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Pressefreiheit und Informantenschutz

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 27.05.2011; Fragestunde Nr. 17


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ralf Briese und Helge Limburg (GRÜNE); es gilt das gesprochene Wort!

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Verschiedene Medien (NDR, Süddeutsche Zeitung, Weser-Kurier) haben kürzlich über einen geplanten „Lauschangriff“ auf eine Redakteurin des Weser-Kuriers berichtet. Die Journalistin hatte im März 2009 über einen Mordfall aus dem Jahr 2006 im Schwerverbrechermilieu in der Zeitung berichtet, sich dabei gegebenenfalls auf Polizeiinterna gestützt und mögliche Ermittlungspannen aufgedeckt. Dies nahmen, nach einem Vermerk der Staatsanwaltschaft Verden, der Leiter der PI Verden/Osterholz und sein Erster Kriminalhauptkommissar damals zum Anlass, der StA die Auswertung der Telefonverbindungen der Journalistin vorzuschlagen. Es sollte „präventiv ein Signal gesetzt und ergründet werden, wer Informationen weitergegeben hat“, und man wolle dadurch auch erfahren, „was Frau Kröger sonst so treibt“. Der zuständige Oberstaatsanwalt der StA Verden habe die Beamten zunächst darauf hingewiesen, Ermittlungsverfahren seien „nicht dazu gedacht, Signale zu setzen“. Die Erhebung von Verbindungsdaten der Journalistin und ihrer möglichen Informanten sei unzulässig, und grundsätzlich seien Ermittlungen „lauter zu führen“. Dennoch schlugen die Verdener Polizeibeamten dann „eine mögliche Durchsuchung bei Frau Kröger“ vor. Mit dem Hin-weis auf die Rechtsprechung sei der Oberstaatsanwalt dann auch diesem Ansinnen „entschieden entgegengetreten“ und habe die Beamten auf das sogenannte Cicero-Urteil des BVerfG hingewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2007 die durch Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt Brandenburg und Staatsanwaltschaft Potsdam eingeleitete Durchsuchung der Redaktion des Politik-Magazins „Cicero“ in Potsdam nach deren Artikel über die Finanzierung islamistischer Terroristen als Verstoß gegen das Grundgesetz eingestuft. Seitdem ist anerkannt, dass „Durchsuchungen und Beschlag-

nahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige verfassungsrechtlich unzulässig (sind), wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln“ und „die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses im Sinne des § 353 b StGB durch einen Journalisten im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aus(reicht), um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen“.

Besonders prekär wird das Ansinnen der Beamten nach Ansicht verschiedener unabhängiger Medien durch die weiteren, vielfältigen Aktivitäten und Recherchen der Journalistin. Diese hat in der Vergangenheit auch über kommunal geduldete wirtschaftliche Aktivitäten der Hells Angels und Verstrickungen der Staatsanwaltschaft Hannover mit dem Rotlichtmilieu berichtet.

Eine öffentliche Debatte über die Frage von Informantenschutz und Pressefreiheit ist zudem nicht neu in Niedersachsen. Im Jahr 2005 wurde die „Durchsuchungsaffaire“ der Wolfsburger Allgemeinen bekannt. Damals wurden sowohl Polizisten als auch Journalisten durch die örtliche Polizeiinspektion „bespitzelt“. Das Verfahren sorgte bundesweit für Aufsehen.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Sieht sie in den oben beschriebenen Aktivitäten der Verdener Polizei den Versuch, die Pressefreiheit und den Informantenschutz der Journalistin Kröger zu unterlaufen, und wenn ja, wie bewertet sie diesen?
  2. Ist oder war nach der Kenntnis der Landesregierung den Polizeibeamten aus Verden und gegebenenfalls noch weiteren niedersächsischen Polizeibeamten die Rechtssprechung des BVerfG zur Pressefreiheit und zum Informantenschutz nicht bekannt, und welche Konsequen-zen für die Aus- und Fortbildung der niedersächsischen Polizeibeamten in Bezug auf die aktuelle, fachliche Rechtsprechung der Gerichte wird dieser Vorfall gegebenenfalls haben?
  3. Ist es die Regel, dass über Gesprächsrunden zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften über polizeiliche Ermittlungsansätze ein Vermerk durch die Staatsanwaltschaft gefertigt wird, und wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass dieser interne Vermerk nach mehr als zwei Jahren an die Öffentlichkeit gelangt ist?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Die Landesregierung misst der verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) als Wesenselement eines freiheitlichen Staates – nicht erst seit dem sog. Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.02.2007 – eine sehr hohe Bedeutung zu. Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insbesondere bei Eingriffen in grundgesetzlich geschützte Rechte (z.B. Freiheit der Person, Unverletzlichkeit der Wohnung, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Pressefreiheit) zu berücksichtigen.

