Ausmaße der Christenverfolgung im Ausland
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 14.04.2011; Mdl. Anfr. 44
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Am 31. Oktober 2010 wurde ein gezielter Anschlag islamistischer Terroristen auf Christen in einer syrisch-katholischen Kirche in Bagdad verübt. Dabei starben über 55 Menschen, und mehr als 70 weitere Menschen wurden verletzt. Ende 2010 kamen bei einem Anschlag auf eine christliche Kirche in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria mindestens 21 Menschen ums Leben, über 75 Menschen wurden verletzt.
Der WELT vom 24. Dezember 2010 waren verschiedene Ereignisse im Zusammenhang mit der Christenverfolgung zu entnehmen. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete zudem am 4. Januar 2011, dass islamistische Terroristen zu Angriffen gegen eine koptische Gemeinde in Hannover und der Region aufriefen. Diese koptische Gemeinde ist ständiger Gast in der katholischen Kirche St. Theresia in Lehrte-Ahlten.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie bewertet die Landesregierung die mangelnde Religionsfreiheit, welche den christlichen Kirchen vor allem in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gewährt wird?
- Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber, dass politische Extremisten im In- und Ausland Christen und andere religiöse Gruppen stigmatisieren, einschüchtern und durch Gewalt bedrohen?
- Was sollte aus Sicht der Landesregierung präventiv getan werden, um das gedeihliche Zusammenleben der Religionsgruppen in Deutschland, nicht zuletzt zwischen Muslimen, Christen und Juden, zu fördern?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Zu 1.:
Die Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, unabhängig davon, welcher Religion der Einzelne angehört und wo dieses Recht ausgeübt wird. Daher tritt die niedersächsische Landesregierung unmissverständlich für die religiösen Rechte der Christen und anderer Glaubensgemeinschaften in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ein. Ihre gesellschaftliche und/oder rechtliche Diskriminierung als religiöse Minderheit wird auf das Schärfste verurteilt. Insbesondere beobachtet die Landesregierung mit Sorge, dass sich die Situation der Christen in dieser Region, aber auch in anderen Ländern Afrikas und Asiens, in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Davon zeugen nicht zuletzt zahlreiche Übergriffe und Gewalttaten islamistisch-extremistischer Gruppen. In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass neben Christen auch weitere Religionsgemeinschaften erheblichen Repressionen ausgesetzt sind. So wurden in Pakistan und im Irak im Laufe des letzten Jahrzehnts Tausende von schiitischen Muslimen durch militante Islamisten sunnitischer Prägung (sog. Jihadisten) als angebliche „Glaubensabtrünnige“ ermordet. Ein Ende der Gewaltwellen ist nicht abzusehen.
Übergriffe gegen Christen und andere Glaubensgruppen finden jedoch nicht nur in bestimmten Krisenregionen des islamisch geprägten Kulturraums statt. Das christliche überkonfessionelle Hilfswerk Open Doors gibt jährlich einen Weltverfolgungsindex heraus, wonach das kommunistische Nordkorea das Land mit der stärksten Christenverfolgung ist. Selbst in einer Demokratie wie Indien werden Christen von Hinduextremisten mit dem Tode bedroht und wurden in Einzelfällen auch ermordet.
Die Landesregierung verurteilt entschieden die Repressionen gegen Christen und andere Religionsgemeinschaften durch extremistischen Gruppen und Diktaturen. Sie tritt mit Nachdruck für eine stärkere öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit dieser Thematik ein. Gleichzeitig verwahrt sie sich gegen einseitige Schuldzuschreibungen an eine bestimmte Religionsgruppe und unterstützt einen nachhaltigen interreligiösen Dialog auf Augenhöhe.
Zu 2.:
Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria in der Neujahrsnacht 2011 wurden auch Drohungen gegen eine koptische Kirche in Hannover bekannt; insoweit wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der MdL Thümler u. a. „Terrordrohungen aus dem Internet, Drs. 16/3225 verwiesen. Weitere konkrete Bedrohungen von Christen in Niedersachsen sind der Landesregierung bislang nicht bekannt geworden.
Unabhängig von dieser Fragestellung beobachtet die Landesregierung aufmerksam die Aktivitäten salafistischer Extremisten in Niedersachsen. Bei dem Salafismus handelt es sich um eine ideologische Strömung, die im islamistischen Bereich an Einfluss gewinnt. Diese Ideologie zielt auf die Errichtung eines theokratischen Staatswesens ab. Die salafistische Interpretation des islamischen Rechtssystems, der Scharia, läuft im Kern auf eine Religionsapartheid hinaus. Sie sieht für Juden wie Christen lediglich einen minderen Rechtsstatus und für Polytheisten (z.B. Hindus) und Atheisten unter Umständen sogar die Hinrichtung vor.
Salafistische Netzwerke, die auch in Deutschland zunehmend aktiv sind, verbreiten ihre ideologisch abgeleiteten Feindbilder vor allem über das Internet. Davon kann eine radikalisierende Wirkung ausgehen, die zu religiös-kulturellen Überlegenheitsgefühlen bis hin zur Legitimation von Gewalt gegen Andersgläubige führt. Die in der Antwort zu Frage 1 erwähnten Jihadisten, deren Ideologie eben dieser Salafismus ist, sind neben der Tötung Tausender Schiiten auch für die Ermordung zahlreicher Christen und Angehöriger weiterer Religionsgemeinschaften wie etwa der Yeziden, verantwortlich.
