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Feierstunde in Hannover

Rede von Innenminister Uwe Schünemann zum 60-jährigen Bestehen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland


Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihnen allen, die Sie heute der Einladung von Frau Bischoff, der Vorsitzenden der Landesgruppe Niedersachsen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, gefolgt sind, sage ich ein herzliches Willkommen in unserer Landeshauptstadt Hannover!

Der Niedersächsische Ministerpräsident David McAllister kann heute leider nicht bei Ihnen erscheinen. Er bedauert dieses sehr und hat mich gebeten, im Namen der Landesregierung die Festrede zu halten. Dieser Bitte komme ich sehr gerne nach – so wie ich auch in der Vergangenheit mich über jede Gelegenheit des inhaltlichen Austauschs mit Ihnen gefreut habe.

Dass Ihre Landsmannschaft den 60. Jahrestag ihrer Gründung zum Anlass nimmt, auch in Hannover eine Jubiläumsfeier auszurichten, werte ich als Ihr Bekenntnis zu Niedersachsen.

Darüber freue ich mich persönlich!

Das 60. Gründungsjubiläum der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland bietet nicht nur Gelegenheit zu feiern. Unvergessen bleibt der Anfang Ihrer Geschichte, der Ausgangspunkt der Landsmannschaft: die Vertreibung der in Russland lebenden Deutschen aus Ihren angestammten Siedlungsgebieten an der Wolga und dem Schwarzmeergebiet.

Das Leben und das Schicksal der Deutschen in Russland begann vor rund 250 Jahren, als deutsche Bauern und Handwerker in das Reich

Katharinas der Großen einwanderten. Die deutschen Siedler waren begehrte Fachkräfte und Spezialisten, die sich unter damals attraktiven Rahmenbedingungen entfalten konnten: Sie hatten Religionsfreiheit, das Recht auf Selbstverwaltung in den Siedlungsgebieten und sie waren vom Militärdienst frei gestellt.

Das letzte Jahrhundert, insbesondere der Zweite Weltkrieg, markieren in vieler Hinsicht eine schmerzhafte Zäsur – auch und gerade für die in Russland lebenden Deutschen. Mit dem Angriff Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion im Sommer 1941 spitzte sich ihre Lage bedrohlich zu.

Quasi von einem auf den anderen Tag fielen alle Deutschstämmigen unter Generalverdacht der stalinistischen Machthaber. Aus ehemals willkommenen und geachteten Mitbürgern wurden Staatsfeinde, die allein ihre Abstammung und Sprache verdächtig machte.

Der berüchtigte Erlass des Obersten Sowjets vom 28. August 1941 hatte für die Betroffenen extreme Ausmaße: Innerhalb weniger Monate wurden fast 1 Mio. Deutsche aus ihren angestammten Siedlungsgebieten an der Wolga und in der Südukraine vertrieben und nach Sibirien oder Mittelasien verschleppt. Die Deportierten mussten hart arbeiten, erfroren und verhungerten. Viele sahen ihre Familienangehörigen und Freunde sterben.

Richtig ist: Hitlers Angriffskrieg war der Ausgangspunkt von Gewalt und Gegengewalt. Das ist unzweifelhaft. Klar ist aber auch: Die Deportation der Russlanddeutschen und anderer Völkerschaften durch das Sowjetregime war und ist durch Nichts, aber auch Nichts zu rechtfertigen!

Nicht nur die Generation, die diese Vertreibung erleben musste, sondern auch deren Kinder und Enkelkinder, hatten schwer unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges zu leiden. Sie mussten über Jahrzehnte schwerwiegende Nachteile in Kauf nehmen. Deshalb hatte und hat Deutschland eine besondere Verantwortung für die Deutschen aus Russland und ihre Familien.

In der noch jungen Bundesrepublik Deutschland wurde bereits fünf Jahre nach Kriegsende die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ unterzeichnet, also vor nunmehr 60 Jahren. Die Landsmannschaften haben damit früh den Frieden und Integrationsprozess in Europa befördert.

Sinngleiches vermittelt uns auch eine Inschrift am Heimkehrerdenkmal im niedersächsischen Friedland: „Völker entsaget dem Hass – versöhnt Euch, dienet dem Frieden – baut Brücken zueinander!“

Diese Botschaft verstehe ich auch heute als Auftrag an uns, die Erinnerung an die Geschehnisse und die Folgen des Zweiten Weltkrieges wach zu halten. Es ist eine bleibende Verpflichtung für uns alle, uns für ein geeintes Europa einzusetzen.

