Begutachtung der Reisefähigkeit von Ab-schiebung bedrohter Personen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 09.09.2010; Mdl Anfr Nr. 33
Bei der Rückführung ausreisepflichtiger Personen handelt es sich meist um Abschiebungen in (ehemalige) Kriegs- und Krisengebiete. Die Menschen sind vor den gefährlichen und unmenschlichen Lebensbedingungen vor Ort geflohen. Viele der Betroffenen leiden unter erheblichen psychischen, oft traumatischen Erkrankungen.
Innenminister Schünemann hat im März 2008 als Vorsitzender der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Rückführung das Ziel formuliert, „bestehende Rückführungshindernisse zu beseitigen und die Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern zu beschleunigen“. Um dies zu erreichen, erklärte er, zur Feststellung der Reisefähigkeit abzuschiebender Personen künftig vermehrt Flugmediziner, die normalerweise die Flugtauglichkeit von Flugpersonal beurteilen, einzusetzen. Laut Antwort des Innenministers (Plenarprotokoll 16/69 vom 28.04.2010) auf die Dringliche Anfrage in der Drs. 16/2438 nennt das Innenministerium den Ausländerbehörden auf Nachfrage die Namen von Fachärzten, die als Gutachter infrage kommen. Innenminister Schünemann sagt zudem: „Zur Überprüfung dieses Vorbringens hat dann die Ausländerbehörde in erster Linie amtsärztliche, in besonders gelagerten Fällen auch Gutachten externer Fachärzte, einzuholen. Letzteres ist immer nur dann der Fall, wenn die Amtärzte nicht über die Spezialisierung verfügen, die für eine Begutachtung notwendig ist.“ Nach meinen Informationen beauftragt die Stadt Hildesheim den Allgemein- und Flugmediziner Dr. Mohtadi aus Wunstorf für die Begutachtung von Abzuschiebenden.
Der 111. Deutsche Ärztetag hielt Flugmediziner für nicht geeignet, eine adäquate Beurteilung durchzuführen, und forderte die „Sicherung ethisch-medizinischer Standards“. Der 2004 in einer Arbeitsgruppe von Ländervertretern und Vertretern der Bundesärztekammer erstellte „Informations- und Kriterienkatalog“ benennt die Begutachtung durch „ärztliche gegebenenfalls psychologisch psychotherapeutische Sachverständige“. Bremen hat in einem Erlass vom April 2010 zu § 60 a des Aufenthalts-gesetzes - Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) - u. a. folgende zusätzliche Regelung eingeführt: „Zum Nachweis einer Reiseunfähigkeit aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) oder einer psychischen Erkrankung ist angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes und der vielfältigen Symptome ein fachärztliches Attest vorzulegen (…).“
Ich frage die Landesregierung:
- Geht die Landesregierung davon aus, dass Allgemein- und Flugmediziner die Reisefähigkeit von psychisch erheblich erkrankten Ausländern feststellen können - insbesondere bezogen auf die Begutachtung psychiatrischer und traumatischer Krankheitsbilder - und betrachtet die Landesregierung diese als adäquaten Ersatz für amts- und fachärztliche Gutachten?
- Werden aktuell für die Begutachtung der Reisefähigkeit bzw. Flugreisetauglichkeit von Abzuschiebenden Allgemein- und Flugmediziner seitens der Landesregierung den unteren Behörden gegebenenfalls auf Nachfrage empfohlen? Wenn ja, wurde und wird auch der Allgemein- und Flugmediziner Dr. Mohtadi empfohlen?
- Aus welchen Gründen könnte „das Verfahren der ärztlichen Begutachtung zur Feststellung der Reisefähigkeit von abzuschiebenden Personen“ durch vermehrten Einsatz von Fachärzten für Flugmedizin zur Beurteilung der Flugtauglichkeit „verbessert“ werden (siehe Pressemitteilung des Innenministeriums vom 10. März 2008)?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Untersuchungen der Flugreisetauglichkeit erstrecken sich darauf festzustellen, ob bei der zurückzuführenden Person organische Schädigungen oder Risiken vorliegen, die durch eine Flugreise zu einer gesundheitlichen Gefährdung führen könnten. Hiervon zu unterscheiden sind Untersuchungen und die Feststellung einer psychischen Erkrankung, die ausschließlich entsprechenden Fachärzten vorbehalten bleibt.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Im Rahmen der Gutachtenerstellung haben Ärzte mit einer flugmedizinischen Zusatzqualifikation die Feststellung der Flugreisetauglichkeit bekannte -auch „psychische“- Vorerkrankungen hinreichend zu berücksichtigen.
Zu 2.:
Auf Nachfrage von Ausländerbehörden teilt das Ministerium für Inneres und Sport im Einzelfall den Namen und die Anschrift von Fachärzten oder Ärzten mit einer flugmedizinischen Zusatzqualifikation mit, falls ihm ein in diesem Fall in Betracht kommender Arzt bekannt ist. Mit dieser Mitteilung ist keine Empfehlung oder gar Weisung verbunden, diesen Arzt auch mit der Erstellung eines entsprechenden Gutachtens zu beauftragen. Die Landesregierung kann sich aus Gründen des Schutzes persönlicher Rechte nicht zu einzelnen Ärzten äußern.
Zu 3.:
Nach den vorliegenden Erkenntnissen sind die Atteste von Allgemeinmedizinern oder von Fachärzten ohne flugmedizinische Zusatzqualifikation, in denen die Flugreisetauglichkeit nicht bestätigt wurde, häufig sehr kurz und enthalten keine aussagekräftige Begründung, so dass sie als Grundlage für eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung nicht geeignet sind. Dadurch können weitere, zeit- und kostenaufwändige Untersuchungen notwendig werden, die letztlich auch die ausreisepflichtigen Personen belasten. Demgegenüber enthalten die Gutachten der Ärzte mit flugmedizinischen Kenntnissen in aller Regel zu der Fragestellung einer Gefährdung der untersuchten Person durch eine Flugreise sehr präzise und klare Aussagen, so dass die zuständigen Behörden die Entscheidungen über die Weiterführung oder die Aussetzung von Vollzugsmaßnahmen besser und schneller treffen können.
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Artikel-Informationen
erstellt am:
09.09.2010
zuletzt aktualisiert am:
13.09.2010