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Islamisch geprägte Stadtviertel

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 09.12.2010; Fragestunde Nr. 14


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Jüttner (SPD); es gilt das gesprochene Wort!

Der Abgeordnete hatte gefragt:

Im Vorfeld und zur Vorbereitung zur Innenministerkonferenz im November 2010 hat der niedersächsische Innenminister in Pressegesprächen einen „17-Punkte-Plan zur Terrorabwehr“ angekündigt. In diesem Zusammenhang hat er auch seine Planungen erläutert, mehr Polizeistreifen in „muslimische Viertel“ zu schicken, um - so der Innenminister Schünemann wörtlich - „die schleichende Islamisierung“ dort zu stoppen.

Als Beispiel für ein derartiges Viertel hat er konkret den Stadtteil Linden in Hannover genannt.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Welche Kenntnisse hat der Innenminister konkret, die es zulassen, einen Stadtteil in Hannover als muslimisches Viertel zu titulieren und ihm eine „schleichende Islamisierung“ zu unterstellen?
  2. Wie beurteilt die Landesregierung die in der Landeshauptstadt geleistete Integrationsarbeit?
  3. Mit welchen eigenen Maßnahmen trägt die Landesregierung dazu bei, dass sich Gemeinden und Stadtteile mit hohem Migrationsanteil sozial, kulturell und bildungspolitisch gut entwickeln können?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

In dem vom Fragesteller angeführten Positionspapier schlägt Innenminister Schünemann vor dem Hintergrund einer verschärften Bedrohungslage in Deutschland eine ganzheitliche Strategie zur nachhaltigen Bekämpfung des islamistischen Extremismus/Terrorismus vor. Im Fokus stehen die Kernbereiche Deradikalisierung, operative Terrorismusbekämpfung durch die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder sowie Bevölkerungsschutz. Dabei wurden in der öffentlichen Diskussion und in dem Papier durch den Minister auch mögliche Auswirkungen von Parallelgesellschaften im großstädtischen Bereich für die innere Sicherheit dargestellt. Insoweit ist auf die Erkenntnislage einschlägiger Studien zu Radikalisierungsprozessen im islamistischen Spektrum hinzuweisen. Insbesondere untermauert eine empirische Untersuchung des New York Police Department (NYPD) zu militanten Islamisten in Westeuropa (GB, SP, NL, D), Australien und Nordamerika (USA, CAN), dass in von der Mehrheitsgesellschaft abgeschotteten islamisch geprägten Einwanderermilieus Tendenzen der Radikalisierung begünstigt werden können (NYPD, Radicalization in the West: The Homegrown Threat, 2007, S.22). Hierauf ging im Übrigen bereits die Regierungserklärung „Islamistischer Terrorismus“ des Innenministers vom 13.09.2007 ein, ohne dass seinerzeit daran Anstoß genommen wurde. An besagter Stelle heißt es: „Wo Strukturen der Abschottung, der kulturellen Isolation sich bilden oder verfestigen, gedeiht der Nährboden für radikales Gedankengut. In einem solchen Klima erst können sich Islamisten ‚wie Fische im Wasser’ bewegen und mit ihrer demokratiefeindlichen Ideologie Anhänger gewinnen“.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnislage wird in dem vom Fragesteller erwähnten sicherheitspolitischen Positionspapier allgemein konstatiert, dass in städtischen Bereichen, „die von Desintegration und sozialen Problemen überproportional betroffen sind, … die sichtbare Präsenz der staatlichen Ordnungsmacht für eine präventive Signalwirkung unerlässlich“ sei. Innenminister Schünemann hat diesbezüglich in der Presse klargestellt, dass es insoweit nicht um eine niedersachsenspezifische Problemlage geht (Weserkurier 18.11.2010). Darüber hinaus betont der Minister, wie auch in der Presse dargestellt, die Bedeutung eng abgestimmter Präventionspartnerschaften von Staat, Gesellschaft und Moscheegemeinden sowie nachhaltiger Integrationsmaßnahmen, mit der Zielsetzung, die Muslime in der Mitte der Gesellschaft stärker zu beheimaten und gleichzeitig den islamistischen Extremismus zu isolieren. Dies entspricht den Kernanforderungen an eine zukunftsfähige Innen- und Sicherheitspolitik, für welche die Landesregierung mit Nachdruck eintritt.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Der Landesregierung geht es darum, desintegrativen und sicherheitsbedenklichen Aspekten, wie sie von bestimmten Parallelgesellschaften im großstädtischen Bereich ausgehen können, durch ein abgestimmtes Handeln von Staat und Gesellschaft vorausschauend und konsequent zu begegnen. Dies liegt im Interesse der einheimischen Bevölkerung wie der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

Zu 2.:

Die Integration von Zugewanderten ist für die Landesregierung eine politische und gesellschaftliche Aufgabe von herausragender Bedeutung, bei der zahlreiche Vereine, Verbände und Institutionen wertvolle Arbeit leisten. Sie beurteilt nicht die Integrationspolitik einzelner Kommunen. Vielmehr begrüßt die Landesregierung Engagement und Initiativen aller Beteiligten.

