Verhalten der Ausländerbehörde Gifhorn im Falle des Flüchtlings Shambu Lama
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 14.04.2011; Mdl. Anfr. 32
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Bereits seit geraumer Zeit klagen die im Flüchtlingslager Meinersen untergebrachten Flüchtlinge über schlechte Lebensbedingungen, soziale Isolation und Schikanierungen durch die zuständige Ausländerbehörde in Gifhorn. Nachdem dem 40-jährigen Nepalesen am 1. März 2011 zu Unrecht die Abschiebung angekündigt wurde, beging dieser nun Selbstmord. Die bisherigen Erkenntnisse zu den Hintergründen des Verfahrens mit Lama sind nicht aufgeklärt.
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie bewertet sie das Verhalten der Ausländerbehörde Gifhorn, im Fall Lama der nach Zeitungsberichten geäußerten Bitte des Verwaltungsgerichts in Braunschweig, die Vollstreckungsmaßnahme der Abschiebung bis zur Gerichtsentscheidung auszusetzen, nicht zu folgen?
- Wie begründet die Landesregierung ihre bis zuletzt erklärten Zweifel an einer Vaterschaft Lamas zu einem deutschen Sohn, trotz der seit Januar 2011 vorliegenden Vaterschaftsanerkennung, die eine Abschiebung unmöglich gemacht hätte?
- Welche Konsequenzen gedenkt die Landesregierung aus dem Handeln der Ausländerbehörde Gifhorn zu ziehen, und welche Konsequenzen leitet sie daraus für das seit Jahren stark kritisierte Flüchtlingslager in Meinersen ab?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Der tragische Tod des nepalesischen Staatsangehörigen Shambu Lama hat bei der Landesregierung und dem Landkreis Gifhorn große Betroffenheit ausgelöst. Gemeinsam gilt es, die Umstände, die zu dem Tod geführt haben, aufzuarbeiten.
In der öffentlichen Berichterstattung im Zusammenhang mit dem tragischen Tod, wurde bisher nur auf Aussagen von Bewohnern des Wohnheims in Meinersen, auf Erklärungen von Vertreterinnen und Vertretern aus Flüchtlingsorganisationen und auf Informationen der bevollmächtigten Anwältin des Verstorbenen zurückgegriffen. Dabei wurden wesentliche Sachverhalte zu dem aufenthaltsrechtlichen Verfahren, insbesondere zu dem seit dem 25.02.2011 anhängigen verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren des Verstorbenen unvollständig bzw. unrichtig wiedergegeben.
Basierend auf Berichten des Landkreises Gifhorn als zuständige Ausländerbehörde stellen sich Sachverhalt und Verfahrensablauf wie folgt dar:
Shambu Lama reiste am 09.05.1996 in das Bundesgebiet ein und stellte unter einer Aliasidentität einen Asylantrag, der am 11.06.1996 vom damaligen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt wurde. Eine dagegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Braunschweig (VG BS) abgewiesen. Er war seit dem 12.12.1996 vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und wurde seither geduldet. Erst nach jahrelanger mühevoller Ermittlungsarbeit des Landkreises Gifhorn und der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen hat Herr Lama im Oktober 2009 seine tatsächliche Identität und nepalesische Herkunft preisgegeben. Daraufhin wurde im Dezember 2010 von den nepalesischen Behörden die Bereitschaft zur Rückübernahme erklärt und im Januar 2011 von der nepalesischen Botschaft ein Passersatzpapier zum Zweck der Rückführung ausgestellt.
Im Februar 2011 wurde die Abschiebung eingeleitet. Der Abschiebungstermin wurde auf den 03.03.2011 festgesetzt und der bevollmächtigten Anwältin des Ausländers bekanntgegeben.
Am 25.02.2011 hat die Anwältin beim VG BS gem. § 123 VwGO beantragt, den Ausländer weiter zu dulden, weil er Vater eines deutschen Kindes sei und ihm mit Einverständnis der Kindesmutter ein Umgangsrecht mit seinem Kind (einmal monatlich) eingeräumt werde. Dazu lag der Ausländerbehörde eine Vaterschaftsanerkennung vom Jugendamt des Landkreises Helmstedt (LK HE) vom 27.09.2010 vor, weil die Kindesmutter den Wohnsitz dort hatte. Im Rahmen der ausländerbehördlichen Prüfung, ob die Vaterschaftsanerkennung ein Aufenthaltsrecht begründen könnte, hat das Jugendamt Helmstedt am 13.01.2011 mitgeteilt, dass die Kindesmutter alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge ist.
