Stellungnahmen des Verfassungsschutzes bei Einbürgerungen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.03.2010; Fragestunde Nr. 14
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Ralf Briese (GRÜNE); es gilt das gesprochene Wort!
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Erneut gibt es einen Konflikt zwischen der Landesregierung und einer einbürgerungswilligen Ausländerin in Niedersachsen. Erst kürzlich hat die Stadt Hannover einem einbürgerungswilligen Syrer die Einbürgerung verweigert, weil der Verfassungsschutz die Person als "extremistisch" eingestuft hat. Obwohl die Person als gut integriert und sogar gesellschaftspolitisch engagiert galt, hat der Verfassungsschutz seine Vorbehalte gegen die Einbürgerung geltend gemacht, da der Syrer politisch in der Jugendorganisation SDAJ, der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend", tätig war. Diese wird vom Verfassungsschutz als "linksextrem" eingestuft.
Gegenwärtig gibt es erneut eine Konfliktlage zwischen dem Verfassungsschutz und einer Person mit dem Wunsch nach Einbürgerung. Diesmal geht es um eine Mitgliedschaft und Unterstützung der Linkspartei. Es ist nach wie vor sowohl politisch als auch rechtlich umstritten, ob die Linkspartei als linksextrem einzustufen ist. Zweifelsohne gibt es radikale bis extremistische Zirkel in der Linkspartei, die vielleicht auch ein fragwürdi-ges Verfassungsverständnis haben. Diese Gruppe ist aber nach Einschätzung sachverständiger Beobachter eine verschwindende Minderheit in der Gesamtpartei. Die Linkspartei war und ist bereits an mehreren Lan-desregierungen beteiligt gewesen und hat weder Unternehmen verstaat-licht noch sonst irgendwelche verfassungsfeindlichen Aktivitäten entwickelt. Weder wurden freie Wahlen eingeschränkt noch die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt. Es wurden keine Oppositionsrechte beschnitten oder die freie Berichterstattung behindert.
Mehrere Verfassungsrechtler vertreten die These, dass die Rechtfertigung für die Beobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz nur durch eine objektive Ausgewogenheit gegeben ist, d. h. sowohl be- als auch entlastendes Material muss berücksichtigt werden. Insbesondere entlastendes Material, also verfassungstreue Aktivitäten, werden vom niedersächsischen Verfassungsschutz in Bezug auf die Linkspartei bisher in keiner Weise gewürdigt. Dies macht die Beobachtung unter verfassungsrechtlichen Aspekten fragwürdig. Daher ist es rechtlich zweifelhaft, ob die Ablehnung eines Einbürgerungsgesuches einer Anhängerin der Linkspartei mit dem Verweis auf angeblich verfassungsfeindliche Bestrebungen der Linkspartei gerechtfertigt werden kann.
Ich frage die Landesregierung:
- Reicht die Mitgliedschaft in der Linkspartei in Niedersachsen aus, um eine ablehnende Stellungnahme des Verfassungsschutzes während des Einbürgerungsverfahrens zu provozieren?
- Oder muss es neben der Mitgliedschaft in der Linkspartei noch weitere Gründe geben, die gegebenenfalls in der Person und ihrem politischen Handeln liegen, damit sich der Verfassungsschutz in seiner Stellungnahme gegen eine Einbürgerung ausspricht?
- Praktizieren andere Bundesländer ein ähnliches Verfahren bei Einbürgerungen, d. h. reicht die Beobachtung einer Organisation durch den Verfassungsschutz aus, um eine Einbürgerung zu versagen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
In den einleitenden Ausführungen der Anfrage wird erneut die Beobachtung der Partei DIE LINKE durch die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde thematisiert. Die Landesregierung hat – insbesondere in den jährlichen Verfassungsschutzberichten des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration – kontinuierlich dargelegt, dass die Partei DIE LINKE, zuvor Die Linkspartei PDS bzw. Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen i. S. d. § 3 Absatz 1 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) bietet. Dem gesetzlichen Auftrag folgend, wird die Partei durch die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde beobachtet.
Die Rechtmäßigkeit dieser Beobachtung der Partei DIE LINKE durch den Verfassungsschutz ist zuletzt durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Urteil vom 13. Februar 2009 (16 A 845/08) bestätigt worden. Das Gericht stellte in seinem Urteil fest: "Nach diesen Maßgaben deutet bei vernünftiger Betrachtung die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte darauf hin, dass die Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE Bestrebungen verfolgten und weiterhin verfolgen, die darauf gerichtet sind, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner und gleicher Wahl zu wählen, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen." (a.a.O. S. 52)
Aus diesem Grunde müssen sich Funktionäre der Partei DIE LINKE., auch wenn sie subjektiv keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgen, diese objektiv zurechnen lassen. Auch hierzu stellt das OVG NRW fest:
"Ebenso gefährlich können Personen sein, die selbst auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, jedoch bei objektiver Betrachtung durch ihre Tätigkeit verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern, ohne dies zu erkennen oder als hinreichenden Grund anzusehen, einen aus anderen Beweggründen unterstützten Personenzusammenschluss zu verlassen." (a.a.O. S. 70)
Im niedersächsischen Verfassungsschutz existieren keine Listen oder Dateien über die Mitglieder der Partei DIE LINKE. In dem angesprochenen Einzelfall ist die Parteizugehörigkeit durch einen Presseartikel öffentlich bekannt geworden. Als Folge der Bewertung der Organisation als verfassungsfeindlich ist auch die Beobachtung eines Mitgliedes durch den Verfassungsschutz zulässig.
Die Bewertung eines Sachverhalts in einbürgerungsrechtlicher Hinsicht ist in erster Linie eine Aufgabe der Einbürgerungsbehörde. Der Verfassungsschutz ist am Einbürgerungsverfahren mitwirkend beteiligt.
Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1 und 2:
Für die Entscheidung der Einbürgerungsbehörde nach § 11 Satz 1 Nr. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) kann in der Stellungnahme der Verfassungsschutzbehörde gemäß § 37 Abs. 2 StAG auch der Hinweis über die Mitgliedschaft in einer Partei, die Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) verfolgt, als Einzelinformation enthalten sein.
Die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde übermittelt für diese Einzelfallprüfung der Einbürgerungsbehörde die zu den einzelnen Personen vorliegenden offen verwertbaren Erkenntnissse. Auf dieser Basis kann die Einbürgerungsbehörde im Einzelfall die nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG geforderte subjektive Zurechenbarkeit prüfen und über den Antrag entscheiden.
Zur 3:
Das Staatsangehörigkeitsgesetz ist Bundesrecht. Der Vollzug des Staatsangehörigkeitsrechts erfolgt durch die Bundesländer. Einzelheiten des jeweiligen Verfahrens in anderen Bundesländern sind der niedersächsischen Landesregierung nicht bekannt.
Artikel-Informationen
erstellt am:
19.03.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010