Abschiebepraxis in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 27.05.2011; Fragestunde Nr. 22
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Die Presse berichtet (u. a. die HAZ am 29. April 2011 unter der Überschrift „Gut integriert reicht nicht“) über eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Abschiebungsvorgang) durch die Ausländerbehörde in Northeim. Der aus dem Kosovo stammende und der Volksgruppe der Roma zugehörige 21-jährige Edmond Gashi solle abgeschoben werden, weil er keinen Schulabschluss habe.
Unerheblich ist für die Ausländerbehörde, dass es sich bei Herrn Gashi um einen gut integrierten jungen Mann handelt, der gut deutsch spricht, gut integriert ist (u. a. sportliche Aktivitäten) und noch nie straffällig wurde. Ferner bestreitet er seit seinem 18. Lebensjahr aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt. Er unterstützt darüber hinaus auch finanziell seine Familie, damit diese nicht auf öffentliche Leistungen angewiesen ist.
Im Herbst vergangenen Jahres hat ihm die Ausländerbehörde seine Arbeitserlaubnis entzogen, weil er keinen gültigen Pass vorlegen konnte. Sein früherer Arbeitgeber schätzt ihn als guten und engagierten Mitarbeiter, „den er gern weiter beschäftigen würde“. Sein Anwalt spricht in diesem Zusammenhang von einer „bewussten Blockierung der wirtschaftlichen Integration“.
In seinem „Umfeld“ spricht man von ihm als „ein Vorbild in Sachen Integration“. Herr Gashi erhält auch Unterstützung vom Kirchenkreis Göttingen. Trotz allem wurde ihm am 23. März 2011 durch die Polizei ein Abschiebebescheid zugestellt. Aufgrund der für ihn „unverständlichen Situation“ ist Herr Gashi wohl untergetaucht, sodass die bevorstehende Abschiebung bisher nicht vollzogen werden konnte. Laut der Presseberichterstattung prüft der Verein „Asyl in der Kirche“ die Gewährung von „Kirchenasyl“.
Wir fragen die Landesregierung:
- Welche Vorgaben gab es in diesem Fall oder gibt es grundsätzlich durch die Landesregierung, welchen Ermessensspielraum hat in diesen Fällen die örtliche Ausländerbehörde, und hat sich dieser in den letzten Jahren geändert?
- Wird nach § 25 a des Aufenthaltsgesetzes eine Aufenthaltsgenehmigung nur aufgrund eines erfolgreichen Schulabschlusses erteilt, oder gibt oder gab es hiervon Ausnahmen?
- Welchen arbeitsrechtlichen Status müssen Zuwanderer haben, um als gut integriert zu gelten?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
In der Anfrage wird Bezug genommen auf einen Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung über die gescheiterte Abschiebung des kosovarischen Staatsangehörigen Edmond Gashi. Unter Berufung auf den von Herrn Gashi bevollmächtigten Anwalt wird in dem Presseartikel der Eindruck erweckt, dass es sich bei Herrn Gashi um einen in jeder Hinsicht vorbildlich integrierten ausländischen Jugendlichen handele.
Nach Prüfung der Ausländerbehörde Northeim hat Herr Gashi die Voraussetzungen des § 104a Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der gesetzlichen Altfallregelung nicht erfüllt. Diese Entscheidung wurde vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht bestätigt.
Herr Gashi hat die Hauptschule ohne Abschluss nach der 8. Klasse verlassen. In seinem Ab-gangszeugnis wurden ihm ein Notendurchschnitt von 4,5 und 13 unentschuldigte Fehltage bescheinigt. Einen Schulabschuss hat er auch danach nicht mehr erworben. Im anschließenden Berufsgrundbildungsjahr Elektrotechnik, welches er mit einem Notendurchschnitt von 5,7 bei 91 unentschuldigten Fehltagen beendete, entsprach sein Arbeits- und Sozialverhalten „nicht den Erwartungen“. Das zweite Berufsgrundbildungsjahr, Fachrichtung Farbtechnik, verlief bei einem Notendurchschnitt von 4,9 und 31 unentschuldigten Fehltagen ebenfalls wenig erfolgreich. Sein Arbeitsverhalten entsprach „den Erwartungen nur mit Einschränkungen“ und sein Sozialverhalten entsprach „nicht den Erwartungen“. Richtig ist, dass Herr Gashi während seines Aufenthalts in Deutschland straffrei geblieben ist. Dies ist jedoch eine allgemeine Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und kann nicht schon als besondere Integrationsleistung bewertet werden.
