Aktivitäten der Schlesischen Jugend in Nieder-sachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 27.05.2011; Fragestunde Nr. 16
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Der Bund der Vertriebenen (BdV) stand in der Vergangenheit wiederholt im Zentrum öffentlicher Diskussionen - zuletzt im September 2010, als sich dessen Bundesvorsitzende Erika Steinbach hinter die BdV-Bundesvorstandsmitglieder Arnold Tölg und Hartmut Saenger stellte. Die Vertreter des BdV im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hatten Positionen vertreten, „die Zweifel aufkommen lassen, dass sie sich für das Stiftungsziel Versöhnung einsetzen werden“[1]. So hatte Saenger u. a. behauptet, dass der Zweite Weltkrieg viele Väter gehabt habe[2]. Steinbach unterstützte die Aussagen der beiden und führte dazu aus: „Das ist ein Faktum. Ich kann es doch nicht ändern, dass Polen mobil gemacht hat.“[3] Damit löste sie in der Öffentlichkeit große Empörung aus.
Auch das Land Niedersachsen war mehrfach in Debatten um die Haltung des BdV involviert. So sprach der damalige Niedersächsische Ministerpräsident Wulff im Juni 2009 ein Grußwort auf dem sogenannten Schlesiertag, dem Treffen der Landsmannschaft Schlesien, Mitglied im BdV, in Hannover. Auf Nachfrage der Landtagsfraktion der Linken erklärte die Landesregierung damals, dass sie keinerlei Erkenntnisse über rechtsextreme Aktivitäten der Landsmannschaft Schlesien oder deren Jugendorganisation habe. Die finanzielle Unterstützung durch die Landesregierung hänge aber davon ab, dass es auf dem Deutschlandtreffen der Schlesier keinen Raum für rechtsextreme Aktivitäten und Aussteller gebe.
Durch Berichte auf tagesschau.de (5. April 2011) und anderer Medien wurde bekannt, dass die Schlesische Jugend (SJ), die Jugendorganisation der Landsmannschaft Schlesien, mittlerweile von Rechtsextremisten unterwandert ist. Laut Thüringischem Verfassungsschutz werde die SJ von aktiven Rechtsextremisten missbraucht und unterhalte enge Verbindungen zur NPD. Der BdV hat seine finanzielle der Förderung der Schlesischen Jugend daraufhin eingestellt. Offen ist, wie sich die Landsmannschaft Schlesien dazu positioniert.
Ich frage die Landesregierung:
- In welcher Höhe wurden die Landsmannschaft Schlesien und die Schlesische Jugend in den Jahren 2010 und 2011 finanziell durch die Niedersächsische Landesregierung unterstützt, bzw. welche Unterstützungen sind geplant?
- Wie bewertet die Landesregierung die Aktivitäten der Schlesischen Jugend insbesondere im Hinblick auf deren Kooperation mit Rechtsextremisten?
- Wird die Landesregierung die Unterstützung des Schlesiertages in Niedersachsen auf den Prüfstand stellen, nachdem dort nachweislich organisierte Neonazis teilnehmen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Vor dem Hintergrund, dass die meisten heimatvertriebenen Schlesier in Niedersachsen aufgenommen worden waren, übernahm Niedersachsen im Jahr 1950 die Patenschaft für die Landsmannschaft Schlesien und die Schlesier. 1949 lebten etwa 1,8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in Niedersachsen. Das entsprach knapp einem Viertel der Gesamtbevölkerung. Diese Mitbürgerinnen und Mitbürger haben maßgeblich am Aufbau unseres Landes mitgewirkt. Heute hat jede dritte bis vierte Familie in Niedersachsen Bezüge zu Schlesien. Die Übernahme der Patenschaft war und ist für das Land Niedersachsen ein Ausdruck der Wertschätzung, die den Heimatvertriebenen und insbesondere den Schlesiern entgegen gebracht wird. Seit 1950 ist die Patenschaft lebendig geblieben und hat sich weiter entwickelt. Das zeigt sich etwa an dem wissenschaftlichen Symposium zum 60jährigen Bestehen der Patenschaft in Hannover, an dem sich viele interessierte Bürger und zahlreiche renommierte Wissenschaftler beteiligt haben. Die Landesregierung sieht die Patenschaft heute als Teil einer Brücke zwischen Niedersachsen und Schlesien. Seit 2007 findet das Deutschlandtreffen der Schlesier alle zwei Jahre wieder in Hannover statt. Rund 50.000 Besucher nutzen diese Veranstaltung, um sich mit anderen Schlesiern zu treffen und sich auszutauschen. Der frühere Niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff und der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Uwe Schünemann, haben 2007 und 2009 an diesen Treffen teilgenommen. In diesem Jahr werden Ministerpräsident David McAllister und der Innenminister erneut teilnehmen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Das Land Niedersachsen gewährt gemäß § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) und der haushaltsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere §§ 23 und 44 der Landeshaushaltsordnung (LHO) sowie den dazugehörigen Verwaltungsvorschriften in der jeweils gültigen Fassung, Zuwendungen für Projekte der kulturellen Arbeit. Die Förderung dient dem Ziel, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten, sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Wissenschaft und Forschung werden bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, ebenso gefördert wie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen. Ein Rechtsanspruch des Antragstellers auf Gewährung einer Zuwendung besteht nicht, vielmehr entscheidet die Bewilligungsbehörde nach pflichtmäßigem Ermessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel. Regelmäßig werden Zuwendungen für die Förderung der niedersächsischen Vertriebenenverbände, Einrichtungen und Aktivitäten sowie die sich aus der Patenschaft für die Landsmannschaft Schlesien ergebenen Projekte in Niedersachsen bzw. für Projekte, die einen besonderen Bezug zu Niedersachsen aufweisen, gewährt. Zuwendungsfähig sind auch Veranstaltungen zu deutsch-polnischen Begegnungen in den Vertreibungsgebieten. Die Zuwendung wird als nicht rückzahlbarer Zuschuss zur Projektförderung grundsätzlich in Form einer Fehlbedarfsfinanzierung gewährt und auf einen Höchstbetrag begrenzt. Die Höhe der Zuwendung wird nach den Erfordernissen des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Eigeninteresses und der Leistungskraft des Trägers sowie der Finanzbeteiligung Dritter bemessen. Angemessene Eigenleistungen des Trägers sind grundsätzlich erforderlich.
