Kommunale Finanzen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.02.2011; Fragestunde Nr. 23
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Koblenz wird der kommunale Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz für verfassungswidrig gehalten, weil der Anspruch auf eine angemessene kommunale Finanzausstattung nicht erfüllt sei, auch die Verteilungssymmetrie werde verletzt.
Es geht dabei um den Anstieg der Sozialausgaben der Kommunen im Vergleich zu dem Anstieg der Schlüsselzuweisungen. Während die Sozialausgaben der Kommunen von 1990 bis 2007 um 325 % gestiegen seien, stiegen auf der Einnahmeseite die Schlüsselzuweisungen des Landes an die Kommunen im gleichen Zeitraum nur um 27 %.
Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 7. März 2008 zu dieser Frage festgestellt, dass die finanzielle Mindestausstattung jedenfalls dann nicht erreicht sei, wenn die Kommunen aufgrund ihrer finanziellen Situation außerstande seien, überhaupt freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Und weiter heißt es in dem Urteil sinngemäß, der Gesetzgeber müsse bei der Bemessung der Schlüsselmasse jedoch beachten, dass die von Kommunen und Land wahrzunehmenden und wahrgenommenen Aufgaben grundsätzlich gleichwertig seien. So sei es dem Land verwehrt, durch Rückführung der Schlüsselmasse die Kommunen in einem stärkeren Maße zu einer Aufgabenreduzierung oder anderen Einsparanstrengungen zu zwingen.
Nun hat Innenminister Schünemann auf eine Nachfrage des SPD-Abgeordneten Klaus-Peter Bachmann in der Fragestunde des Januar-Plenums zu dem oben genannten Urteil festgestellt: „Wir haben uns das Urteil angeschaut. Insofern gibt es keine Notwendigkeit, in Niedersachsen in irgendeiner Weise Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen.“
Der Minister verkennt allerdings, dass sich die Rechtslage bezüglich einer finanziellen Mindest-ausstattung der Kommunen anscheinend in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen kaum unter-scheidet und er selbst in der Fragestunde einräumen musste, dass eine Ebene den Kommunen zusätzliches Geld zur Verfügung stellen müsse.
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie unterscheidet sich die Rechtslage bezüglich der jeweiligen Landesverfassung und des geltenden kommunalen Finanzausgleichs in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, und wie wird die Auffassung des Kommunalministers rechtlich begründet?
- Wie wird die Aussage des Ministers politisch vor dem Hintergrund ähnlicher prekärer Entwicklungen der Finanzen der niedersächsischen Kommunen begründet?
- Ist die Landesregierung bereit, das Landesverfassungsrecht um eine Schutzbestimmung zu ergänzen, die zumindest eine finanzielle Mindestausstattung der Kommunen vorsieht und die Frage der Konnexität auch auf finanzielle Wirkungen z. B. im Steuerrecht oder bei anderen Zustimmungsentscheidungen im Bundesrat erweitert?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Wie häufig bei vergleichenden Betrachtungen der Rechtslage in unterschiedlichen Bundesländern gilt auch für die Beantwortung der Fragen nach der Vergleichbarkeit der Finanzausgleichssysteme im Hinblick auf den Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung zunächst Folgendes: Soweit nicht die Ausführung von Bundesrecht oder grundgesetzliche Verpflichtungen betroffen sind, birgt der Vergleich der Rechtslage in einem Bundesland mit der eines anderen die Gefahr, vermeintlich allgemein gültige Schlussfolgerungen aus vorschnellen Vergleichen zu ziehen. Gerade bei abweichenden Regelungen im Detail ist eine solche Herangehensweise im Ergebnis nicht Ziel führend. Das