Zukunftsvertrag, Gebietsreform und Gemeindefinanzen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.03.2010; Fragestunde Nr. 9
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ralf Briese und Hans-Jürgen Klein (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Nach dem verhandelten "Zukunftsvertrag" zwischen Land und kommunalen Spitzenverbänden wird gegenwärtig das Finanzausgleichsgesetz beraten, welches die vertraglich zugesicherte Altschuldenübernahme regeln soll. Der Zukunftsvertrag ist insofern bereits wieder ein "Vergangenheitsvertrag", da die versprochene Altschuldenübernahme bis 75 % nur bis zum Stichtag 31. Dezember 2009 galt. Das bedeutet, dass die kommunalen Neu-Schulden aus der Wirtschafts- und Finanzkrise vom Zukunftsvertrag nicht erfasst werden. Die Finanzkrise hat indessen die kommunale Verschuldung noch einmal deutlich verschärft. Städte und Gemeinden schlagen gegenwärtig überall Alarm. Etwas irritierend erscheint es daher vielen Beobachtern, wenn parallel zur größten Finanzkrise der deutschen Nachkriegsgeschichte und einem dramatischen Anwachsen der Schulden auf allen staatlichen Ebenen über weitere Steuersenkungen und die Abschaffung der Gewerbesteuer diskutiert wird. Der von Innenminister Uwe Schünemann nominierte Finanzexperte Homburg für die Gewerbesteuerkommission auf Landesebene ist in der Öffentlichkeit als dezidierter Kritiker der Gewerbesteuer bekannt. Der Städtetag hat verärgert über diese Personalentscheidung reagiert hat. Das Vertrauensverhältnis zwischen Land und Kommunen wurde nach Einschätzung von Beobachtern damit belastet. Kommunale Fusionen, die eine komplexe und sensible Aufgabe sind, werden damit nicht unbedingt erleichtert. Beobachter haben den Eindruck, dass sich trotz des Zukunftsvertrages nicht allzu viel an "Fusionswilligkeit" in der kommunalen Gebietskulisse entwickelt. Erst kürzlich hat sich der Rat der Stadt Bleckede gegen eine Fusion mit der Nachbarkommune entschieden. Sollte dies der Fall sein und sollten sich kaum Veränderungen in der Gebietskulisse in dieser Legislatur ergeben, stellt sich die Frage, wie die Landesregierung weiter verfahren will.
Wir fragen die Landesregierung:
- Mit wie vielen Kommunen wird aktuell über eine Gebietsfusion und eine Altschuldenübernahme verhandelt, und mit wie vielen Gemeindefusionen rechnet die Landesregierung bis zu den Kommunalwahlen 2011?
- Wie viele Gutachten über das Pro und Contra einer Gebietsfusion sind bisher von den Kommunen in Auftrag gegeben worden?
- Warum plädiert Innenminister Schünemann entgegen der Position der kommunalen Spitzenverbände in Bund und Land für die Abschaffung der Gewerbesteuer?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
"Die niedersächsische Landesregierung und die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände haben am 17.12.2009 die gemeinsame Erklärung zur Zukunftsfähigkeit der niedersächsischen Kommunen (Zukunftsvertrag) unterzeichnet. Der Zukunftsvertrag ist der Grundstein für die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Kommunen und den Ausbau des hierzu erforderlichen Instrumentariums. Nur gemeinsam und im Schulterschluss kann die Herausforderung gemeistert werden. Die Landesregierung und die kommunalen Spitzenverbände haben dieses mit der Unterzeichnung eindrücklich deutlich gemacht.
In diesem Rahmen werden freiwillige Zusammenschlüsse von Gemeinden und Landkreisen gezielt gefördert. Bisher wurden Bestrebungen auf kommunaler Ebene durch die Finanzierung von begleitenden Gutachten sowie durch die Moderation der Prozesse seitens der Regierungsvertretungen unterstützt. Zentraler Bestandteil der verbesserten Rahmenbedingungen ist - insbesondere zur Unterstützung von kommunalen Fusionsvorhaben - das Instrument einer Entschuldungshilfe für Kommunen. Hierfür stellen die Landesregierung und die Kommunen ab 2012 jeweils jährlich bis zu 35 Mio. Euro zur Verfügung. Ziel ist es, Gemeinden und Kreise im Rahmen freiwilliger Zusammenschlüsse zu leistungs- und zukunftsfähigeren Einheiten zu entwickeln. Bereits innerhalb von nicht einmal zwei Monaten nach Vorliegen der gemeinsamen Erklärung wurde der erste Vertrag zur Entschuldungshilfe mit der Samtgemeinde Beverstedt am 07.02.2010 geschlossen.
