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Abschiebung von Roma ins Kosovo

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 07.10.2010; Dringl. Anfrage b


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Dringliche Anfrage der Fraktion DIE LINKE; es gilt das gesprochene Wort! Die Fraktion hatte gefragt:

Am 14. April 2010 wurde ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo unterzeichnet, welches die Rückführung von ausreisepflichtigen Personen aus dem Kosovo regelt. Insbesondere die Minderheit der Roma ist von dieser Regelung betroffen. Derzeit müssen etwa 12 000 Roma in der Bundesrepublik Deutschland ihre Abschiebung befürchten, darunter schätzungsweise bis zu 50 % Kinder unter 18 Jahren. Den Roma drohen auch weiterhin im Kosovo Verfolgung und Repression. So bestehen bis heute im Kosovo keine handlungsfähigen Institutionen, die einen ausreichenden Schutz von Minderheiten effektiv gewährleisten können. Zudem können die Roma in den meisten Fällen nicht in ihre ursprünglichen Siedlungen und Häuser im Kosovo zurückkehren, da diese entweder zerstört oder bereits von anderen Personen in Besitz genommen worden sind. Auf die meisten Roma wartet daher ein dauerhaftes Leben in Lagern.

Insbesondere die Lage der Kinder ist in dem Abkommen zwischen Deutschland und dem Kosovo problematisch. So kam eine „UNICEF-Studie zur Lage der Roma-Kinder aus dem Kosovo“ im Juli 2010 zum Ergebnis, dass drei von vier Kindern, die aus Deutschland abgeschoben wurden oder freiwillig zurückgehrt sind und hier zur Schule gingen, im Kosovo nicht weiter zur Schule gehen. Die Gründe dafür liegen vor allem in der materiellen Armut, den Sprachbarrieren und fehlenden Schulzeugnissen aus Deutschland.

Die Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen haben ihrerseits bereits angekündigt, ausreisepflichtige Roma aus dem Kosovo nur im Ausnahmefall abzuschieben. Der Berliner Innensenator Erhart Körting warnte davor, Roma in unsichere Gebiete in das Kosovo abzuschieben. Wörtlich sagte er: „Kosovo sorgt nicht für seine Bürger.“ Er verwies darauf, dass das Land Berlin bislang in der Realität keine Abschiebungen von Roma in das Kosovo wegen der dortigen sehr unsicheren Verhältnisse vorgenommen hat.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wie viele Roma wurden seit der Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo aus Niedersachsen in das Kosovo abgeschoben, und wie viele Abschiebungen sind weiterhin vorgesehen?
  2. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Lebenssituation der Roma im Kosovo, und welche Kenntnis hat sie über die aktuelle Situation aus Niedersachsen abgeschobener Roma?
  3. Wird die Landesregierung ihre Abschiebepraxis von Roma in das Kosovo angesichts deren prekärer Lebenssituation in dem Land auf den Prüfstand stellen?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Dringliche Anfrage wie folgt:

Nachdem am 01.09.2010 das deutsch-kosovarische Rückübernahmeabkommen in Kraft getreten ist, nimmt die Landesregierung diese Dringliche Anfrage gern zum Anlass, um Sie erneut über die Rückführung in die Republik Kosovo zu unterrichten.

Über die Rechtslage zur Rückführung ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer im All-gemeinen und insbesondere zur Rückführung der Roma-Volkszugehörigen in die Republik Koso-vo habe ich Sie schon mehrfach informiert, zuletzt am 17. März 2010 bei der Beratung der Anträ-ge der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Anordnung eines Abschie-bungsstopps bzw. eines Bleiberechts für Roma aus dem Kosovo. Eine Änderung der Rechtslage zur Ausreisepflicht von Personen ist seither nicht eingetreten. Mit dem Inkrafttreten des Rück-übernahmeabkommens, das am 14.04.2010 vom Bundesinnenminister, gemeinsam mit seinem kosovarischen Amtskollegen in Berlin unterzeichnet wurde, ist nun auch für die Rückführung in die Republik Kosovo die Normalität eingetreten, wie sie auch für die anderen Staaten des ehe-maligen Jugoslawien gilt und mit denen Deutschland bilaterale Rückübernahmeabkommen geschlossen hat.