gilt auch für die der Fragestellung zu Grunde liegende Annahme, die Entscheidung des OVG Koblenz sei auf die Rechtslage in Niedersachsen übertragbar. So ist der verfassungsrechtliche Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung in Artikel 28 Abs. 2 Satz 3 GG verankert, bedarf aber der landesgesetzlichen Konkretisierung, die in allen Bundesländern unterschiedlich gestaltet ist. Obwohl die Regelungen in den Flächenländern dieselben grundlegenden Strukturen aufweisen, differieren sowohl die landesverfassungsrechtlichen Vorgaben als auch die Ausgestaltung der einzelnen Systemelemente zum Teil erheblich.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Der allgemeine kommunale Finanzausgleich, in dessen Rahmen die Finanzausstattung der Kommunen von den Ländern zu gewährleisten ist, ist im Grundgesetz normiert. Art. 106 Abs. 7 Satz 1 GG verpflichtet die Bundesländer, den kommunalen Körperschaften einen vom Landesgesetzgeber zu bestimmenden Hundertsatz des Länderanteils am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern zukommen zu lassen. Darüber hinaus können die Länder nach dieser Vorschrift regeln, ob und inwieweit sie den Gemeinden das Aufkommen an den Landessteuern zufließen lassen wollen. Im Übrigen überlässt das Grundgesetz alle weiteren Details zur Höhe und Art und Weise der Umsetzung der jeweiligen Landesgesetzgebung. Bereits aus der Formulierung des Grundgesetzes wird deutlich, dass die Länder innerhalb dieses sehr weiten Bezugsrahmens einen großen Gestaltungsspielraum für einen derartigen Ausgleich haben. Die jeweiligen Ausgleichsysteme haben zusätzlich durch die zum größten Teil länderspezifische Verfassungsrechtsprechung wesentliche Ergänzungen erfahren.
Institutionell wird die Vorgabe des Grundgesetzes in den Verfassungen der Länder sowie in den jeweiligen einfachgesetzlichen Finanzausgleichsgesetzen konkretisiert. In Art. 58 der Niedersächsischen Verfassung (NV) und Art. 49 Abs. 6 der Verfassung für Rheinland-Pfalz (VerfRP) werden die wesentlichen Umstände des Finanzausgleichs in den beiden Ländern festgelegt. Bereits aus der Formulierung dieser grundlegenden Vorschriften ergeben sich erhebliche Unterschiede zwischen beiden Bundesländern:
Der niedersächsische Verfassungstext enthält eine sehr ausgewogene Formulierung. Der Pflicht des Landes, seinen Kommunen eine ausreichende Finanzausstattung zu gewähren, wird ausdrücklich ein Vorbehalt hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Landes gegenüber gestellt. Eine derartig ausgewogene Berücksichtigung beider Seiten kann die Verfassungsnorm in Rheinland-Pfalz nicht aufweisen. Dementsprechend ist der Anspruch der niedersächsischen Kommunen auf Abdeckung ihres erforderlichen Finanzbedarfs nach Art. 58 NV von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes nicht zu trennen, während die Leistungsfähigkeit des Landes nach dem Wortlaut der rheinland-pfälzischen Verfassungsnorm kein einschränkendes Kriterium bei der Gewährleistung der kommunalen Finanzausstattung ist. Daneben gestattet es die niedersächsische Verfassung dem Land ausdrücklich, den Kommunen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel auch durch Erschließung eigener Steuerquellen zur Verfügung zu stellen. Diese Alternative ist in der rheinland-pfälzischen Verfassung nicht vorgesehen. Zuletzt formuliert die Verfassung von Rheinland-Pfalz ausdrücklich die Verpflichtung, speziell für freiwillige öffentliche Tätigkeiten in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung zu stellen. Eine entsprechende Regelung findet sich wiederum in der entsprechenden niedersächsischen Verfassungsregelung nicht.
