Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.03.2010; TOP 28
Rede von Innenminister Uwe Schünemann zum Antrag der Fraktion der SPD; Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat eine große Tradition im Kampf für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und den Erhalt des Friedens:
- Die erste deutsche Republik ist ohne die SPD nicht vorstellbar. Es war ein Sozialdemokrat, der sie 1918 ausrief.
- Es waren Sozialdemokraten, die in schwerer Stunde Verantwortung für Deutschland trugen. Sie haben die Demokratie bis zum Schluss verteidigt. Für immer unvergessen bleibt die große Reichstagsrede des SPD-Vorsitzenden Otto Wels, in der er sein Nein zum Ermächtigungsgesetz Hitlers formulierte.
- Viele Sozialdemokraten standen im Widerstand gegen das braune Terrorregime, wurden verfolgt und mussten Schlimmstes erleiden.
Nach 1945 war es die SPD, die zusammen mit Demokraten anderer Parteien daran ging, ein freiheitliches Gemeinwesen im Westen aufzubauen. "Nie wieder Diktatur" hieß es damals.
Währenddessen wurden im Osten Deutschlands Sozialdemokraten erneut drangsaliert. Diesmal von einer kommunistischen Diktatur.
Auch das gehört zur historischen Wahrheit.
Die SPD hat den antitotalitären Gründungskonsens dieser Bundesrepublik Deutschland entscheidend geprägt. Das ist unstrittig. Und das muss auch unstrittig bleiben.
Diese Landesregierung steht in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierungen, was die Bekämpfung des Rechtsextremismus angeht. Wir bekennen uns zu unserer historischen Verantwortung. Der Zivilisationsbruch der Nazis mit der systematischen Ermordung von Millionen Menschen ist einzigartig in der Geschichte. Darauf habe auch ich explizit hingewiesen. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist und bleibt ein fester Bestandteil der innenpolitischen Agenda dieser Landesregierung.
Das zeigt sich auch in einer Fülle von Initiativen, die wir dem Landtag immer wieder dargelegt haben (siehe Antwort des MI auf die mündliche Anfrage 31, Februarplenum 2010). Der Vorwurf in dem Antrag der SPD-Landtagsfraktion, die "Bekämpfung des Rechtsextremismus erschöpft sich … in Appellen und allgemeinen Warnhinweisen", ist haltlos.
Die SPD-Landtagsfraktion fordert eine differenzierte Betrachtung der extremistischen Phänome-ne. Nichts anderes tut die Niedersächsische Landesregierung. Eine Gleichsetzung lehnen wir ab. Der Verfassungsschutz und auch ich haben die unterschiedlichen ideologischen Wurzeln klar dargestellt:
- Rechtsextremisten verfechten im Kern eine Ideologie radikaler Ungleichheit. Sie setzen auf "Volksgemeinschaft" und "Rasse". Sie stehen für Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit. Hier ist der menschenverachtende Ansatz unverkennbar.
- Bei Linksextremisten ist es schwieriger. Sie stehen im Kern für eine Ideologie übersteigerter Gleichheit. Sie geben vor, den Menschen aus Abhängigkeiten zu befreien. Die freiheits-feindliche Konsequenz linksextremen Denkens ist daher nicht leicht erkennbar.
Trotz der ideologischen Differenzen gibt es aber auch gemeinsame Strukturmerkmale von Links- und Rechtsextremisten. Sie stehen der freiheitlich demokratischen Grundordnung feindlich gegenüber:
Das gilt zum Beispiel für ihren Anspruch auf das Wahrheitsmonopol.
Das gilt für ihr kompromissloses Freund-Feind-Denken.
Das gilt für den Primat des Kollektivs vor dem Individuum.
Das gilt für die Ablehnung von Pluralismus und individueller Freiheit.
Diese Erkenntnis hat nichts mit Gleichsetzung, sondern mit Vergleich zu tun. Ich habe den Eindruck, dass der Antrag hier nicht sauber unterscheidet.
Der antitotalitäre Konsens unserer wehrhaften Demokratie muss immer wieder neu gefestigt werden. Das wird auf Dauer nur gelingen, wenn die Unterschiede von Demokraten und Anti-Demokraten nicht verwischt werden. Es lässt mich nicht gleichgültig, wenn die SPD glaubt, sie würde durch mich und mein Haus in ein falsches Licht gerückt werden. Um es noch einmal klar zu sagen: Ich habe großen Respekt vor der Geschichte der SPD und ihren Einsatz für die Demokratie.