In den 60 Jahren des Bestehens Ihrer Landsmannschaft haben Sie ihre Kultur und Ihr geschichtliches Erbe bewahrt, haben sich aber gleichzeitig weltoffen auf zukünftige Entwicklungen eingestellt. Dafür spreche ich Ihnen meinen Respekt, meine Anerkennung und meinen Dank aus.

Das Bundesvertriebenengesetz beauftragt uns, Spätaussiedlern die Eingliederung in das berufliche, kulturelle und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern und die durch die Spätaussiedlung bedingten Nachteile zu mildern.

Die Erfüllung dieses Auftrags war und ist in der Praxis nicht immer einfach. Allein seit 1990 sind über 2,5 Millionen Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Über 220.000 dieser Menschen leben und arbeiten bei uns in Niedersachsen.

Und sie sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken:

aus unseren Kindergärten und Schulen, aus den Firmen, dem Sportverein oder der Musikschule. Ohne sie wäre unser gemeinsames Leben ärmer. Sie bringen Begabungen, Fähigkeiten und vielfältige Interessen mit. Sie bereichern unsere Gesellschaft mit ihrem Engagement, ihren Talenten und Traditionen, mit ihrem Familiensinn und Zusammenhalt.

Spätaussiedler sind bei uns in Niedersachsen willkommen. Für die Niedersächsische Landesregierung ist ihre Integration, gerade der Kinder und Jugendlichen, in unsere Gesellschaft eine zentrale politische Herausforderung und Aufgabe. Das Erlernen und Beherrschen der deutschen Sprache ist ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Integration – das ist kein Geheimnis!

Überheblichkeit und Hochmut seitens der Einheimischen sind aber fehl am Platze. Wer die Situation vor allem jugendlicher Spätaussiedler nachempfinden will, braucht sich nur die Schwie-rigkeiten vorzustellen, die einen in Deutschland sozialisierten Jugendlichen erwarten würden, wenn er sich in kurzer Zeit in die russische, ukrainische oder kasachische Gesellschaft integrieren sollte.

Wenn wir Rückschau halten auf den Eingliederungsprozess der Eltern- und Großelterngeneration deutscher Vertriebener, die in Niedersachsen eine neue Heimat gefunden haben, so können wir feststellen: Die Heimatvertriebenen haben nicht resigniert. Sie haben ihr Schicksal mutig angenommen und einen neuen Anfang gewagt. Sie haben sich aktiv eingebracht und den Aussöhnungsprozess in Europa vorangetrieben. Sie sind ein integraler Teil unseres demokratischen Gemeinwesens — und das ist gut so!

An diesem Mut und den erzielten Erfolgen sollten wir uns orientieren.

Deshalb müssen wir uns immer wieder aufs Neue die Frage stellen:

Was hilft zugewanderten Spätaussiedlern bei der Integration?

Wie erreichen wir die gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen unserer Gesellschaft?

Was müssen wir als Integrationsleistung von den Zuwanderern selbst einfordern?

In Niedersachsen gibt es viele Maßnahmen und Projekte, die die sprachliche, berufliche, kulturelle und soziale Integration fördern. Das Land, die Städte und Gemeinden sowie die sozialen Vereine und Verbände, die Kirchen, die Bildungseinrichtungen, die Sportvereine aber insbesondere auch ihre Landsmannschaft tragen - jede auf ihre Art - dazu bei, die Integration unserer Spätaussiedler zu fördern.

Die Landesregierung hat, um die politische Bedeutung des Anliegens zu unterstreichen, den Landtagsabgeordneten Rudolf Götz zum Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler bestellt.

An dieser Stelle kann ich nicht jede gute Maßnahme und jedes Engagement benennen. Nur soviel: Von entscheidender Bedeutung ist, dass unsere Kinder und Jugendlichen vernünftig die deutsche Sprache lernen. Fördern und Fordern! Eine gute Schulbildung ist Voraussetzung, um später am Arbeitsmarkt bestehen zu können. Keiner darf hier verloren gehen. Jeder Euro, der hier investiert wird, ist gut angelegtes Geld!

Der Landesregierung ist es außerdem ein Kernanliegen, dass Bildungsabschlüsse von Zuwanderern zukünftig schneller und problemloser geprüft und anerkannt werden. Nicht zuletzt deshalb, weil wir damit auch dem drohenden Fachkräftemangel nachhaltig entgegen wirken wollen.

Aber wir wollen auch die Menschen vor Ort unterstützen und ihnen helfen, schneller heimisch zu werden. Diese Aufgabe nehmen die mit Unterstützung des Landes ausgebildeten Integrations-lotsen war. Denn: Es sind die persönlichen Begegnungen, die Integration erleichtern. Das richtige Wort zur richtigen Zeit. Hilfe, wenn sie gebraucht wird. Dort, wo sich Menschen ehrenamtlich engagieren, fällt Integration nach unseren Beobachtungen leichter.

