Polizeiliche Videoüberwachung bei Großeinsätzen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 09.12.2010; Fragestunde Nr. 39
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Bereits im Juli 2010 urteilte das Verwaltungsgericht Berlin, dass die Polizei keine anlasslosen Übersichtsvideoaufnahmen von friedlichen Demonstrationen anfertigen darf. Hintergrund waren entsprechende polizeiliche Aufnahmen in Zusammenhang mit der Antiatomdemonstration in Berlin am 5. September 2009. Das Verwaltungsgericht stellte klar, dass diese Videoaufnahmen ein Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit seien.
Ähnliches entschied das Oberverwaltungsgericht Münster im November 2010. Es bestätigte einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster, das der Polizei anlasslose Videoaufzeichnungen von friedlichen Demonstrationen ebenfalls untersagt hatte. Neben der Versammlungsfreiheit sei demnach auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
Beide Urteile könnten Auswirkungen auch auf niedersächsische Polizeigroßeinsätze haben. Denn auch in Niedersachsen gibt es immer wieder Beschwerden von friedlichen Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern über anlasslose Videoaufzeichnungen der Polizei.
Ich frage die Landesregierung:
- Kann die Landesregierung bestätigen, dass es auch in Niedersachsen in der Vergangenheit, zuletzt bei den Demonstrationen rund um den Castortransport 2010, anlasslose Übersichtsvideoaufzeichnungen im Sinne der Rechtsprechung des OVG NRW durch die Polizei gegeben hat?
- Bei welchen Demonstrationen wurden im Jahr 2010 von der niedersächsischen Polizei Übersichtsvideoaufzeichnungen gefertigt und gespeichert bzw. unverzüglich wieder gelöscht?
- Welche Konsequenzen wird die Landesregierung aus den beiden genannten Gerichtsurteilen für polizeiliche Großeinsätze in Niedersachsen ziehen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 05.07.2010 – 1 K 905.09) und das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 23.11.2010 – 5 A 2288/09) hatten in zwei Verfahren über die Zulässigkeit der Anfertigung von Bildübertragungen anlässlich von Versammlungen zu entscheiden. Die angefertigten Videobilder wurden in beiden Verfahren ohne Speicherung lediglich in Echtzeit übertragen. Beide Gerichte heben in ihren Entscheidungen hervor, dass bereits die bloße Videobeobachtung potenzielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Sorge vor staatlicher Überwachung von der Teilnahme an der Versammlung abhalten könnte und in die Versammlungsfreiheit eingreife. Dieser Eingriff bedürfe einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Da eine Befugnisnorm für Bildübertragungen fehle, könne nur auf die Ermächtigung zur Anfertigung von Bildaufzeichnungen nach §§ 12a, 19a Versammlungsgesetz (VersG) zurückgegriffen werden, deren Voraussetzungen in den zu entscheidenden Fällen jedoch nicht erfüllt gewesen seien.
Die niedersächsische Polizei setzt zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung auf der Grundlage der §§ 12a, 19a VersG sowohl Bildübertragungstechnik als auch Videotechnik zur Aufzeichnung ein. Bei Großeinsätzen wie dem Castortransport, rechtsextremistischer Versammlungen mit Gegenkundgebungen wie in Hildesheim am 05.06.2010 oder am 14.08.2010 in Bad Nenndorf wurde Bildübertragungstechnik eingesetzt. Bei der Bildübertragungstechnik werden grundsätzlich Übersichtsaufnahmen gesendet, um der Einsatzleitung ein möglichst abgewogenes Bild bei taktischen Entscheidungen zum Erhalt friedlicher Versammlungen zu ermöglichen, Teilnehmerschätzungen vorzunehmen sowie Verkehrsbeobachtungen und -lenkungen durchzuführen. Grundsätzlich ist eine Aufzeichnung bei der Bildübertragungstechnik nicht vorgesehen.
Bei Aufzeichnungen wurden die Aufnahmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß ohne Verzug gelöscht. Die niedersächsische Polizei führt keine Statistik über den Einsatz von Bildübertragungs- und Videotechnik. Zur lückenlosen Dokumentation aller Einsätze müssten sämtliche Einsatzunterlagen händisch ausgewertet werden. Wegen des großen Aufwandes wurde hierauf verzichtet.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Helge Limburg (GRÜNE) namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Nein.
Im Übrigen siehe Vorbemerkungen.
Zu 2.:
Siehe Vorbemerkungen.
Zu 3.:
Das bereits vom Niedersächsischen Landtag verabschiedete und am 01. Februar 2011 in Kraft tretende Niedersächsische Versammlungsgesetz (NVersG) schafft für die Anfertigung sowohl von Bild- und Tonübertragungen als auch von Bild- und Tonaufzeichnungen ausdrückliche Ermächtigungsgrundlagen. Die Polizei ist nach den §§ 12, 17 NVersG zur Anfertigung von Bild- und Tonübertragungen befugt, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist; Bild- und Tonaufzeichnungen sind nur dann zulässig, wenn dies zur Abwehr einer erheblichen Gefahr notwendig ist.
Die den Gerichtsentscheidungen zugrunde liegende Frage, unter welchen Voraussetzungen Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen von der Polizei angefertigt werden dürfen, ist durch das NVersG eindeutig und mit abgestuften Eingriffsschwellen geregelt. Weiterer Handlungsbedarf besteht nicht.
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