Das Rückführungsverfahren ist damit auf eine klare, für beide Vertragsparteien verbindliche Grundlage gestellt worden. Die Rückführung der Ausreisepflichtigen wird weiterhin behutsam in kleinen Schritten vollzogen unter Berücksichtigung der Wiedereingliederungsmöglichkeiten in der Republik Kosovo. Es kommt auch nach Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens nicht zu Massenabschiebungen, so wie es von einigen Flüchtlingsorganisationen immer wieder behauptet wird. Das geltende Rückführungsverfahren bietet für alle Beteiligten, auch für die ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer Transparenz und Berechenbarkeit.

Die Lebensbedingungen der im Kosovo lebenden Minderheiten, einschließlich der Roma-Volkszugehörigen, und der aus Westeuropa in ihre Heimat zurückkehrenden Menschen sind nicht so, wie sie von verschiedenen Flüchtlingsorganisationen immer wieder dargestellt wird.

Die immer wieder behauptete angebliche Gefährdung der zurückkehrenden Roma-Volkszugehörigen, ihre angebliche Ausgrenzung von der kosovarischen Gesellschaft oder die Behauptung zurückkehrende Kinder und Jugendliche, die in Deutschland zur Schule gegangen sind, hätten im Kosovo keine Möglichkeit des Schulbesuchs wird in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes über die Republik Kosovo – der letzte ist vom 20. Juni 2010 - nicht bestätigt. Die Berichte des Auswärtigen Amtes sind auch keine isolierten Betrachtungen der deutschen Botschaft in Pristina, sondern die Zusammenfassung der eigenen Erkenntnisse der Botschaft und der Erkenntnisse anderer im Kosovo tätigen internationalen Organisationen und der dort akkreditierten Vertretun-gen der anderen EU-Mitgliedsstaaten.

Auch die immer wieder aufgestellte Behauptung, Rückkehrer stünden allein und vor dem Nichts, ist nicht haltbar. Die Anlaufschwierigkeiten, die es bei der Reintegration immer geben kann, können mit den vorhandenen Integrations-, Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen erleich-tert werden. So werden die Rückkehrer bereits bei ihrer Ankunft in Pristina von Mitarbeitern verschiedener Organisationen sowie des kosovarischen Ministeriums für Arbeit und soziale Wohlfahrt in Empfang genommen. Mitarbeiter des vom Bund und von den Ländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen mitfinanzierten Rück-kehrprojektes URA sind ebenfalls vor Ort, um den Rückkehrern ihre Hilfsangebote zu unterbrei-ten. Diese umfassen neben temporärer Unterkunft, Verpflegung, sozialer Beratung insbesondere auch Hilfestellung beim Umgang mit den kosovarischen Behörden z.B. bei der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Heimatgemeinde. Diese Unterstützung erhalten alle Rückkehrer, und zwar völlig unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit.

Natürlich finden die aus Deutschland und Westeuropa in ihre Heimat zurückkehrenden Kosova-ren dort andere soziale und wirtschaftliche Bedingungen vor als die, in denen sie in den vergangenen Jahren in Deutschland oder den anderen westeuropäischen Aufnahmeländern gelebt haben. Dass diese Situation für die Kinder und jungen Menschen, die viele Jahre ihres Lebens in Deutschland verbracht haben und hier zur Schule gegangen sind, besonders belastend ist, ist unbestritten.

Es liegt aber in der elterlichen Verantwortung, diese Belastungen für ihre Kinder so gering wie möglich zu halten und freiwillig zurückzukehren und dabei auch die vom Bund und dem Land Niedersachsen und zum Teil auch von den Kommunen bereitgestellten finanziellen und organisa-torischen Unterstützungsangebote anzunehmen und es nicht zu einer Abschiebung mit all den belastenden Folgen kommen zu lassen.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Seit April sind in diesem Jahr aus Niedersachsen neun Roma-Volkszugehörige in die Republik Kosovo abgeschoben worden. Für weitere vier Personen ist die Abschiebung konkret geplant.