Weitere Unterschiede bei den Ausgestaltungen der kommunalen Finanzausgleiche ergeben sich aus den Vorschriften der zweiten Regelungsebene, den jeweiligen einfachgesetzlichen Finanzausgleichsgesetzen. Diese Unterschiede sind derart umfangreich, dass an dieser Stelle ein detaillierter Vergleich den Rahmen der Beantwortung überschreiten würde. Beispielhaft seien neben der Verbundquote und der Zusammensetzung des Steuerverbundes aber folgende bedeutende Abweichungen bei der konkreten Ausgestaltung der Ausgleichssysteme erwähnt: Rheinland-Pfalz gewährt im Rahmen des Finanzausgleichs anders als Niedersachsen neben allgemeinen auch zweckgebundene Mittel. Zudem werden auch die allgemeinen Zuweisungen jeweils eigenständig für zahlreiche konkrete Einzelaufgaben gewährt. Derartige Aufteilungen der Zuweisungsmasse sind dem kommunalen Finanzausgleich in Niedersachsen fremd. Auch Nebenansätze sind in den niedersächsischen Gesetzen zur Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Schaffung eines Finanzausgleichssystems nicht vorgesehen. Zudem verfügt Rheinland-Pfalz im Rahmen seines kommunalen Finanzausgleichs über einen Stabilisierungsfonds. Ein solches Modell wurde zwar auch im Niedersächsischen Landtag bereits diskutiert, letztlich aber aus guten Gründen verworfen. Zu diesen Gründen zählten der enorme Bürokratieaufwand, um die richtige Garantiesumme zu ermitteln, und die Problematik, dass die kommunalen Gebietskörperschaften letztlich selbst den Stabilisierungsfonds hätten bestücken müssen. Daher hatten auch die kommunalen Spitzenverbände ein solches Modell abgelehnt (vgl. Vorgang zu LT-Drs. 16/1759).
Wie unterschiedlich die Ausgangsregelungen in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zum kommunalen Finanzausgleich tatsächlich sind, hat in anderem Zusammenhang auch der Niedersächsische Staatsgerichtshof festgestellt:
„[…] Die Spruchpraxis des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz (DVBl. 1992, S. 981) kann zur Auslegung der Niedersächsischen Verfassung schon deshalb nichts beitragen, weil – wenn auch auf der Basis eines dualistischen Aufgabenbegriffs – Art. 49 Abs. 5 RPV [Anmerkung: heute Abs. 6] eine einheitliche Finanzgarantie enthält, wonach der Staat den Kommunen die zur Durchführung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern hat.“ (StGH 2/93 u. a., Nds. MBl. 38/1995, S. 1167)
Zusätzlich zu der Tatsache, dass sich die Rechtslage in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen auf Grund der z. T. erheblich voneinander abweichenden einschlägigen Regelungen sowohl auf Verfassungs- als auch auf einfachgesetzlicher Ebene sehr stark unterscheidet, erschwert insbesondere auch die zu den jeweiligen Finanzausgleichssystemen ergangene landesspezifische Verfassungsrechtsprechung das Unterfangen, kommunalfinanzspezifische Schlussfolgerungen mit länderübergreifender Gültigkeit zu ziehen. Zumindest in Niedersachsen hat die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs in den zurückliegenden Jahren einen ganz erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs gehabt. Insgesamt sind hier in den letzten 15 Jahren fünf entsprechende Urteile bzw. Beschlüsse mit engerem Bezug zum Finanzausgleich ergangen, die maßgeblich zu dessen Fortentwicklung beigetragen haben.
In Rheinland-Pfalz hat es jedenfalls in der jüngeren Vergangenheit einen derartigen Einfluss des dortigen Verfassungsgerichtshofs auf den kommunalen Finanzausgleich nicht gegeben. In den letzten zehn Jahren erging lediglich ein Urteil zum kommunalen Finanzausgleich, das sich allerdings mit einer Frage der horizontalen Verteilungsgerechtigkeit befasst.
Die hier in Rede stehende Entscheidung, die im Übrigen vom Oberverwaltungsgericht Koblenz gesprochen und insoweit auch noch nicht vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz bestätigt worden ist, beschäftigt sich in erster Linie mit der Frage der sog. Verteilungssymmetrie zwischen Land und Kommunen. Nach diesem Grundsatz ist die jeweils zur Verfügung stehende Finanzmasse gleichermaßen aufgabengerecht zwischen Land und Kommunen aufzuteilen. Unter Zugrundelegung eben dieses Grundsatzes hat auch der Niedersächsische Staatsgerichtshof in den letzten Jahren zahlreiche Urteile zum niedersächsischen Finanzausgleich gefällt. Nachdem in den Jahren 1995 und 1997 zweimal die gesetzliche Neuregelung des Finanzausgleichs vom Gerichtshof als verfassungswidrig verworfen wurde, gelang der damaligen Landesregierung dann erst im dritten Versuch eine mit Urteil von 2001 für verfassungskonform erklärte Neuregelung. In allen drei Verfahren spielte die Frage der Verteilungssymmetrie eine maßgebende Rolle. In den Urteilen der Jahre 1997 und 2001 wurde dieses Prinzip auch konkret benannt und so zu einem zentralen Bestandteil der Entscheidungen. Zuletzt mit seinem Urteil aus dem Jahr 2008 hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof die Praxis der niedersächsischen Landesregierung zur Festsetzung der Ausgleichsmasse und damit die zur Messung und Bewertung der Verteilungssymmetrie herangezogenen Kriterien ausdrücklich gebilligt.