Zu 3.:

Das Ziel aller Integrationsbemühungen ist die erfolgreiche Eingliederung der bereits hier rechtmäßig und auf Dauer lebenden Migrantinnen und Migranten und der neuen legalen Zuwanderinnen und Zuwanderer in die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Ordnung. Mit dem Handlungsprogramm Integration 2008 trägt die Landesregierung der gewachsenen Bedeutung des Themas Integration Rechnung. Sie sieht Integrationspolitik als integralen Bestandteil der Landespolitik, der auf einer Zusammenarbeit des Landes mit dem Bund, den Kommunen, mit den Organisationen, Verbänden und Einrichtungen sowie nicht zuletzt mit den Betroffenen basiert. Das Land engagiert sich im Bereich der präventiven, der begleitenden und insbesondere auch in der nachholenden Integrationspolitik.

Besonders hervorgehoben werden können die nachfolgenden Handlungsfelder:

Soziale Stadt

Um der drohenden sozialen Polarisierung in den Städten entgegen zu wirken, ist die Städtebauförderung in Niedersachsen im Jahr 1999 um die Programmkomponente „Soziale Stadt“ erweitert worden. Dieser Programmansatz verknüpft die nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen durch eine aktive und integrativ wirkende Stadtentwicklungs-politik mit einer frühzeitigen Abstimmung und Bündelung öffentlicher und privater Finanzmittel auf Stadtteilebene. Anders als die klassischen Städtebauförderungsprogramme wird der Blick dabei nicht nur auf städtebauliche Maßnahmen gerichtet. Ziel ist es, sozial und ethnisch gemischte Quartiere zu schaffen und somit den Segregationstendenzen entgegen zu wirken. Benachteiligte Gebiete sollen stabilisiert werden, um das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen im Quartier sozial verträglich zu organisieren und die Potenziale kultureller Vielfalt nutzen zu können. Das Wohnumfeld als Lebensmittelpunkt und Begegnungsfeld für Zugewanderte und Einheimische gilt es, zu selbstständig lebensfähigen Stadtteilen mit positiver Zukunftsperspektive zu machen. Für das Programm „Soziale Stadt“ betrugen die Mittel für Maßnahmen, die sich an Migrantinnen und Migranten richteten, im Jahr 2009 ca. 19,4 Mio. Euro und im Jahr 2010 ca. 8,8 Mio. Euro für je 34 städtebauliche Gesamtmaßnahmen.

Landesprogramm Familien mit Zukunft

Das Landesprogramm Familien mit Zukunft hat Familien mit Migrationshintergrund besonders im Blick. So werden bereits seit 2006 Kindertagesstätten zu Familienzentren weiterentwickelt.

Zusätzlich zur Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern im Sinne des Kindertagesstättengesetzes gibt es in diesen Familienzentren vielfältige bedarfsgerechte Angebote für die ganze Familie. Dazu zählen u.a. Sprachkurse, Beratungsangebote zu vielfältigen Lebensfragen und die Möglichkeit zur Beteiligung an (inter)kulturellen freizeitpädagogischen Angeboten für Eltern und Kinder. Die Angebote der Familienzentren richten sich außer an Eltern auch an alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils. Die Landeshauptstadt Hannover erhielt für diese Familienzentren im Jahr 2009 Landesmittel in Höhe von 161.554 Euro und in 2010 Zuwendungen in Höhe von 186.554 Euro.

Das Elternbildungsprogramm „Rucksack“ dient der Sprachförderung und Elternbildung. Mütter mit Migrationshintergrund werden fortgebildet, um andere Eltern zu befähigen, durch den Einsatz bestimmter Materialien mit ihren Kindern in ihrer Erstsprache zu spielen und zu sprechen. In der Kindertagessstätte bilden dann die gleichen Themen und Materialien in Deutsch die Grundlage für Sprachförderung und Bildungsarbeit. Alle Materialien, die die „Rucksackmütter“ für ihre Bildungs- und Integrationsarbeit brauchen, passen in ihren Rucksack. Für dieses Programm erhielt die Stadt Hannover im Jahr 2009 Landesmittel in Höhe von 140.055 Euro sowie im Jahr 2010 weitere 133.719 Euro. Darüber hinaus wurden beispielsweise Maßnahmen der Sprachförderung im Jahr 2009 mit 426.500 Euro gefördert sowie im Jahr 2010 mit einer Zuwendung in Höhe von 400.000 Euro.

