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Polizeiausbildung in Afghanistan

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 07.10.2010; Fragestunde Nr. 6


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Reinhold Coenen (CDU); Es gilt das gesprochene Wort!

Der Abgeordnete hatte gefragt:

Im Nachgang zum Petersberger Abkommen hat die Bundesrepublik Deutschland auf Wunsch der afghanischen Übergangsregierung und der Vereinten Nationen zu Beginn des Jahres 2002 die internationale Führungsrolle für den Wiederaufbau der afghanischen Polizei übernommen. Das deutsche Engagement beim Aufbau einer funktionsfähigen Polizei in Afghanistan ist als Aufgabe von besonderem nationalen Interesse eingestuft worden. Dieses Engagement beruht auf beratenden und unterstützenden Mandaten der Vereinten Nationen.

Niedersachsen stellt ebenfalls Polizeikräfte für das deutsche Kontingent und kommt seinen Verpflichtungen nach. Das Land sendet aktuell über 20 Polizistinnen und Polizisten nach Afghanistan. Ihre Aufgabe besteht darin, die einheimischen Kräfte auszubilden. Denn Ziel ist, dass die Afghanen künftig selbst für ihre innere Sicherheit sorgen und auf Hilfe sowie Unterstützung anderer Staaten verzichten können.

Die Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern haben Ende letzten Jahres beschlossen, einen verstärkten deutschen personellen Beitrag zum Polizeiaufbau zu unterstützen. Das Konzept sieht vor, das gemeinsame Kontingent auf 260 deutsche Polizeiausbilder in Afghanistan zu erhöhen. Selbst Bayern stellt seit diesem Jahr Polizeiausbilder zur Verfügung, was vor dieser Vereinbarung der Innenminister nicht der Fall war.

Einem Zeitungsartikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 6. September 2010 war zu entnehmen, dass Brandenburg nunmehr erwägt, seine Polizeiausbilder aus Afghanistan zurückzuziehen. Der zurückgetretene brandenburgische Innenminister Rainer Speer wolle die „Solidarität der deutschen Innenminister“ aufkündigen. Zur Begründung habe Speer ausgeführt, es handele sich nach Aussagen des deutschen Außenministers Westerwelle um einen bewaffneten Konflikt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie beurteilt die Landesregierung die Ankündigung Brandenburgs, künftig keine Polizisten für Afghanistan stellen zu wollen?

2. Welche Auswirkungen hätte ein Rückzug Brandenburgs auf die Entsendung niedersächsi-scher Polizisten?

3. Wie beurteilt die Landesregierung vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Bewertung der Einsatzsituation der ISAF im Norden Afghanistans den Einsatz der Polizeiausbilder?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Deutschland trägt in enger Zusammenarbeit und Koordination mit der internationalen Staatengemeinschaft und der afghanischen Regierung zum Aufbau der afghanischen Polizei bei. Entsprechend der in der Londoner Afghanistan-Konferenz im Januar 2010 beschlossenen Strategie zur „Übergabe in Verantwortung“ wird der Schwerpunkt des deutschen Engagements zunehmend auf den Bereich der Ausbildung afghanischer Polizeiausbilder verlagert. Die afghanischen Sicherheitskräfte müssen schrittweise in die Lage versetzt werden, die Verantwortung für die Sicherheit ihres Landes alleine zu übernehmen. Auf dem Weg dorthin bedarf es jedoch erheblicher Anstrengungen seitens der internationalen Staatengemeinschaft und insbesondere auch der afghanischen Regierung, um eine professionelle Aufgabenwahrnehmung durch die afghanische Polizei dauerhaft sicherstellen zu können.