Gerade deshalb erhoffe ich von der SPD eine klare Abgrenzung zu denen, die kein zweifelsfrei positives Verhältnis zur demokratischen Grundordnung haben.
Die Frage, inwieweit dies auf die Partei DIE LINKE zutrifft, wird kontrovers diskutiert.
Als Innenminister habe ich mich ebenso wie der Verfassungsschutz an Recht und Gesetz zu halten. Das ist für uns der alleinige Maßstab. Auch in dieser Frage. Deshalb möchte ich Sie über den Stand der Rechtsprechung zur Partei DIE LINKE informieren.
Als bisher höchstes Gericht in Deutschland hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 13. Februar 2009 ein Urteil gefällt, das ich Ihrer Lektüre empfehle.
Eine Schlüsselpassage lautet, ich zitiere:
Es "deutet bei vernünftiger Betrachtung die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte darauf hin, dass die Parteien PDS, Linkspartei. PDS und heute DIE LINKE Bestrebungen verfolgten und weiterhin verfolgen, die darauf gerichtet sind, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner und gleicher Wahl zu wählen, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Eine weitere Aufklärung durch das BfV [Bundesamt für Verfassungsschutz] erscheint deshalb erforderlich.
Die Auswertung der dem Senat vorliegenden Unterlagen ergibt … bei einer Gesamtschau …, dass durchaus namhafte Teile der Partei eine politische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland verfolgen, die mit den entscheidenden Merkmalen eines freiheitlichen-demokratischen Staates im Sinne des Grundgesetzes unvereinbar ist." ZITATENDE.
Diese Passagen sprechen für sich. Und ich könnte noch einiges mehr zitieren. Auch setzt sich das Gericht eingehend mit der Programmatik der Linkspartei auseinander. Dabei spielen Schlüsselbegriffe wie "Sozialismus" und "Demokratischer Sozialismus" eine wichtige Rolle, die auch der Antrag der SPD-Fraktion thematisiert.
Das OVG sagt dazu, ich zitiere:
"Der Begriff ‚Sozialismus’ wird im politischen Sprachgebrauch nicht nur in dem dargelegten klassischen marxistisch-leninistischen Sinne benutzt, sondern kann auch eine als sozial verstandene, grundlegende Umgestaltung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse meinen, die den Rahmen des Grundgesetzes nicht überschreitet." ZITATENDE.
Ich stimme dem ausdrücklich zu. Und ich widerspreche hier ganz klar Verdächtigungen, als wolle ich eine Kritik am Kapitalismus oder das Eintreten für den "Demokratischen Sozialismus" als verfassungsfeindlich kennzeichnen. Das ist blanker Unsinn.
Schon gar nicht geht es dem Verfassungsschutz um eine Stigmatisierung solcher Leitbegriffe, um damit die Sozialdemokratie in Extremismusnähe zu rücken.
Aber wir können nicht darüber hinwegsehen, in welchem ideologischen Kontext DIE LINKE solche Begriffe verwendet.
Es fällt auf, dass DIE LINKE – offenbar anders als die SPD – eine weitreichende gesellschaftliche "Transformation" anstrebt und eine trennscharfe Abgrenzung zur freiheitsfeindlichen Position unterlässt.
DIE LINKE versucht immer wieder unseren Staat als eine nur "formale Demokratie" herabzuwürdigen. Dem stellt sie den "Demokratischen Sozialismus" gegenüber, der sich dadurch auszeichne, dass er den Kapitalismus überwunden habe.
Ich hätte mir gewünscht, dass sich die SPD von dieser bedenklichen Interpretation des "Demokratischen Sozialismus" im Sinne von "Systemüberwindung" klar distanziert.
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, auch wenn es vielen heute so erscheint. Deshalb müssen wir den Feinden der Demokratie entschlossen entgegen treten.
Aber ein Feind ist auch die Gefahr der Gleichgültigkeit. Der große Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, der als führender Gewerkschafter den Untergang der Weimarer Republik erlebt hatte und als Jude vor dem Nazi-Terror fliehen musste, mahnte einmal:
"Die pluralistische Demokratie ist ein moralisches Experiment, das jeden Tag von neuem gewagt werden muss."
Wagen wir dieses Experiment!
Helfen wir, dass Demokratie als etwas Positives erlebt wird. Dann verliert extremistisches Gedankengut jeder Art an Anziehungskraft.
Artikel-Informationen
erstellt am:
18.03.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010