Am 28.02.2011 (Montag) hat das VG BS die Ausländerbehörde von dem vorliegenden Antrag zur einstweiligen Anordnung unterrichtet und gebeten, bis zu einer Entscheidung des Gerichts von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.
Am 01.03.2011 hat die Ausländerbehörde des LK GF gegenüber dem VG BS zu dem Antrag sehr ausführlich Stellung genommen und umfassend dargelegt, dass das als Anordnungsgrund geltend gemachte Umgangsrecht in Form von gelegentlichen Besuchen mit dem deutschen Kind, kein weiteres Aufenthaltsrecht vermittelt. Insoweit ist der Landkreis der Rechtslage und der ständigen Rechtssprechung gefolgt, wonach gelegentliche Kontakte oder monatlich einmalige Besuche zu seinem deutschen Kind einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer noch keinen weiteren Aufenthalt in Deutschland vermitteln. Darüber hinaus kam die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch deshalb nicht in Betracht, weil die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs.1 AufenthG nicht erfüllt wurden, u.a. weil Herr Lama im Jahr 2010 wegen Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden war.
Dabei hat die Ausländerbehörde das Verwaltungsgericht über den aufenthaltsrechtlichen Sachverhalt, die ihr bekannten persönlichen und familiären Verhältnisse des Ausländers und die Informationen, die sie aus einem Gespräch mit der Kindesmutter am 14.02.2011 und vom Jugendamt des LK HE am 13.01.2011 erhalten hatte, unterrichtet.
Noch bevor die Ausländerbehörde die notwendigen Maßnahmen zur Stornierung der Abschiebung einleiten und das VG BS über den Antrag entscheiden konnte hat sich Herr Lama am 01.03.2011 selbst getötet.
Es hat nach der Antragstellung beim VG BS am 25.02.2011 bis zu dem tragischen Ereignis am Nachmittag des 01.03.2011 keinen persönlichen oder fernmündlichen Kontakt zwischen dem Ausländer und einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Landkreises Gifhorn gegeben. Ausweislich einer dem VG BS und der Ausländerbehörde übersandten Telefonnotiz der Anwaltskanzlei hat Herr Lama am Morgen des 01.03.2011, wenige Stunden vor seinem Tod, in der Kanzlei nachgefragt „wie es mit seiner Abschiebung aussieht?“ Es ist nicht bekannt welche Auskunft die Anwaltskanzlei dazu gegeben hat.
Das VG BS hat in der Sache nicht mehr entschieden, aber am 16.03.2011 auf Grund des Antrages der Anwaltskanzlei vom 02.03.2011 eine Kostenentscheidung zu Lasten des Landkreises Gifhorn getroffen, und diese Entscheidung mit einer möglichen Erfolgsaussicht des Antrages begründet. Der Landkreis Gifhorn hat im Interesse des Rechtsfriedens auf ein Rechtsmittel gegen die Kostenfestsetzung verzichtet.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat mit Schreiben vom 28.02.2011 den Landkreis Gifhorn gebeten, sich unverzüglich zu äußern und bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Der Landkreis hat hierzu ausgeführt, dass er, wie in anderen Fällen auch, der Bitte des Gerichtes in vollem Umfang nachgekommen wäre und die Aufenthaltsbeendigung ausgesetzt hätte, wenn das Verwaltungsgericht nicht bis zum 03.03.2011 über den vorliegenden Eilantrag entschieden hätte.
Zu 2.:
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat zu keinem Zeitpunkt erklärt, dass Zweifel daran bestünden, dass der Verstorbene tatsächlich Vater eines deutschen Kindes sei. Eine derartige Feststellung hätte das Ministerium auch gar nicht treffen können, weil ihm der genaue Sachverhalt nicht bekannt war. Es gab auch vor dem Vollzug der Abschiebung keinen Grund für die Ausländerbehörde, eine Entscheidung der Fachaufsichtsbehörde einzuholen.
Zu 3.:
Die Beschwerden der in dem Flüchtlingswohnheim Meinersen untergebrachten Flüchtlinge über die Unterbringung sind nicht berechtigt. Im Frühjahr und im Sommer 2010 hat das Ministerium für Inneres und Sport auf Grund von Eingaben der Bewohnerinnen und Bewohnern des Flüchtlingswohnheims Meinersen die dortige Unterbringungssituation geprüft und keinen Grund für Beanstandungen gesehen.
Der Landkreis Gifhorn hatte nach einer Ortsbegehung den Standard der Unterkunft verbessert. Erschwernisse, die sich aus der persönlichen ausländerrechtlichen und damit verbunden leistungsrechtlichen Situation der einzelnen Ausländerinnen und Ausländer ergeben, sind nicht der Unterkunft anzulasten.