Mit der Beteiligung deutscher Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamter (PVB) wird eine bedeutende außenpolitische Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. Nicht nur die Innenministerkonferenz, die sich in den zurückliegenden Jahren wiederholt mit dem deutschen Engagement beim polizeilichen Aufbau in Afghanistan befasst hat, ist dieser Auffassung. Auch die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder haben bereits im Juni 2009 darauf hingewiesen, dass zwischen dem Bund und den Ländern in dieser Sache Einvernehmen besteht und einen verstärkten deutschen Beitrag zum Polizeiaufbau in Afghanistan befürwortet. Deutschland hat daher sein personelles Engagement erheblich ausgeweitet.

Das deutsche Engagement in Afghanistan wird als eine Aufgabe von besonderem nationalen Interesse verstanden. Zentrale Bedeutung haben dabei die zivilen Sicherheitsstrukturen. Schlüsselelement für eine nachhaltige Stabilisierung ist der Aufbau der Polizei. Seit Beginn des deutschen Engagements im Jahre 2002 beteiligt sich Niedersachsen mit Polizeikräften an diesem Aufbau. Niedersachsen leistet so gemeinsam mit den anderen Ländern und dem Bund einen bedeutsamen Beitrag für den Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen in Afghanistan. Diese friedenssichernden Maßnahmen werden von der Landesregierung ausdrücklich unterstützt.

Die Polizeiausbildung durch deutsche Experten genießt in der internationalen Gemeinschaft sowie bei den afghanischen Partnern hohe Wertschätzung. Seit dem Jahr 2002 wurden insgesamt mehr als 1.000 deutsche PVB in Afghanistan eingesetzt, davon über 80 aus Niedersachsen; derzeit befinden sich rd. 180 deutsche PVB in Afghanistan in den Polizeimissionen, davon 24 aus Niedersachsen. Niedersachsen stellt aktuell nach dem Bund das zweitgrößte Kontingent. Im Rahmen dieses deutschen Engagements haben mittlerweile 34.000 afghanische Polizisten an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen teilgenommen. Deutschland beabsichtigt, jährlich 5.000 Polizeianwärter von deutschen Polizeiexperten ausbilden zu lassen.

Dies vorangestellt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Mit Pressemitteilung vom 04.09.2010 hat der Sprecher des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg mitgeteilt, dass keine weiteren Brandenburger PVB zum Einsatz nach Afghanistan entsandt werden. Das Ministerium bestätigte damit die entsprechende Vorabmeldung eines Nachrichtenmagazins. Hintergrund dieser Entscheidung sei die Erklärung des Bundesaußen-ministers vom 09.02.2010, wonach die Deutschen in Afghanistan an einem „bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts“ teilnehmen. In der Pressemitteilung heißt es: „Diese völkerrechtliche Formel bedeutet nach Auffassung von Innenminister Speer faktisch dasselbe wie Krieg.“

Die Landesregierung bedauert diesen Rückzug Brandenburgs vom Polizeieinsatz in Afghanistan und teilt die Bewertung Brandenburgs ausdrücklich nicht.

Außenminister Dr. Westerwelle hat im Februar dieses Jahres in seiner Regierungserklärung vor dem deutschen Bundestag zum deutschen Afghanistanengagement darauf hingewiesen, dass die Einsatzsituation der ISAF auch im Norden Afghanistans als „bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts“ zu qualifizieren sei. Diese völkerrechtliche Einordnung ist vor dem Hintergrund des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit für das Handeln der in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten zu sehen. Diese völkerrechtliche Qualifizierung der objektiven Einsatzsituation von ISAF hat Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, für die Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht. Sie spielt rechtlich eine Rolle für die unter dem humanitären Völkerrecht anzuwendenden militärischen Regeln und die Regeln des Völkerstrafrechts. Sie hat jedoch keine Auswirkungen auf den Einsatz deutscher Polizisten in Afghanistan. Zu diesem Ergebnis kommt eine Bewertung der Bundesregierung zu den Konsequenzen der Regierungserklärung für den Polizeiaufbau in Afghanistan, über die der Bundesinnenminister im Februar 2010 alle Innenminister und -senatoren informiert hat. Insofern ist das in der o. a. Pressemitteilung aufgeführte Zitat … „Diese namens der Bundesregierung getroffene Aussage machte eine Neubewertung des Einsatzes unserer Polizisten erforderlich. An einem Krieg beteiligen sich brandenburgische Polizisten nicht, sie haben vielmehr ausschließlich einen zivilen Aufbauauftrag.“… für die Landesregierung nicht nachvollziehbar, da sich die völkerrechtliche Einordnung des Bundesaußenministers auf die Einsatzsituation der ISAF und eben nicht der Polizei bezogen hat.