Zu 2.:

Eine Delegation des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, unter Leitung des für die Flüchtlingsaufnahme und das Ausländerrecht zuständigen Abteilungsleiters, ist im November 2009 im Kosovo gewesen. In Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern des kosovarischen Innenministeriums und verschiedener Kommunen, mit dem Repräsentanten des UNHCR in Pristina, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen, mit kommuna-len Beauftragten der Minderheitenangehörigen und Vertretern der Roma-Volkszugehörigen aus dem Camp Osterode hat sich die Delegation einen unmittelbaren Eindruck von den tatsächlichen Lebensbedingungen und Wohnverhältnissen, insbesondere der Roma-Volkszugehörigen, ver-schafft. Der ausführliche Bericht über diese Reise ist Anfang 2010 der „Integrationskommission“ als Vorlage zugeleitet worden. Eine wichtige Erkenntnis aus dieser Reise ist u. a. auch, dass die bestehenden Hilfsangebote, an denen sich auch Niedersachsen finanziell beteiligt, wirksame Instrumente zur Wiedereingliederung der Rückkehrerinnen und Rückkehrer in ihre kosovarische Heimat sind.

Aus den vier am Rückkehrprojekt URA beteiligten Bundesländern sind im Jahr 2010 bis einschl. August 246 Personen ins Kosovo abgeschoben worden. Davon 50 aus Niedersachsen. Davon haben rund 95 Prozent die Beratung und Unterstützung des Projekts URA in Anspruch genommen.

Beispielfälle:

Der 38jährige Roma-Volkszugehörge Alija R. (Stadt Lingen) wurde am 28.01.2010 abgeschoben Er erhielt aus dem Projekt finanzielle Unterstützung in Form eines Mietkosten- und Einrichtungs-zuschusses. Ihm konnte im Juni eine Arbeitsstelle in Prizren als Maler vermittelt werden. Der Arbeitgeber hat bereits signalisiert, dass eine Verlängerung des üblicherweise auf sechs Monate befristeten Arbeitsverhältnisses sehr wahrscheinlich ist.

Ein 28jähriger Roma aus dem Landkreis Schaumburg wurde am 27.08.2010 abgeschoben. Er erhält über das Projekt URA eine psychiatrische Betreuung und einen Medikamentenzuschuss. Er ist inzwischen psychisch stabil und ihm konnte nach relativ kurzer Zeit bereits ein Arbeitsplatz als Taxifahrer vermittelt werden.

Es gibt aber auch Fälle, in denen Unterstützungsangebote abgelehnt werden. Als Beispiel weise ich auf die insgesamt 6-köpfige Ashkali-Familie S. aus dem Landkreis Rotenburg/Wümme hin, die am 17.03.2010 mit vier Kindern im Alter von 12 bis 19 Jahren nach Pristina abgeschoben wurde. Dem 40jährigen Vater sollte mit Unterstützung des Projekts URA ein Arbeitsplatz vermittelt werden. Mehrere vereinbarte Termine für eine Vermittlung hat Herr S. platzen lassen. Bei einem Besuch des Vermittlers am Wohnort der Familie in Pec war der Vater nicht anwesend. Von einem Sohn wurde dem Arbeitsvermittler erklärt, dass man in Deutschland noch ein Verfahren anhängig habe und es von daher besser sei, wenn die Familie sich im Kosovo nicht integriere, um eine bessere Position in dem Verfahren in Deutschland zu haben.

Dieser letzte Fall macht deutlich, welche Folgen es haben kann, wenn zur Ausreise verpflichteten Personen immer wieder wohlmeinende, aber falsche Hoffnungen auf ein Bleiberecht oder Wie-derkehrrecht nach Deutschland gemacht werden.

Zu 3.:

Es gibt keine Veranlassung das Verfahren zur Rückführung ausreisepflichtiger Personen kosova-rischer Herkunft generell auf den Prüfstand zu stellen.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
07.10.2010

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