als besonders sensibel bewerteten Regelungen aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes wurden mit einer Befristung bis zum 2. Februar 2009 (Artikel 6 Abs. 3) versehen. Darüber hinaus wurde eine Überprüfung durch den Landtag auf der Grundlage eines Berichts der Landesregierung vorgesehen (Artikel 4).
Diesem Bericht der Landesregierung vom 6. Juni 2008 (Bericht der Landesregierung vom 6. Juni 2008 nach Artikel 4 des Gesetzes zur Änderung verfassungs- und geheimschutzrechtlicher Vorschriften vom 27. Januar 2004 [Nds. GVBl. S. 35] – Drs. 16/341) ist zu entnehmen, dass sich die Besonderen Auskunftspflichten von Luftfahrtunternehmen, Banken, Post-, Telemedien- und Telekommunikationsunternehmen und auch der Einsatz des IMSI-Catcher grundsätzlich bewährt haben. Sie wurden in unterschiedlichen Fallgestaltungen angewendet und haben für die Aufgabenerfüllung neue Ermittlungsansätze und Belege für vermutete Geschehensabläufe erbracht. Auch der Umfang, das Ergebnis und die Kosten der Sicherheitsüberprüfungen, die im Rahmen des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes durchgeführt wurden, können diesem Bericht entnommen werden.
Der Landtag hat den Bericht der Landesregierung am 16.07.2008 an den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes überwiesen, wo er in der Sitzung am 23.09.2008 beraten wurde.
Die positiven Ergebnisse der Überprüfung der 2004 in Niedersachsen eingeführten neuen Maß-nahmen aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes, haben Anfang 2009 zu der Entscheidung des niedersächsischen Gesetzgebers geführt, diese bewährten Regelungen ohne Befristung weiter gelten zu lassen. Lediglich für die neue Regelung einer Auskunftspflicht zu Post- und Telemedienbestandsdaten (§ 5 a Abs. 1 NVerfSchG) wurde in Artikel 4 i.V.m. Artikel 9 Abs. 2 eine Befristung bis zum 31. Januar 2015 vorgesehen. Daneben wurde für diese neu geregelte Auskunftspflicht in Artikel 7 eine Überprüfung durch den Landtag eingeführt und die Landesregierung verpflichtet, bis zum 1. August 2014 über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten dieser Maßnahme zu berichten. Eine Überprüfung ohne Befristung wurde in Artikel 7 auch für die Auskunftspflichten von Luftfahrtunternehmen und Banken vorgesehen, da die Ergebnisse, die in dem Bericht vom 6. Juni 2008 enthalten waren, angesichts der Fallzahlen noch keine eindeutige Bewertung dieser Auskunftspflichten zugelassen hatten.
Durch das Gesetz vom 16. Januar 2009 wurden darüber hinaus aufgrund der in der Praxis gemachten Erfahrungen und in Anlehnung an das Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes an den Vorschriften zu den Besonderen Auskunftspflichten und dem Einsatz des IMSI-Catchers Veränderungen im Detail vorgenommen. Insbesondere wurden unter Berücksichtigung des Eingriffsgehalts der jeweiligen Maßnahme differenzierte Regelungen zu den Voraussetzungen und zum Verfahren der einzelnen Maßnahmen getroffen. Diese Maßnahmen, die sich insgesamt bewährt hatten, wurden für den gesamten Aufgabenbereich der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde zur Verfügung gestellt. Zudem wurde die Möglichkeit geschaffen, Auskunft zu Telekommunikationsverkehrsdaten nach § 113a Telekommunikationsgesetz (TKG) zu erhalten.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Zur Beantwortung dieser Frage wird auf den in der Vorbemerkung dargestellten Bericht der Landesregierung vom 6. Juni 2008 nach Artikel 4 des Gesetzes zur Änderung verfassungs- und geheimschutzrechtlicher Vorschriften vom 27. Januar 2004 – Drs. 16/341 verwiesen, aus dem sich die grundsätzliche Bewährung der aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes übernommenen Maßnahmen und Regelungen ergibt. An dieser grundsätzlichen Einschätzung wird unverändert festgehalten.
Die in der Vorbemerkung beschriebenen Veränderungen, die durch das Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes, des Niedersächsischen Sicherheitsüber-prüfungsgesetzes und des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 16. Januar 2009 an den Besonderen Auskunftspflichten und dem Einsatz des IMSI-Catchers vorgenommen wurden, werden erst seit etwas mehr als 2 Jahren angewendet. Da es sich bei diesen Maßnahmen um herausgehobene Mittel der Verfassungsschutzbehörde handelt, die nicht ständig zum Einsatz kommen, ist dieser Zeitraum nicht ausreichend, um bei diesen neuen gesetzlichen Veränderungen eine belastbare Aussage zu ihrer Bewährung treffen zu können.
Zu 2.:
Struktur und Befugnisse der Sicherheitsbehörden sind so auszugestalten, dass sie der gegenwärtigen terroristischen Bedrohung so weit wie möglich gewachsen sind. Vor diesem Hintergrund sieht die Landesregierung den Ergebnissen der gegenwärtigen Diskussion auf Bundesebene über die Verlängerung der sich aus den so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetzen ergebenden Befugnisse entgegen und wird auf dieser Grundlage die erforderlichen Schlüsse ziehen.
Zu 3.:
Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff kritisiert in seinem Rechtsgutachten „Verfassungsrechtliche Bewertung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (TBEG) und seiner Anwendung“ im Wesentlichen die im Bundesverfassungsschutzgesetz nicht für alle Auskunftsersuchen vorgesehene Beteiligung der G 10-Kommission.
Das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz erfüllt bei der Ausgestaltung der Eingriffsvoraussetzungen und Verfahrenssicherungen bereits die von Prof. Wolff aufgestellten Vorgaben.
Für alle Besonderen Auskunftspflichten (§ 5 a Abs. 2 bis 6 NVerfSchG), auch für die Auskunftspflicht von Banken und Luftfahrtunternehmen, und den Einsatz des IMSI-Catchers (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 NVerfSchG) ist die Zustimmung der G 10-Kommission vorgesehen (§ 5 b Abs. 2 und § 6 d Abs. 1 Satz 5 NVerfSchG). Ebenso ist bei diesen Auskunftspflichten und dem Einsatz des IMSI-Catchers die vorläufige und endgültige Nichtbenachrichtigung einer Person nur mit Zustimmung der G 10-Kommission möglich.
Bei den 2009 neu geregelten Auskünften zu Post- und Telemedienbestandsdaten (§ 5 a Abs. 1 NVerfSchG) wurde 2009 in Anbetracht der geringeren Eingriffstiefe, wie auch im Bundesverfassungsschutzgesetz, auf eine Beteiligung der G 10-Kommission verzichtet. Diese auch in Niedersachsen bestehende gesetzliche Regelung wird in dem benannten Rechtsgutachten nicht kritisiert.
Hinsichtlich des Mitteilungsverfahren ist in Niedersachsen für die Auskunftspflichten über Telemedienbestandsdaten eine Mitteilungspflicht ohne Beteiligung der G 10-Kommission eingeführt worden (§ 5 b Abs. 4 Satz 2 NVerfSchG). Dies entspricht ebenfalls den Vorgaben aus dem Rechtsgutachten von Prof. Wolff.