Herr Gashi gehört aufgrund seines Alters nicht zu dem von der Regelung des § 25a AufenthG begünstigten Personenkreis. Er würde aber auch die materiellrechtlichen Voraussetzungen für dieser gesetzliche Neuregelung nicht erfüllen, weil er weder auf einen erfolgreichen Schulbesuch verweisen kann noch eine Berufausbildung absolviert hat und deshalb nicht gewährleistet erscheint, dass er sich dauerhaft wirtschaftlich in die hiesigen Lebensverhältnisse einfügen kann.
Auch die Eltern des Herrn Gashi konnten wegen fehlender Integrationsleistungen nicht von der Altfallregelung begünstigt werden und sind ebenfalls vollziehbar zur Ausreise verpflichtet.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die Ausländerbehörden führen das Aufenthaltsgesetz als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises eigenverantwortlich aus. Verbindliche Vorgaben zur Anwendung enthält die bundesweit geltende, mit Zustimmung des Bundesrates von der Bundesregierung erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz.
Vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern wird in jedem Fall die Gelegen-heit einer freiwilligen Ausreise eingeräumt. Reise- und Rückkehrbeihilfen können in diesen Fällen auf Antrag gewährt werden. Zur Regelung der Modalitäten einer Ausreise werden den Betreffen-den großzügige Fristen gesetzt. Werden diese Möglichkeiten jedoch nicht genutzt, sind die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung erfüllt und die Ausländerbehörden haben ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen und den Aufenthalt der vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer durch Abschiebung zu beenden. Ein Ermessen ist ihnen insoweit vom Gesetzgeber nicht eröffnet worden. Die derzeit geltenden Regelungen über den Vollzug von Abschiebungen sind mit dem Ausländergesetz 1990 zum 01.01.1991 eingeführt worden und seither unverändert gültig.
Die Einleitung der geplanten Abschiebung von Herrn Gashi war der Landesregierung nicht be-kannt. Dem Ministerium für Inneres und Sport wurde lediglich der Abschiebungstermin von der für Flugabschiebungen koordinierenden Stelle mitgeteilt. Dabei handelte es sich um eine allgemeine Information über den Vollzug von Abschiebungen – unabhängig vom vorliegenden Einzelfall.
Zu 2.:
Gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende haben nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung die Möglichkeit, nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres einen Antrag auf Erteilung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zu stellen. Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG wird ein mindestens sechsjähriger erfolgreicher Schulbesuch oder ein in Deutschland anerkannter Schul- oder Berufsabschluss sein.
Bei positiver Prognose können auch Jugendliche, die aufgrund ihres Lebensalters die Schule noch nicht beendet haben, bei erfolgreichem Schulbesuch trotz eines noch nicht vorliegenden Abschlusses schon begünstigt werden. Von einem erfolgreichen Schulbesuch kann ausgegangen werden, wenn der Antragsteller die Schule mindestens mit einem Hauptschulabschluss beenden wird. Außerdem muss dem Antragsteller eine positive Zukunftsprognose gegeben werden können. Eine dauerhafte vollständige Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse muss zu erwarten sein. Maßgeblich ist neben einer sozialen und rechtlichen Integration, dass von einer nachhaltigen wirtschaftlichen Integration ausgegangen werden kann; denn es ist auch Ziel der Regelung, dass gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende, die deutsche Bildungseinrichtungen erfolgreich besucht haben, dem hiesigen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen Deutschlands nachhaltig zu Verfügung stehen werden.
Zu 3.:
Die Möglichkeiten der Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt sind gesetzlich geregelt. Im Visumverfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu Beschäftigungszwecken wird das Vorliegen der Voraussetzungen des Aufenthaltsgesetzes und der Beschäftigungsverordnung geprüft. Außerdem muss ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegen. Es handelt sich in diesen Fällen um einen Personenkreis, der in der Regel bereits über eine fachliche Qualifikation verfügen muss, um zur Ausübung einer Beschäftigung nach Deutschland einreisen zu können. Das Aufenthaltsgesetz regelt zudem, dass dieser Personenkreis eine Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs hat. Es wird davon ausgegangen, dass die Integration mit der Eingliederung in den Arbeitsprozess sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht voranschreitet.
Sofern das Aufenthaltsgesetz langjährig hier lebenden ausreisepflichtigen Personen ein Aufent-haltsrecht vermittelt, wie dies etwa durch die Regelung des § 25a AufenthG für Jugendliche und Heranwachsende der Fall ist, kommt es entscheidend auf die bereits vorhandenen Integrationsleistungen an. Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist neben einer sozialen und rechtlichen Integration als Maß der wirtschaftlichen Integration ein wesentlicher Teilaspekt. Als wirtschaftlich gut integriert können diejenigen gelten, die ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit ohne Anspruch auf öffentliche Leistungen dauerhaft sicherstellen. Erhebliches Gewicht kommt dabei auch der beruflichen Qualifikation zu, aus der Rückschlüsse über die Nachhaltigkeit einer Erwerbstätigkeit gezogen werden können.