Extremismus in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 29.04.2010; TOP 22
Rede von Innenminister Uwe Schünemann zur Großen Anfrage der Fraktionen der CDU und der FDP; es gilt das gesprochene Wort!
"Antidemokratische Bestrebungen sind nicht mit den beiden Diktaturen in Europa untergegangen. Sie leben fort und treten uns Demokraten heute und sicher auch weiterhin, oftmals getarnt oder schleichend und dann wieder in unverschämter Offenheit gegenüber, gleich ob in Gestalt des aktuellen Links- und Rechtsextremismus oder als politischer und krimineller Islamismus. Kluger und kenntnisreicher Kampf gegen den Extremismus ist daher heute wie vor achtzig Jahren eine der großen Überlebensfragen der im demokratischen Verfassungsstaat garantierten Freiheit."
Diese Sätze sind nicht von mir, sondern von der früheren sozialdemokratischen Bundestagspräsidentin Annemarie Renger. Was uns diese große alte Dame der deutschen Politik kurz vor ihrem Tod (2008) mit auf den Weg gegeben hat, sollte uns Verpflichtung sein: Die Bekämpfung des Extremismus aus allen Richtungen und in allen Erscheinungsformen.
Die Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich: Wir gehen konsequent gegen den Extremismus vor. Sie zeigt auch, wie unerlässlich der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem einer wehrhaften Demokratie ist.
Ich habe letzte Woche den Verfassungsschutzbericht 2009 vorgelegt. Auch er zeigt: Nach wie vor geht eine erhebliche Gefahr für unsere innere Sicherheit von islamistischen Terroristen aus. Bislang ist kein Anschlag in Deutschland geglückt, aber es besteht kein Grund zur Entwarnung.
Polizei und Verfassungsschutz in Niedersachsen sind höchst wachsam. Zusammen mit den anderen Ländern und dem Bund haben wir einen umfangreichen Maßnahmenkatalog entwickelt, um möglichst schon im Vorfeld Anschläge verhindern zu können.
Der islamistische Terrorismus ist nicht wurzellos. Als ideologischer Nährboden gewinnt der so genannte Salafismus stark an Bedeutung. Sein Ziel ist ein rigider "Gottesstaat", wie er in der Frühzeit des Islam herrschte. Demokratie gilt Salafisten als eine "falsche Religion". Nicht jeder Salafist wird notwendigerweise auch zum Terroristen. Das wäre völlig überzogen. Aber wir wissen z. B. aus den Erfahrungen mit der so genannten "Sauerland-Gruppe", dass Terroristen salafistische Seminare und Moscheen besucht haben. Sie haben sich gleichsam im Selfmade-Verfahren baukastenartig ihr eigenes Weltbild zusammengebastelt.
Der Salafismus gewinnt auch bei uns in Niedersachsen an Einfluss in der islamistischen Szene. In Braunschweig hat er eine seiner wichtigsten Fortbildungsstätten in Deutschland. Sie wurde 2007 von einem Verein gegründet, der sich "Einladung zum Paradies" bezeichnet. Ein weiteres Zentrum ist der Deutschsprachige Islamkreis Hannover (DIK). Braunschweig und Hannover sind Knotenpunkte in einem salafistischen Netzwerk, das sich immer mehr ausbreitet.
Der Leiter der Braunschweiger Islamschule, Muhamed Ciftci, bietet ein Online-Studium an, mit dem er bereits mehr als 200 Personen erreicht. Zu den Freitagsgebeten und den Veranstaltungen vor Ort kommen oft mehrere hundert Menschen. Darin wird die Scharia in ihrer orthodoxesten Form gelehrt. Das bedeutet: Theokratie statt Demokratie, Diskriminierung von Frauen und Andersgläubigen. Und es gibt die Aussage von Ciftci, dass die Tötung von Glaubensabtrünningen islamisch zulässig sei.
Es ist von großer Bedeutung, dass wir gemeinsam mit den Muslimen in Niedersachsen die Minderheit der islamistischen Extremisten isolieren und Sorge dafür tragen, den Islam in der Mitte unserer Gesellschaft zu beheimaten.
Der Vorsitzende der niedersächsischen Schura, Herr Avni Altiner, hat in der letzten Woche sehr deutlich gemacht, dass seine Verbände ein essentielles Interesse daran haben, dass sich junge Muslime nicht radikalisieren. Deshalb muss ihnen auf dem Weg der Integration geholfen werden. Das tun wir und dabei wird sich diese Landesregierung auch weiterhin sehr anstrengen.
