Politisch motivierte Kriminalität 2009
Schünemann: Politisch links motivierte Kriminalität steigt deutlich an
HANNOVER. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann hat am Freitag die Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität 2009 vorgestellt. "Insgesamt ist ein deutlicher Rückgang bei dieser Kriminalitätsform zu verzeichnen. Dies hat seinen Grund im starken Rückgang der Fallzahlen im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität", so Schünemann. Die Polizei verzeichnete 2009 insgesamt 3377 (2008: 3860) politische motivierte Straftaten. Davon hatten 2772 (2008: 3276) einen extremistischen Hintergrund. Dies ist ein Minus von rund 15,4 Prozent. Der extremistischen Kriminalität werden Straftaten zugeordnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
Auch die politisch motivierten Gewaltdelikte sind leicht rückläufig von 312 im Jahr 2008 auf 309. Die Polizei führt diese Verringerung auch auf den ausgebliebenen Castortransport zurück. Für dieses Jahr befürchtet Innenminister Uwe Schünemann mit einem erneuten Castortransport auch einen deutlichen Anstieg linker Gewaltdelikte. Die Anzahl der Opfer politisch motivierter Straftaten ist insgesamt deutlich auf 191 (2008: 282) Opfer zurückgegangen.
Deutlicher Rückgang bei politisch motivierter Ausländerkriminalität
Die Polizei hat hier ein Minus von 83,2 Prozent gegenüber 2008 festgestellt. Von 719 Straftaten sank die Anzahl der erfassten Fälle auf 121. Die hohe Anzahl von Straftaten im Jahr 2008 ist auf einen Ermittlungskomplex der Polizei im Zusammenhang mit verbotenen Aktivitäten der ehemaligen PKK in Niedersachsen zurückzuführen. Wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetzes wurden damals 581 Strafverfahren eingeleitet.
Der Schwerpunkt der Verstöße liegt auch im vergangenen Jahr bei Vergehen gegen das Vereins-gesetz, so z.B. durch Spendengeldsammlungen zur Aufrechterhaltung der Organisations-strukturen der mit Betätigungsverbot belegten PKK.
Islamistischer Extremismus und Terrorismus
"Eine große Bedrohung für die Innere Sicherheit unseres Landes stellen weiterhin die islamistischen Terrorgruppen dar. Hier kann keine Entwarnung gegeben werden", sagte der Innenminister. Seit Beginn des Jahres 2009 führe Al-Quaida eine umfangreiche jihadistische Medienkampagne gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die Intensität der Drohungen gegen Deutschland habe im Vorfeld der Bundestagswahlen und der Entscheidung über die Verlängerung des Afghanistanmandats der Bundeswehr zugenommen.
Diese Ankündigungen hätten u. a. auch innerhalb deutschsprachiger jihadistischer Foren im Internet zu Spekulationen über den Zeitpunkt und die Art der Anschläge geführt. In Niedersachsen seien speziell zur Bundestagswahl die Informationen von Polizei und Verfassungsschutz im Gemeinsamen Informations- und Analysezentrum (GIAZ) gebündelt worden. "Die Sicherheitsbehörden müssen weiter konsequent gegen islamistische Bestrebungen vorgehen", sagte Schünemann.
In Niedersachsen konnten durch intensive präventivpolizeiliche und strafprozessuale Maßnahmen umfangreiche Erkenntnisse zu eng miteinander verbundenen islamistischen Netzwerken, die im Zusammenhang mit Spendengeldsammlungen und Rekrutierungen von Kämpfern für den Jihad stehen, gewonnen werden, so der Innenminister.
"Konkrete Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Anschläge liegen derzeit jedoch nicht vor." Das Verfahren gegen den sogenannten Cyberterroristen aus Georgsmarienhütte endete mit einer Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Nach Verbüßung der Strafe wurde er 2009 aus Deutschland abgeschoben. Der Cyberterrorist war wegen Werbung von Mitgliedern oder Unterstützern für eine ausländische terroristische Vereinigung über das Internet verurteilt worden.
Politisch motivierte Kriminalität – Rechts – leicht zurückgegangen
Die Gesamtzahl der politisch rechts motivierten Kriminalität betrug im Jahr 2009 1829 Delikte (2008: 1866) und lag damit leicht unterhalb der Zahl (minus zwei Prozent) des Vorjahres, so Schünemann. Bei den rechtsextremistischen Straftaten sei ein leichter Rückgang von 2,3 Prozent zu verzeichnen. Hier sank die Anzahl der registrierten Taten von 1816 auf 1775. An den Gesamt-straftaten haben die Propagandadelikte einen hohen Anteil von rund 62,3 Prozent und somit 1139 Delikten (2008: 1217).
Es wurden 317 Straftaten (2008: 374) mit fremdenfeindlicher Motivation gemeldet. Dies bedeutet einen Rückgang von 15,24 Prozent. 113 Delikte (2008: 91) waren gegen Sicherheitsbehörden und Polizei gerichtet, was einen Anstieg von rund 24 Prozent ausmacht. Dabei handelt es sich überwiegend um Propagandadelikte gemäß § 86a StGB in Form von verbalen Beschimpfungen gefolgt von Volksverhetzungen und Körperverletzungsdelikten.
Bei den rechten Gewaltdelikten ist ein leichter Anstieg um vier auf 121 Straftaten im letzten Jahr zu verzeichnen. Die Anzahl der davon extremistisch zu bewertenden Gewaltdelikte liegt mit 113 auf dem Niveau des Vorjahres (113). Den meisten Gewaltdelikten lag eine Konfrontation mit Links (39 Delikte) oder eine fremdenfeindliche Motivation zugrunde. "Wir stellen gerade im Zusammenhang mit rechten Gewaltdelikten fest, dass der Alkohol hier nach wie vor einen hohen Einfluss als tatauslösendes Element hat", sagte der Innenminister.