Obwohl sich die finanzielle Lage der rheinland-pfälzischen Kommunen von denen in Niedersachsen auch und gerade im Hinblick auf die massiven Zuwächse im Bereich der Sozialausgaben vermutlich wenig unterscheidet, beurteilt der Staatsgerichtshof den hiesigen Finanzausgleich unter Zugrundelegung desselben Grundsatzes wie das OVG Koblenz in seiner in der Frage zitierten Entscheidung ausdrücklich als verfassungskonform. Vor diesem Hintergrund und wegen der z. T. erheblichen Abweichungen der rechtlichen Grundlagen sieht die Landesregierung keine Notwendigkeit, Konsequenzen aus dem Urteil in Rheinland-Pfalz zu ziehen.
Zu 2.:
Auch in Niedersachsen wird das Prinzip der Verteilungssymmetrie von der grundlegenden Einschätzung getragen, dass die von Kommunen und Land wahrzunehmenden Aufgaben grundsätzlich gleichwertig sind. Infolgedessen unterliegt auch die Bewertung der finanziellen Situation von Land und Kommunen diesem Prinzip. Daraus folgt zwangsläufig das Gebot einer gerechten und gleichmäßigen Verteilung bestehender Lasten, d. h. einer ausgewogenen Aufteilung des Defizits auf Land und Kommunen durch eine beiderseitige und parallele Reduzierung der zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel. Bei der Betrachtung der Finanzsituation der Kommunen muss auch die Situation des Landeshaushalts im Blick behalten werden. Die Verteilungssymmetrie ist kein einseitiges Prinzip!
Das Land Niedersachsen verfügt mit den gesetzlichen Regelungen zum kommunalen Finanzausgleich also über eine in mehreren Klageverfahren bewährte Methode zur Feststellung, ob die bei der Ausgestaltung des Finanzausgleichs zu berücksichtigende Verteilungssymmetrie eingehalten wird. An dieser Methode wird die Landesregierung festhalten. Gleichzeitig wird die Landesregierung die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, eine finanzielle Entlastung der kommunalen Ebene, z. B. im Rahmen der Gemeindefinanzkommission, zu erreichen. Sie wird angesichts der deutlich angestiegenen Soziallasten der Kommunen weiterhin darauf drängen, dass der Bund auch Maßnahmen für kurzfristige Entlastungen auf der Ausgabenseite der Kommunen umsetzt.
Zu 3.:
Die Landesregierung sieht für eine Ergänzung der Verfassung keine Notwendigkeit. Allerdings hat sie sich auf Bundesebene im Rahmen der Arbeitsgruppe „Rechtsetzung“ der Gemeindefinanzkommission für einen besseren Schutz der Kommunen vor Gesetzen mit finanziellen Auswirkungen auf die kommunale Ebene eingesetzt. Aufgrund dieses Einsatzes werden nun zunächst beispielhaft für Sozialleistungsgesetze detaillierte und spezifizierte Berechnungen für die einzelnen Länder und die jeweilige kommunale Ebene erstellt. Für Steuerrechtsänderungsgesetze wird eine entsprechende Regelung geprüft.
Eine derartige Regionalisierung der Kostenfolgeabschätzung – jedenfalls im ausgabenträchtigen Sozialbereich – ist neu; sie ist aber als Entscheidungsgrundlage für einen Gesetzgeber unabdingbar, der sich über die eintretende Belastung der Kommunen vor einer entsprechenden Beschlussfassung Klarheit verschaffen muss.