Hier sind alle aufgerufen. Aber vor allem können die Menschen am besten helfen, die selbst erlebt haben, wie es ist, sich in einer neuen und zunächst fremden Welt zurechtzufinden.

Erfolge lassen sich belegen. So hat beispielsweise das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2009 festgestellt: Die Aussiedler haben im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen einen besseren Erfolg und gute Integrationswerte – ein Ergebnis, dass sich sehen lassen kann!

Gleichwohl dürfen wir bestehende Probleme bei der Eingliederung nicht „unter den Teppich kehren“. Vielmehr müssen diese – auch im Interesse der Betroffenen – offen angesprochen und nachhaltig gelöst werden.

Eines steht aber außer Zweifel: Die Integrationsbemühungen haben den Praxistest bestanden.

Die Mehrzahl der Spätaussiedler hat den Sprung in Ausbildung und Arbeitsmarkt geschafft. Sie sind fester Bestandteil der örtlichen Gemeinschaft und gute Nachbarn geworden. Sie tragen mit ihren Potenzialen zu einem vielfältigen, weltoffenen und innovativen Niedersachsen bei. Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Spätaussiedlern, aber auch anderen Zuwanderern dürfen in unserem demokratischen Gemeinwesen keinen Platz haben!

Lassen Sie mich noch etwas zu Friedland sagen. Friedland ist seit seiner Gründung 1945 über die Landesgrenze hinaus bekannt als das „Tor zur Freiheit“ für viele Millionen Kriegsheimkehrer, Vertriebene, Aussiedler und Flüchtlinge. Für diese Menschen war und ist Friedland stets verbunden mit einem hoffnungsvollen Neubeginn und mit vielen Plänen für die Zukunft. Wer in Friedland ankommt, den erwarten ein aufrichtiges Willkommen und viel Unterstützung beim Neuanfang.

Es zeichnet sich ab, dass für das Grenzdurchgangslager ein neuer Zeitabschnitt beginnt: Friedland soll zukünftig die Aufgabe der Erstaufnahme sowohl für die Spätaussiedler und jüdischen Zuwanderer als auch für die dem Land Niedersachsen zugewiesenen Asylbewerber überneh-men.

Parallel zum weiteren Betrieb im Grenzdurchgangslager Friedland soll auf dem Gelände ein Museum entstehen. Friedland ist ein Erinnerungsort deutscher Geschichte par excellence. Wie nirgendwo sonst lässt sich an diesem symbolischen Ort die Aufnahme und Integration von Millionen Heimatvertriebener, Kriegsheimkehrer, Aussiedler und Flüchtlingen aus aller Welt veranschaulichen. Das Museum wird damit ein Ort des Lernens über Themen wie Flucht, Vertreibung, Migration und Integration.

Die heutige Festveranstaltung hat maßgeblich die Vorsitzende der Landesgruppe Niedersachsen, Frau Lilli Bischoff, organisiert.

Liebe Frau Bischof, von dieser Stelle meinen besonderen Dank für ihr unermüdliches und wertvolles Engagement in und für Niedersachsen! Dieser Dank gilt stellvertretend auch den vielen Menschen, die „im Hintergrund“ mitwirken und die Durchführung dieser und zahlreicher anderer Veranstaltungen ermöglicht haben.

60 Jahre Landsmannschaft der Deutschen aus Russland – das bedeutet sechs Jahrzehnte engagierter und erfolgreicher Einsatz für die Belange unserer Aus- und Spätaussiedler. Vom Bundesvorstand, über die Landesgruppen bis hinein in die Ortsgruppen wurde und wird wertvolle Arbeit geleistet. Es ist vor allem Ihrer Landsmannschaft zu verdanken, dass die besondere Geschichte und Kultur der in der ehemaligen Sowjetunion diskriminierten deutschen Volksgruppe in das öffentliche Bewusstsein gelangten. Sie haben dafür gesorgt, dass die Belange Ihrer Landsleute weder in Deutschland noch in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion in Vergessenheit geraten sind.

Und nicht zuletzt haben Sie einen ganz wesentlichen Anteil an der erfolgreichen Integration der Aussiedler und Spätaussiedler in die deutsche Gesellschaft.

Hierfür möchte ich mich bei dem Landesvorstand und allen Aktiven ganz herzlich bedanken. Ich wünsche Ihnen und uns allen für die Zukunft viel Erfolg im gemeinsamen Bemühen, diesen Weg weiter zu gehen.

Wir werden Sie und Ihre Arbeit auch in Zukunft mit allen Kräften unterstützen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
09.10.2010

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