Zu 3.:
Es ist ein zentrales Anliegen der niedersächsischen Landesregierung, die Integration von zugewanderten Menschen zu fördern und zu verbessern. Grundlage für erfolgreiche Integration ist eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung, der Toleranz und Rücksichtnahme. Basis des Zusammenlebens in Deutschland ist das Grundgesetz. Es sichert die Rechte aller in Deutschland lebenden Menschen. Es steht für Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und Gewaltenteilung. Das Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit aller hier lebenden Menschen.
In Niedersachsen gibt es eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der Demokratiefestigkeit, gegen Rassismus und für Toleranz, die sich an Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch an die Mehrheitsgesellschaft richten.
Die Landesregierung steht seit 2007 in einem Dialog mit allen Religions- und Glaubensgemeinschaften, bei dem die Rolle der Religionen im Integrationsprozess im Fokus steht.
Unter Federführung des für Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, werden folgende Maßnahmen durchgeführt:
In der Evangelischen Akademie in Loccum fanden am 18.09.2007, 19.03.2009 und 29.03.2011 Tagungen zur Rolle der Religionen im Integrationsprozess statt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die in verschiedenen Religionsgemeinschaften eine Sprecher- bzw. Multiplikatorenfunktion wahrnehmen, bot sich 2007 erstmals die Möglichkeit, Gedanken, Erfahrungen und Erwartungen auszutauschen. Im Jahr 2009 wurden die Schwerpunkte auf die Themen Seelsorge und Pflege in Krankenhäusern, Bestattungen/Friedhöfe sowie Seelsorge in Justizvollzugsanstalten und im Jahr 2011 auf das Thema Jugendarbeit/ Jugendverbandsarbeit gelegt.
Nach der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus und für Demokratie und Toleranz (Richtlinie Demokratie und Toleranz) vom 03.03.2009, Nds. MBl. S. 312, werden Maßnahmen gefördert, die integrationsfeindlichen Tendenzen, fremdenfeindlichen und rechtsextremen Einstellungen in unserer Gesellschaft entgegentreten und/oder positiv für die Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung, insbesondere bei Jugendlichen, werben.
Am 04.03.2010 hat in Hannover eine Tagung zum Thema „Antisemitismus in muslimisch geprägten Milieus“ stattgefunden. Zur Dokumentation dieser Tagung wurde eine Broschüre erstellt, die wertvolle Hinweise zum Umgang mit Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus gibt und einige gute Beispiele für präventive Maßnahmen vorstellt.
Unter der Federführung des MS erarbeitet eine länderoffene Arbeitsgruppe auf Beschluss der Integrationsministerkonferenz zum Thema „Rassismus und Antisemitismus unter Zugewanderten“, Handlungsoptionen zur Prävention gegen „Rassismus und Antisemitismus unter Zugewanderten“.
Im schulischen Kontext kann das Verhältnis zum Islam als eine Schlüsselfunktion bei der Integration muslimischer Schülerinnen und Schüler gesehen werden. Die niedersächsische Landesregierung sah und sieht es als ihre Verpflichtung an, das grundgesetzlich verbriefte Recht auf konfessionellen Religionsunterricht allen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, nicht nur christlichen, jüdischen, orthodoxen oder alevitischen Schülerinnen und Schülern, sondern auch muslimischen Schülerinnen und Schülern. Mit dem Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ und der geplanten Einführung von „Islamischem Religionsunterricht“ als ordentliches Unterrichtsfach für nahezu 49.000 muslimische Schülerinnen und Schüler wird daher das Recht auf religiöse Bildung anerkannt.
Seit dem 01.08.2003 wird „Islamischer Religionsunterricht“ im Rahmen eines Schulversuchs an mittlerweile 42 Grundschulschulstandorten angeboten. Im laufenden Schuljahr 2010/2011 sind über 2.000 Schülerinnen und Schüler zum „Islamischen Religionsunterricht“ angemeldet. Der Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ wurde bisher jedes Jahr zeitlich verlängert und auf weitere Standorte ausgeweitet, sodass der Versuch derzeit die Zeitspanne vom 01.08.2003 bis zum 31.07.2014 umfasst. Der Unterricht im Umfang von zwei Wochenstunden wird in deutscher Sprache von Lehrkräften islamischen Glaubens erteilt.
Der Schulversuch verfolgt das Ziel, den Schülerinnen und Schülern islamischen Glaubens ein Religionsunterrichtsangebot zu machen, das den verfassungsmäßigen und schulgesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Er soll einen Beitrag zur Integration leisten und damit gesellschaftlich parallelen Strukturen entgegenwirken, den Schülerinnen und Schülern Wissen und Kenntnisse über ihre eigene und über andere Religionen vermitteln und sie zu einer mündigen Glaubensentscheidung befähigen sie in der Unterrichtssprache Deutsch „sprachfähig“ in ihrer Religion machen.
Die Akzeptanz des Islamischen Religionsunterrichtes ist bei Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften gleichermaßen sehr hoch. Muslimische Eltern erleben ihre Religion im schulischen Kontext auf Augenhöhe mit den christlichen Religionen. Die Beteiligung seitens der muslimischen Schülerinnen und Schüler liegt in den einzelnen Jahrgängen oft bei nahezu 100 %. Die Schülerinnen und Schüler nehmen sehr motiviert an dem Unterricht teil und erleben sich durch den islamischen Religionsunterricht als gleichgestellt mit den Schülerinnen und Schülern des christlichen Religionsunterrichtes.