Im Hinblick auf die durch die Strafverfolgungsbehörden in den Jahren 2003/2004 durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen bei der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung auf die sich die Fragesteller u.a. beziehen, hat die Landesregierung gegenüber dem Ausschuss für Inneres und Sport (Nicht-öffentlicher Teil der 106. Sitzung am 01.03.2006) eine eindeutige Position bezogen.

In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf die Antwort der Landesregierung vom 05.07.2006 auf die Kleine Anfrage des Abg. Bartling (Drs. 15/3052).

Die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei ist von gegenseitigem Vertrauen und enger Kooperation geprägt. Dies schließt bzw. setzt offene Diskussionen und einen Austausch der jeweiligen Meinungen ein und auch voraus. Interne Abstimmungen und der Austausch von Informationen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens – insbesondere über den weiteren Gang der Ermittlung in konkreten und komplexeren Ermittlungsverfahren – sind die Regel und Ausdruck der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Die Landesregierung lehnt es ab, sich an Spekulationen über angebliche und vermeintliche polizeiliche Aktivitäten zu beteiligen, bei der die Informationsquelle unautorisiert ist und über Authentizität sowie Richtigkeit des Inhalts Unklarheit herrscht.

Nach den der Landesregierung vorliegenden Informationen wurden keine polizeiliche Maßnahmen gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Weser-Kuriers im dargestellten Kontext vorgenommen.

Zu 2.:

Die Beobachtung der Fortentwicklung des Rechts, die Aufbereitung und die zur Verfügungstellung relevanter Informationen für den nachgeordneten Bereich ist ständige Aufgabe der Polizeibehörden. Damit ist sichergestellt, dass insbesondere der Ermittlungsbereich mindestens auf der Ebene der Ermittlungsführerinnen und Ermittlungsführer – auch im Rahmen der medialen Vernetzung - strukturiert über die für ihren Bereich notwendigen Informationen verfügen bzw. zugreifen können.

Dies gilt insbesondere für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die unmittelbare Bindungswirkung für die Anwendung des Rechts - auch für die Polizei - entfaltet.

Die Thematik „Grundrecht der Pressefreiheit nach Art. 5 GG“ und damit auch das Cicero-Urteil des BVerfG wird in der Ausbildung des Bachelorstudiengangs für den Polizeivollzugsdienst in mehreren Modulen behandelt. Im Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ ist das Thema Bestandteil im Modul 3, Rechtliche und taktische Grundfragen im Verhältnis von Polizei und Medien.

In der zentralisierten Fortbildung der Polizeiakademie wird die Thematik in unterschiedlichen Se-minaren angeboten und angesprochen, wobei insbesondere bei den Seminaren, in denen beim Vorliegen von mittlerer und schwerer Kriminalität die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) als Eingriffsmaßnahme zutreffen könnte, die rechtlichen Grundlagen und Bedingungen dargestellt werden. Darüber hinaus wird die Thematik in weiteren Seminaren zur Organisierten und politisch motivierten Kriminalität behandelt.

Durch die Polizeiakademie Niedersachsen wird das Unterrichtsthema “Pressefreiheit und Infor-mationsschutz“ ausreichend behandelt. Bisher durchgeführte Evaluationen in der Aus- und Fort-bildung ergeben keine Ansatzpunkte für einen Änderungsbedarf.

Zu 3.:

Nicht nur im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder im Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens, werden zu den unterschiedlichsten Fragestellungen Fachgespräche zwischen Staatsanwälten und Polizeibeamten geführt. Dies gilt selbstverständlich auch, wenn aufgrund der Veröffent-lichung von Ermittlungsinterna der Verdacht der Verletzung von Dienstgeheimnissen, ggfs. auch Bestechlichkeit und Verstoß gegen das Datenschutzgesetz (§§ 353b, 332 StGB, 28 NDSG) im Raume steht, mithin zu klären ist, ob und inwieweit Ermittler in strafrechtlich relevanter Weise Informationen aus dem polizeilichen Datenbestand an Journalisten weitergegeben haben und diese die rechtswidrig erlangten Informationen annahmen und verwerteten.

Ob im Einzelfall Gesprächsvermerke als interne Gedankenstütze gefertigt werden, hängt in erster Linie von der persönlichen Arbeitsweise des jeweiligen Verfassers ab. Es ist nicht die Regel, im Rahmen eines fachlichen Austausches Vermerke niederzulegen. Soweit solche Vermerke Aktenbestandteil werden, ist deren unbefugte Offenbarung unzulässig und kann disziplinar-rechtliche sowie strafrechtliche Konsequenzen haben.




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erstellt am:
27.05.2011

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