Protest gegen Castor
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.11.2010; Fragestunde Nr. 10
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag brachte in einem Interview bei Hit-Radio Antenne Niedersachsen am 14. Oktober 2010 mit Blick auf die wachsende Protestbewegung gegen den Atommülltransport ins Zwischenlager Gorleben die Möglichkeit ins Gespräch, „dass der Castor nicht ans Ziel kommt, weil es die Proteste nicht zulassen“. Wenige Tage zuvor hatte sich Stefan Wenzel laut Hamburger Abendblatt vom 8. Oktober 2010 wie folgt geäußert: „Es wird zivilen Ungehorsam geben, aus meiner Sicht ist das aber keine Straftat. (…) In der Vergangenheit haben Gerichtsurteile erwiesen, dass ziviler Ungehorsam als Ordnungswidrigkeit bewertet wird.“
Der heutige Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag und frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte seine Parteifreunde im Vorfeld der Castor-Transporte im Frühjahr 2001 noch eindringlich ermahnt, von Protesten gegen den Castor abzusehen. Wörtlich hieß es damals in einem Brief an die niedersächsischen Kreisverbände von „Bündnis 90/Die Grünen“ vom 28. Januar 2001: „Genauso verhält es sich mit Aktionen gegen die notwendige Rücknahme von Atommüll aus Frankreich. Hiergegen zu demonstrieren hält der Parteirat - unabhängig von der Form des Protestes, ob durch Sitzen, Gehen oder Singen - für politisch falsch. (…) Wir stehen zur Verantwortung der Bundesrepublik, für die Entsorgung des deutschen Atommülls eine nationale Lösung zu finden.“
In ähnlicher Weise hatte sich die heutige Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, laut Welt vom 20. Februar 2001 geäußert: „Die designierte Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth, sprach sich erneut gegen Blockaden von Atommüll-Transporten aus. Im ZDF sagtesie, die Castortransporte seien ‚notwendige Folgen aus dem Konsens’ und aus der verantwor-tungslosen Energiepolitik der vergangenen Jahre, die sich ‚um Entsorgung nie gekümmert’ habe.“
Ich frage die Landesregierung:
- Wie beurteilt die Landesregierung die Einlassungen des Fraktionsvorsitzenden Wenzel zu den Aktionsformen zivilen Ungehorsams vor dem Hintergrund gewaltsamer Aufrufe zum „Schottern“ der Bahngleise im Wendland?
- Teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass der Sinneswandel führender Politiker der Grünen, was die Bewertung möglicher Proteste gegen die Castortransporte anbelangt, eng damit zusammenhängt, dass die Grünen 2001 in der Regierung waren und heute in der Opposition sind?
- Teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass die jetzt in der Opposition von grünen Bundes- und Landespolitikern eingenommene Position zum Thema „ziviler Ungehorsam“ geeignet ist, die Legitimität und Bestandskraft rechtsstaatlich ordnungsgemäß zustande gekommener Entscheidungen und damit die Basis für eine zukunftsorientierte Fortentwicklung unseres Gemeinwesens generell infrage zu stellen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Die Bundesrepublik Deutschland kommt mit der Rückführung von verglasten radioaktiven Abfällen in sogenannten CASTOR-Transportbehältern (im Folgenden: Castor-Transport) ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nach, den bei der Wiederaufarbeitung von in deutschen Kernkraftwerken verwendeten Brennstäben entstehenden radioaktiven Abfall aus dem Ausland zurück zu nehmen. Die Castor-Transporte von La Hague nach Gorleben sind in den vergangenen Jahren – so wie auch in diesem Jahr - von zahlreichen Protesten begleitet worden.
Die Durchführung des Castor-Transports stellt die Polizei in zweifacher Hinsicht vor Herausforderungen. Zum einen muss sie den Schutz und eine sichere Durchführung des vom Bundesamt für Strahlenschutz auf der Grundlage des Atomgesetzes genehmigten Castor-Transportes gewährleisten. Zum anderen hat die Polizei die Aufgabe, Atomkraftgegnern die Ausübung ihrer Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit zu ermöglichen.
Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zeigen, dass die Demonstrantinnen und Demonstranten überwiegend friedlichen Protest üben; allerdings sind auch vereinzelte unfriedliche und gewalttätige Aktionen zu verzeichnen gewesen. Die Versammlungsfreiheit schützt jedoch nur friedlichen und gewaltfreien Protest. Gegen gewaltbereite Störer und Straftäter muss die Polizei daher konsequent einschreiten.
Darüber hinaus vermittelt das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch keinen Anspruch darauf, den von den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern kritisierten Castor-Transport durch Verhinderungsaktionen faktisch zu unterbinden. Daher sind Verhinderungsblockaden, die nicht auf Protest, sondern auf die Verhinderung des Castor-Transportes gerichtet sind, oder Manipulationen an der Transportstrecke rechtswidrige Handlungen, die je nach Einzelfall den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat erfüllen können.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff des „zivilen Ungehorsams“ im geltenden Recht nicht vorgesehen ist, und dieses Verhalten, abhängig vom konkreten Fall, die Erfüllung einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat bedeuten kann.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Der Versuch die Durchführung des Castor-Transports durch das Entfernen von Schottersteinen aus dem Gleisbett zu be- oder verhindern, ist keine neue Erscheinungsform des Protests, sondern war auch in den Vorjahren bereits vereinzelt zu verzeichnen. Neu ist in diesem Jahr aber das Ausmaß der Kampagne, mit der die Aktion „Castor schottern“ beworben wurde. Dabei wird das „Castor schottern“ häufig als Ausdruck „zivilen Ungehorsams“ und als Maßnahme, die zwar vom Gesetz nicht gedeckt, aber legitim und gerechtfertigt sei, dargestellt. Hierdurch wird diese Protestaktion irrig verharmlost und in ihren Folgen bagatellisiert.
Die Aktion "Castor schottern" stellt eine Straftat nach § 316 b StGB (Störung öffentlicher Betriebe) dar; auch der Aufruf zum „Schottern“ ist bereits als öffentliche Aufforderung zur Störung öffentlicher Betriebe eine strafbare Handlung nach § 111 StGB in Verbindung mit § 316 b StGB, die – selbst für den Fall, dass die Aufforderung ohne Erfolg bleibt – mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bedroht ist. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg hat deshalb entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Ob in den der Fragestellung zugrundeliegenden Äußerungen eine solche strafbare öffentliche Aufforderung zur Störung öffentlicher Betriebe zu sehen ist, lässt sich anhand der wiedergege-benen Zitate nicht beurteilen.
Zu 2.:
Einschätzungen zu den möglichen Beweggründen, die den Äußerungen einzelner Politikerinnen und Politiker zugrunde liegen, gibt die Landesregierung nicht ab.
Zu 3.:
Die Landesregierung sieht die Basis für eine zukunftsorientierte Fortentwicklung unseres Gemeinwesens in Niedersachsen als so hinreichend gefestigt an, dass sie nicht bereits durch Positionen, die von einzelnen Politikerinnen und Politikern eingenommen werden, in Frage gestellt würde.