Unter Beachtung dieser Vorschriften wurden dem Bundes- wie auch dem Landesverband der Landsmannschaft der Schlesier Zuwendungen gewährt. Im Jahr 2010 erhielt der Bundesverband Zuwendungen z.B. zur Teilnahme an der Jahrestagung der Kulturreferenten (Multiplikatorenschulung) sowie zur Teilnahme am Bundesmitarbeiterkongress. Dem Landesverband wurde z.B. eine Zuwendung zur Durchführung einer Kulturreise nach Schlesien gewährt. Die Bezuschussung im Rahmen der Zuwendungen belief sich auf insgesamt ca. 28.600 €.
Außerhalb des Zuwendungsverfahrens veranstaltete das Land Niedersachsen im Jahr 2010 im Rahmen des 60-jährigen Bestehens der o.a. Patenschaft eine Jubiläumsveranstaltung sowie ein themenbezogenes Symposium. Auch für das Jahr 2011 liegen Anträge auf Zuwendungen vor, über die jedoch noch nicht abschließend entschieden wurde (gesamt ca. 10.000 €).
Zusätzlich sind im Jahr 2011 Mittel in Höhe von 50.000 € für das alle zwei Jahre in Hannover stattfindende Deutschlandtreffen der Landsmannschaft der Schlesier veranschlagt. Dem Verein Schlesische Jugend (e.V.) wurde keine Zuwendung gewährt.
Zu 2.:
Die Schlesische Jugend – Landesgruppe Thüringen – sowie die von ihr dominierte Bundesgruppe sind seit Mai 2010 Beobachtungsobjekte der Landesbehörde für Verfassungsschutz Thüringen bzw. des Bundesamtes für Verfassungsschutz. In Niedersachsen existieren keine Strukturen der Schlesischen Jugend.
Alle Mitglieder der Jugendorganisation sind satzungsgemäß auch Mitglieder der Landsmannschaft Schlesien; der Bundesvorsitzende der Schlesischen Jugend gehört dem Bundesvorstand des Dachverbandes an.
Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 3.
Zu 3.:
Beim Deutschlandtreffen der Schlesier am 25./ 26. Juni 2011 in Hannover werden voraussichtlich bis zu 50.000 Heimatvertriebene aus ganz Deutschland anreisen. Nach Angaben des Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien soll durch eine Bundesdelegiertenversammlung noch vor dem Deutschlandtreffen formal die Trennung von der Schlesischen Jugend erfolgen. Mit diesem Schritt grenzt sich die Landsmannschaft Schlesien klar von möglichen Rechtsextremisten ab. Die Landsmannschaft macht deutlich, dass sie nicht duldet, dass das Leid der deutschen Heimatvertriebenen für rechtextremistische Zwecke instrumentalisiert wird. Der frühere Ministerpräsident Christian Wulff hat bereits vor zwei Jahren deutlich gemacht, dass eine finanzielle Unterstützung des Landes nur erfolgt, wenn rechtsextremistische Verlage, Aussteller oder Organisationen beim Deutschlandtreffen keinen Raum haben werden. Dies gilt uneingeschränkt fort.
[1] Siehe: http://www.sueddeutsche.de/politik/stiftung-flucht-vertreibung-versoehnung-versoehnen-oder-verhoehnen-1.982185 (Stand: 28. April 2011)
[2] Siehe: http://www.welt.de/politik/deutschland/article9441982/Zentralrat-stoppt-Mitarbeit-in-Vertriebenen-Stiftung.html
(Stand: 28. April 2011)
[3] Vgl.: http://www.welt.de/politik/deutschland/article9489105/Steinbach-loest-Eklat-in-der-Unionsfraktion-aus.html
(Stand: 28. April 2011)