Im Bereich Tostedt ist im Jahr 2009 ein Brennpunkt hinsichtlich rechtsextremistischer Straftaten festzustellen gewesen. Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken wurde bei der Polizeiinspektion Harburg eine besondere Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese hat eine auf die örtlichen Verhältnisse entwickelte Rahmenkonzeption zur Bekämpfung des Rechtsextremismus erstellt. Unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wird gezielt gegen die rechtsextremistischen Aktivitäten vorgegangen.
Deutlicher Anstieg bei politisch motivierter Kriminalität - Links
Die Gesamtzahl der politisch motivierten Kriminalität – Links ist deutlich um 11,3 Prozent auf 1094 Delikte (2008: 983) gestiegen. Davon entfielen 823 (2008: 715) auf linksextremistische Straftaten. Die hauptsächliche Motivation zur Straftatenbegehung waren der Antifaschismuskampf, die Konfrontation gegen – Rechts – und die Auseinandersetzung mit den Sicherheitsbehörden (Polizei). Besondere Ereignisse zur Straftatenbegehung waren zum Beispiel die Demonstrationen anlässlich geplanter und nicht stattgefundener versammlungsrechtlicher Aktionen der NPD in Hannover. Protestaktionen im Zusammenhang mit der Planung einer Tierversuchseinrichtung des Pharmakonzerns Boehringen in Hannover sowie Straftaten die anlässlich der nicht angemeldeten Versammlung zum 20. Todestag von Kornelia Wessmann in Göttingen begangen wurden.
Mit welcher Brutalität diese Auseinandersetzungen geführt werden zeige ein Fall vom vergangenen Wochenende in Lüneburg. Im Vorfeld einer angemeldeten Versammlung wurde das Fahrzeug des Anmelders, Manfred Böhm, von Personen der linken Szene mit einem Pflasterstein angegriffen. Durch den gezielten Wurf durch die Seitenscheibe wurde ein NPD-Anhänger getroffen und erlitt einen Schädelbruch. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts.
Die Anzahl der Gewaltdelikte ist gegenüber dem Vorjahr (177) leicht rückläufig. Da 2009 aber kein Castor-Transport nach Gorleben durchgeführt wurde, wäre normalerweise eine erhebliche Verminderung (71 Taten beim Castor-Transport 2008) zu erwarten gewesen. Das Niveau blieb im Berichtszeitraum 2009 deshalb erhalten, weil Gewaltdelikte vermehrt bei teilnehmerstarken Gegendemonstrationen des bürgerlichen Spektrums gegen rechte Versammlungen begangen wurden. Dabei konnten linke Gewalttäter aus der Masse heraus agieren. "Bei den Linksextremisten wächst die Gewaltbereitschaft. Aus diesem Grund ist zu befürchten, dass im Zusammenhang mit dem diesjährigen Castortransport die Anzahl der Gewaltdelikte in diesem Kriminalitätsfeld deutlich ansteigen wird", sagte Schünemann. Im Jahr 2009 gab es allein fünf Großdemonstrationen gegen rechte Veranstaltungen mit 500 bis 5000 Teilnehmern, 2008 war es nur eine Demonstration. Die linksextremistischen Gewalttaten sind 2009 deutlich um 17,5 Prozent auf 161 (2008: 137) Delikte angestiegen.
Zunehmende Anzahl von Brandanschlägen auf PKWs
Mit Besorgnis beobachtet die Polizei die zunehmende Zahl von Brandanschlägen auf private PKW und Firmenwagen. Nach Berlin und Hamburg liegt Niedersachsen mit 20 Delikten bundesweit auf Platz drei. Besonders bedenklich ist die Entwicklung der Brandanschläge im Bereich von Göttingen. Es kam dort in den Jahren 2006 bis 2009 zu einer bislang ungeklärten Tatserie von Brandanschlägen an Kraftfahrzeugen. Sie ist die bisher umfangreichste Serie in Niedersachsen mit 18 Taten und 26 tatbetroffenen Kraftfahrzeugen sowie rund 500.000 Euro Sachschaden. Auf das Jahr 2009 entfielen sechs Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen ohne Taterklärung. Für die ersten neun Taten erklärte sich 2008 die Gruppierung "Militante Zelle (Gruppe)" (M.Z.G), in einem Selbstbezichtigungsschreiben verantwortlich.
Darüber hinaus erreichten Brandanschläge mit einem Anschlag auf das Landkreisgebäude am 22.Januar 2010 in Göttingen eine neue Qualität. Ein Mitarbeiter der Kreisverwaltung wurde durch eine Verpuffung im Brandbereich aus dem Raum geschleudert und verletzt. "Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und der gefährlichen Körperverletzung ist eingeleitet worden. Jeder Mitarbeiter und Besucher der Kreis-verwaltung hätte Opfer der Straftat werden können", sagte der Innenminister.
"Die Polizei wird auch in Zukunft gegen alle Formen der Gewalt vorgehen und präventiv versuchen sie zu verhindern. Wir brauchen eine gesellschaftliche Ächtung jeglicher Gewalt, ob rechts, links, ausländisch oder islamistisch motiviert", sagte Innenminister Uwe Schünemann in Hannover.
Artikel-Informationen
erstellt am:
09.04.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010