Modellprojekt „Interkulturelle Leistungserbringung in der ambulanten und stationären Versorgung in der Region Hannover“

Hierbei handelt es sich um ein Projekt der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen und der AOK Niedersachsen zur Erprobung für die Gruppe der türkisch Versicherten als größter homogener Versicherungsgruppe mit Migrationshintergrund. Es bietet Schulungen von ärztlichem Personal in ausgewählten Krankenhäusern und bei beteiligten ambulanten Versorgungspartnern, Förderung interkultureller Teams, Ausbildung von Sprach- und Kulturmittlern. Das Ziel ist es, den älteren Menschen mit Migrationshintergrund eine Altersbetreuung und Pflegeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen, die auf die kulturell bedingten Unterschiede eingehen können und diese berücksichtigen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist, die Menschen mit Migrationshintergrund über die Möglichkeiten, die sie hier haben, sei es bei der Inanspruchnahme von Institutionen, Fördermöglichkeiten oder Hilfsangeboten so zu informieren, dass allen von Ihnen ein Zugang zu den Angeboten offen steht.


Betreuungswesen interkulturell öffnen und Zusammenarbeit intensivieren

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration

fördert das Projekt „Zusammenarbeit Intensivieren – Transkulturelle Kompetenz im Betreuungswesen stärken“, das vom Institut für Transkulturelle Betreuung e.V. (ITB) durchgeführt wird. Mit dem Projekt soll die interkulturelle Kompetenz der Betreuungsvereine in Niedersachsen gestärkt werden und diese bei Angeboten der Betreuung und bei der Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund genutzt werden. Ein weiteres Ziel des Projektes ist, dass die Gewinnung von Ehrenamtlichen im Bereich der Betreuung vorangetrieben wird.

Betreuungsratgeber in verschiedenen Sprachen

Menschen mit Migrationshintergrund werden zum Teil aufgrund von Sprachbarrieren und kultureller Hinderungsgründe darin gehindert, die auch für sie bestehenden Beratungsangebote und Hilfen in Anspruch zu nehmen oder die erforderlichen Maßnahmen für eine Vertretung selbstbestimmt zu ergreifen. Aus diesem Grund hat das Institut für Transkulturelle Betreuung e.V. (ITB) einen Betreuungsratgeber in verschiedenen Sprachen erarbeitet, der die interkulturellen Unterschiede berücksichtigt. Er ist in einfacher und verständlicher Form gehalten und enthält eine Darstellung der rechtlichen Grundlagen sowie eine detaillierte Beschreibung der Vorsorgemöglichkeiten in Form von Betreuungs-, Patientenverfügungen und Vorsorgevoll-machten. Es ist beabsichtigt, zusätzlich eine Auflistung regionaler Anlaufstellen wie Betreuungsgerichte, -vereine und -behörden aufzunehmen. Der Ratgeber soll anschließend niedersachsenweit verteilt werden.

Zur Verbesserung der Bildungsbeteiligung hält die Niedersächsische Landesregierung Fördermaßnahmen mit dem Ziel vor

die Bildungschancen aller Kinder und Jugendlichen, unabhängig von ihrer sozialen, sprachlichen und kulturellen Herkunft zu fördern

die Schulabbrecher- und Wiederholerquote zu reduzieren und

den Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an höheren Schulabschlüssen zu erhöhen

So führt die Landesregierung bereits seit 2003 Programme und Empfehlungen für die frühe Sprachförderung in Kindertagesstätten, im letzten Jahr vor der Einschulung, in der Grundschule und im Sekundarbereich I durch. In der additiven Sprachförderung im Elementarbereich investiert das Land jährlich 6 Millionen Euro in die Sprachförderung vornehmlich für Kinder mit Migrationshintergrund. Hiervon profitieren auch Gemeinden und Stadtteile mit hohem Migrationsanteil. Verstärkt werden diese Anstrengungen vom März 2011 an durch das Bundesprogramm Offensive Frühe Chancen: Schwerpunktkitas Sprache & Integration. Rund 400 Einrichtungen in Niedersachsen sollen für Kinder mit einem hohen Sprachförderbedarf zu Schwerpunktkitas weiterentwickelt werden. Dies wird insbesondere das Bildungs- und Betreuungsangebot für Kinder mit Migrationshintergrund erhöhen.

Eine wichtige Säule für den Bildungserfolg und die Integration auch der zugewanderten Kinder ist die Zusammenarbeit mit den Eltern. Das Niedersächsische Kultusministerium und das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration fördern gemeinsam die Qualifizierung von ehrenamtlich tätigen Integrations- und Elternlotsen zu kulturellen Mittlern zwischen Schule und Elternhaus. Seit 2007 sind bereits über 250 Elternlotsen qualifiziert worden, auch in Stadtteilen und Gemeinden in denen überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund leben.

Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert in Hannover-Linden das Projekt „Lindenvision – für eine Wir-Stadtteilgesellschaft“. Projektziel ist die Implementierung von Strukturen für Teilhabe aller Menschen im Stadtteil sowie die langfristige Förderung der kulturellen und sozialen Integration. Erwartetes Ergebnis ist ein Modell einer Stadtteilgesellschaft, aufgebaut auf Integration und gesellschaftlichem Zusammenhalt, zukunftsweisend auch für andere Kommunen bzw. Stadtteile. Das Gesamtprojekt arbeitet eng zusammen mit den Akteuren des hannoverschen Integrationsplanes.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
10.12.2010

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