Bereits in der letzten Sitzung des Landtages habe ich deutlich gemacht, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus ein fester Bestandteil der Agenda dieser Landesregierung ist und bleibt. Auch wenn sein Gesamtpersonenpotential leicht zurückgegangen ist, so erfordert der Rechtsextremismus weiterhin besondere Aufmerksamkeit. Rechtsextreme Strategen nutzen geschickt die neuen Kommunikationsmittel. Sie sind im Netz als virtuelle Rattenfänger unterwegs, um mit allen Tricks Jugendliche für ihre menschenverachtenden Ideen zu gewinnen.
Die NPD empfiehlt, im Netz "nicht so offen unter NPD" zu agieren. Vielmehr solle man so tun, als sei man – ich zitiere - "ein Mensch mit Humor, Beruf, Hobbys, ernstzunehmenden Interessen, Literatur- und Musikgeschmack". Und sie ruft dazu auf: "Raus in den Kampf mit modernen Kommunikationsmitteln!".
Deshalb müssen wir unsere Kinder fit machen fürs Netz. Sie müssen wissen, was ihnen auf Plattformen wir YouTube, SchülerVZ oder Facebook begegnen kann.
Die Antwort auf die Große Anfrage macht sehr deutlich, dass die Landesregierung schon seit einer ganzen Reihe von Jahren zahlreiche Maßnahmen mit dem Ziel der Prävention auf den Weg gebracht hat. Es geht auch um Aufklärung über die Gefahren im Internet. Wir schulen Multiplikatoren über rechtsextremistische Internetstrategien. Wir suchen die Zusammenarbeit mit Providern.
Wir wollen einen weiteren neuen Weg beschreiten:
Mit der Aktion "Neustart" soll der Verfassungsschutz die bereits vorhandene "Aussteigerhilfe
Rechts" des Justizministeriums ergänzen. Es geht darum, noch nicht straffällig gewordene Rechtsextremisten aus der Szene zurückzuholen bzw. sie vor einem weiteren Abgleiten zu bewahren. Wir sind auf vielfältige Weise unterwegs, um den Rechtsextremismus aktiv zu bekämpfen.
So wie die Gewalt von Islamisten und Rechtsextremisten, so muss auch die Gewalt, die von Linksextremisten ausgeht, klar geächtet werden. Wir haben für 2009 und auch bereits für 2010 ein steigendes Gewaltpotenzial im linksextremistischen Bereich zu verzeichnen. Zahlreiche Brandanschläge auf Autos in Berlin, in Hamburg, aber auch in Göttingen und Lüneburg gehen auf das Konto von Linksextremisten. Auch Menschen werden gezielt angegriffen oder es wird in Kauf genommen, dass sie zu Schaden kommen. Vor allem sind Polizisten immer wieder das Ziel linker Extremisten. Mit Sorge beobachte ich, dass vor allem die Links-Rechts-Konfrontation zunimmt. Teile des rechten Spektrums, die so genannten "Autonomen Nationalisten", haben das szenetypische Verhalten ihrer linken Gegner weitgehend übernommen: in Strategie, bei den Feindbildern, im Erscheinungsbild, im Auftreten bei Demonstrationen. Auch dies hat Auswirkungen auf das Aggressionspotential, vor allem gegenüber Polizeikräften.
Die Akzeptanz von Gewalt ist ein Spiel mit dem Feuer. Gewalt darf keinerlei Toleranz finden.
Ich halte es für unerträglich, dass Abgeordnete der Partei DIE LINKE, aber zum Teil auch andere Kräfte, die sich selbst links nennen, Bündnisse mit gewaltbereiten linksextremistischen "Autonomen" eingehen, z. B. bei Demonstrationen. Dies ist eine Form der Solidarisierung, die der Gewalt den Rücken stärkt und die jede rein verbale Gewaltdistanzierung als Heuchelei entlarvt. In ihrem neuen Programmentwurf spricht die Partei DIE LINKE davon, dass sie "Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe" anstrebt. Sie verlangt darin die Einführung von Räten, die sogar die Parlamente überstimmen sollen dürfen. Und sie redet einer kollektivistischen, zutiefst freiheitsfeindlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik das Wort.
Es war der Landesvorsitzende der niedersächsischen Linkspartei, der zu dem Programmentwurf sagte, ich zitiere: "Das ist eine gute Grundlage, die trägt". Ich kann nur jedem empfehlen, den neuen Programmentwurf der LINKEN zu lesen. Genauso empfehle ich aber auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 2009 zur Lektüre, das sich intensiv mit der Linkspartei auseinandersetzt. Dann wird für jeden erkennbar, was Annemarie Renger damit meinte, dass die antidemokratischen Bestrebungen fortleben.
Dem Extremismus wird der Boden entzogen, wenn sich die Demokraten ihm geschlossen in aller Klarheit entgegen stellen. Dazu bedarf es der Aufklärung und der Information. Dazu leistet die Beantwortung dieser Großen Anfrage einen wichtigen Beitrag.
Artikel-Informationen
erstellt am:
29.04.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010