Die Aufgabe der in Afghanistan eingesetzten Polizisten beschränkt sich nach wie vor auf die Beratung, Unterstützung und Ausbildung der afghanischen Polizei. Diese Aufgabe besteht unabhängig davon, wie die Konfliktlage in Afghanistan zu qualifizieren ist und welche friedenswiederherstellenden oder -wahrenden militärischen Maßnahmen außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der entsendeten Polizeikräfte getroffen werden.

Für den Einsatz deutscher Polizisten ist entscheidend, dass dieser angesichts der tatsächlichen Sicherheitslage in den jeweiligen Distrikten verantwortet werden kann. Dabei steht außer Diskussion, dass die definierten Sicherheitsstandards einen bestmöglichen Schutz des eigenen Personals gewährleisten müssen. Der bestmögliche Schutz genießt Priorität gegenüber allen weitern einsatzbedingten Faktoren und den erwünschten und angestrebten Zielsetzungen. Deutsche Polizeikräfte werden nur dort eingesetzt, wo dies aufgrund der gesamten Erkenntnislage einschließlich derer der Bundeswehr und der Nachrichtendienste für vertretbar gehalten wird und die Bundeswehr für die Sicherheit eintritt. Die Sicherheitslage wird durchgehend vor Ort erhoben und bewertet. Deutsche PVB werden nur in den Regionen und Distrikten eingesetzt, die nach Einschätzung der Bundesregierung auf der Grundlage aller verfügbaren Informationsquellen als „sicher“ bewertet werden. Die Sicherheitsstandards in der Mission orientieren sich insofern an der Sicherheitslage und den daraus resultierenden notwendigen Auflagen und Maßnahmen hinsichtlich der Ausrüstung und des individuellen Verhaltens und sind ein wesentlicher Aspekt dafür, dass deutsche Polizisten verantwortbar in Afghanistan eingesetzt werden können.

Zu 2.:

Ein Rückzug Brandenburgs hätte grundsätzlich keinen Einfluss auf die Entsendung niedersächsischer Polizistinnen und Polizisten nach Afghanistan.

Niedersachsen bringt sich bei der Stärkung des deutschen Engagements beim Polizeiaufbau in Afghanistan im Rahmen des mit dem Bund und den Ländern vereinbarten Beitrages ein. Da sich Niedersachsen bereits seit Anfang 2008 intensiv auf eine personelle Kräfteaufstockung in Afghanistan vorbereitet hat, stellt die niedersächsische Polizei derzeit nach der Bundespolizei das stärkste deutsche Kontingent. Niedersachsen hat so einen maßgeblichen Anteil am bisherigen personellen Aufwuchs geleistet.

Die Landesregierung wird, solange es notwendig ist und die Sicherheitslage es zulässt, am Einsatz niedersächsischer Polizeikräfte zum Aufbau rechtsstaatlicher Polizeistrukturen in Afghanistan festhalten. Wesentlich für einen Erfolg ist die Nachhaltigkeit der Ausbildungs-maßnahmen. Mit der Entsendung niedersächsischer Polizeikräfte unterstützt sie die afghanische Regierung in ihrer Zielsetzung, die Sicherheitsverantwortung bis 2014 selbst zu übernehmen.

Zu 3.:

Niedersachsen ist der Überzeugung, dass unter den genannten Bedingungen auch weiterhin ein Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in Afghanistan vertretbar und richtig ist.

Im Übrigen siehe Antwort zu 1 und 2.

Presseinformation

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erstellt am:
07.10.2010

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