Angedrohte Abschiebung eines Säuglings aus Sandkrug (Landkreis Oldenburg)
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 10.06.2010; Fragestunde Nr. 47
In einem Bescheid hat das Bundesamt für Migration die Abschiebung des vier Monate alten Säuglings Ruken Kuoscho nach Syrien angedroht. Begründet wurde dies mit gesetzlichen Verpflichtungen. Gleichzeitig erklärte der zuständige Kreisrat, „dass man nie im Leben einen Säugling ohne seine Eltern abschieben würde“ und dass „alles nur ein Missverständnis“ sei. Weiter heißt es seitens des Kreisrates, dass das Kind ein befristetes Aufenthaltsrecht erhalten hätte, sobald der Abschiebebescheid rechtskräftig geworden wäre.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie stellt sich aus Sicht der Landesregierung der beschriebene Vorgang insbesondere hinsichtlich des Zustandekommens der Abschiebeandrohung dar?
- Wie kann sichergestellt werden, dass Bescheide des Bundesamtes so formuliert werden, dass im Falle einer allein asylrechtlich begründeten Abschiebeandrohung ausländerrechtlich begründete Aufenthaltsrechte unberührt bleiben und die betroffenen Eltern eines Kindes nicht in Angst versetzt werden, von ihrem Kind getrennt zu werden?
- Ist in diesem Zusammenhang deutlich geworden, dass gesetzliche Lücken existieren, wenn ja, welche, und was tut die Landesregierung, um diese zu schließen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Die Abschiebung eines Säuglings außerhalb des Familienverbandes verbietet sich schon allein aus dem Schutzgedanken des Art. 6 GG. Das Asylrecht ist ein Individualrecht. Es steht somit jedermann zu, auch gerade geborenen Kindern.
§ 14a des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) sieht vor, dass die Geburt des Kindes eines Ausländers in Deutschland dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unverzüglich anzuzeigen ist, wenn sich ein Elternteil ohne Aufenthaltstitel oder mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) im Bundesgebiet aufhält. Hintergrund dieser Regelung ist, dass Entscheidungen über Asylbegehren von Kindern nicht hinausgezögert werden, um dadurch zu einem späteren Zeitpunkt eine Verlängerung des Aufenthalts auch der Eltern und Geschwister zu erreichen, obwohl deren Asylanträge bereits abgelehnt und sie zur Ausreise verpflichtet sind. Die Anzeigepflicht obliegt auch den Ausländerbehörden. Die Eltern haben als gesetzliche Vertreter des Kindes jedoch die Möglichkeit, auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind zu verzichten. Mit einer entsprechenden Verzichtserklärung können die Eltern die negativen Folgen einer ablehnenden Asylentscheidung verhindern. Auf diese Möglichkeit werden sie auch hingewiesen. Gesetzlich geregelte Folge eines abgelehnten Asylantrags ist nicht nur die Aufforderung zur Ausreise und die Androhung der Abschiebung im Falle der Verweigerung der Ausreise, sondern beispielsweise auch, dass dem betroffenen Kind später ohne vorherige Ausreise keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird.
Wenn auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet wird, beschränkt das BAMF seine Prüfung gemäß § 32 AsylVfG auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen. Für den Fall, dass Abschiebungshindernisse für das Kind festgestellt werden, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG in Betracht. Soweit Abschiebungshindernisse nicht vorliegen, gibt es die ansonsten bei Ablehnung eines Asylantrags möglichen aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen nicht.
Wird der durch die gesetzliche Fiktion eintretende Asylantrag von den Eltern oder gesetzlichen Vertretern nicht zurückgenommen, muss das BAMF über den Asylantrag entscheiden und im Falle der Ablehnung des Antrags gemäß § 34 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung erlassen. Der Bescheid des BAMF ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und unverzüglich zuzustellen. Dies gilt unabhängig vom Alter der Antragsteller.
Im vorliegenden Fall ist die Ausländerbehörde ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen, dem BAMF die Geburt des Kindes gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG anzuzeigen. Das BAMF ist an die Mutter des Kindes als gesetzliche Vertreterin herangetreten, hat sie über das Asylverfahren informiert und gebeten, schriftlich zu den eigenen Asylgründen ihres Kindes Stellung zu nehmen. Die Mutter hat jedoch weder die Gelegenheit zur Stellungnahme genutzt noch den Verzicht auf die Durchführung des Asylverfahrens für ihre Tochter erklärt. Das BAMF hat daraufhin voll umfänglich über den Asylantrag nach § 14a AsylVfG entschieden. Es hat den Asylantrag nach § 30 Abs.1 und Abs. 3 Nr.7 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen ebenfalls verneint. Diese Entscheidungen sind der Mutter des Kindes - wie gesetzlich vorgesehen - in einem rechtsmittelfähigen Bescheid zugestellt worden.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Das Bundesamt hat über den Asylantrag nach § 14a AsylVfG entschieden und diese Entscheidung mit ausführlicher Begründung und der gesetzlich vorgeschriebenen Abschiebungsandrohung der Mutter des Kindes als gesetzlicher Vertreterin in einem rechtsmittelfähigen Bescheid zugestellt. Das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren wurde in vollem Umfang eingehalten, so dass auch eine Abschiebungsandrohung beigefügt war. Wenn die Mutter oder der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt von der Möglichkeit des Verzichts auf Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14a AsylVfG Gebrauch gemacht hätte, hätte dem Kind bereits eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden können.
Zu 2.:
Die Bescheide des BAMF ergehen in der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Auch wenn das BAMF in einem Asylverfahren feststellt, dass Schutz nicht zu gewähren, sondern eine Rückkehr ohne Gefährdung möglich ist, ist damit jedoch eine Trennung minderjähriger Kinder von den Eltern nicht verbunden. Dies verbietet sich schon aus dem Schutzgedanken des Art. 6 GG, so dass ausländische minderjährige Kinder zumindest einen Anspruch darauf haben, solange geduldet zu werden, wie ihre Eltern im Besitz eines Aufenthaltsrechtes sind. Da in dem hier angesprochenen Fall ein rechtlicher Grund für eine Duldung des Kindes vorlag, stand somit auch eine Abschiebung nicht in Rede. Im Übrigen hat die Familie zwei weitere Kinder, die ebenfalls im Bundesgebiet geboren wurden und für die ebenfalls Asylverfahren nach § 14a AsylVfG erfolglos durchgeführt wurden, so dass ihnen die Rechtslage nach Erhalt des negativen Bescheides des BAMF auch bekannt sein musste.
Zu 3.:
Der Einzelfall, der Anlass zu dieser Anfrage gegeben hat, hat erkennen lassen, dass das BAMF in der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensweise über den Asylantrag des Kindes entschieden hat. Eine gesetzliche Lücke ist nicht erkennbar. Weitere Fälle, in denen die Hinweise des BAMF nicht beachtet worden sind, sind nicht bekannt geworden.