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 wirkt sich nicht nur auf den Landeshaushalt sondern auch für die niedersächsischen Gemeinden, Städte und Landkreise spürbar aus. Mit ihr musste sich nicht nur die Landesregierung von der festen Absicht und der begründeten Aussicht verabschieden, den Landeshaushalt 2010 ausgleichen zu können. Auch die Kommunen können nicht mehr wie in den Jahren 2006 bis 2008 mit einem Haushalts-überschuss rechnen, sondern hatten 2009 ein negatives Finanzierungssaldo von 874 Mio. Euro zu schultern. Die von den Kommunen zu erfüllenden Aufgaben werden aber auch in Zukunft finanziert werden müssen, so dass es notwendig ist, die kommunalen Einnahmen und Ausgaben neu zu analysieren und Finanzierungsalternativen aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung eingesetzt. Durch die Berufung von Innenminister Schünemann als Kommissionsmitglied ist Niedersachsen unmittelbar in der Kommission vertreten.
Zur Meinungsbildung soll ein eigener Beraterkreis in Niedersachsen – mit besonderem Blick auf die Finanzlage der niedersächsischen Kommunen – niedersächsische Vorschläge für eine Neuordnung der Gemeindefinanzen aufzeigen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1:
Die Landesregierung hat bis jetzt mit über 60 Kommunen Gespräche zur Entschuldungshilfe und zu Fusionen geführt. Da es sich um Entscheidungsprozesse mit grundsätzlichen und langfristigen Auswirkungen handelt, steht den Kommunen für einen Zugriff auf die Entschuldungshilfe der Zeitraum bis zum 31.10.2011 zur Verfügung. Von der Möglichkeit die Entscheidungsprozesse mit Sorgfalt vorbereiten zu können, machen viele der Kommunen Gebrauch, so dass derzeit kurzfristige weitere Vertragsabschlüsse nicht zu erwarten sind.
Fusionen von Kommunen sind beabsichtigt zum 01.01.2011 durch Zusammenschluss der Samtgemeinden Hadeln und Sietland, der Samtgemeinden Eschershausen und Stadtoldendorf und der Samtgemeinden Grafschaft Hoya und Eystrup. Zum 01.11.2011 wollen sich die Gemeinden Bruchhausen-Vilsen und Engeln sowie die Gemeinden Suddendorf und Schüttorf zusammenschließen. Die Umwandlung in eine Einheitsgemeinde ist zu diesem Zeitpunkt in der Samtgemeinde Beverstedt beschlossen worden. Die Samtgemeinden Bodenwerder und Polle sind bereits zum 01.01.2010 zusammengeschlossen worden.
Zu 2.:
Es sind bisher 15 Gutachten in Auftrag gegeben worden.
Zu 3.:
Die Einsetzung eines eigenen Beraterkreises zur Gemeindefinanzreform geschah mit dem Ziel, mit einem eigenen niedersächsischen Beitrag unter Einbeziehung kommunalen und wissenschaftlichen Sachverstandes zur bundesweiten Diskussion zur Gemeindefinanzreform beitragen zu können. Selbstverständlich kann bei einer Diskussion um die Gemeindefinanzen das Thema "Gewerbesteuer" nicht ausgespart werden, da diese Teil des Gemeindefinanzsystems ist und auch ein entsprechender Prüfauftrag im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbart war. Tatsache ist auch, dass insbesondere der Rückgang der Gewerbesteuer in Niedersachsen im vergangenen Jahr mit rund 20 % dramatisch war. Von niemandem wird bestritten, dass die Gewerbesteuer in der aktuellen Ausprägung deutlich konjunkturanfällig ist und keine verlässliche Planungsgröße darstellt. Und dies, obwohl es sich um die wichtigste originäre gemeindliche Steuer handelt. Bei der Gemeindefinanzreform geht es darum Wege aufzuzeigen, wie die kommunale Einnahmesituation verstetigt und verlässlicher gestaltet werden kann. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, mit oder ohne Abschaffung der Gewerbesteuer, wird in den nächsten Monaten von der Gemeindefinanzkommission unter niedersächsischer Beteiligung zu erarbeiten sein."
Artikel-Informationen
erstellt am:
19.03.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010