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Alkoholtestkäufe durch Jugendliche

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.02.2010; Fragestunde Nr. 55


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Helge Limburg (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!

Der Abgeordnete hatte gefragt:

Seit Ende letzten Jahres werden in Niedersachsen regelmäßig Minderjährige als Testkäuferinnen und -käufer in Supermärkte, Kioske und Tankstellen geschickt, um Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz aufzudecken.

Nach Angaben von Innenminister Uwe Schünemann hätten gerade diese Testkäufe dazu beigetragen, dass die Anzahl der Verstöße abgenommen habe. Folglich plant der Innenminister, diese Praxis weiter auszubauen und zukünftig auch Jugendliche unter 16 Jahren für Testkäufe einzusetzen sowie den Verkauf von Computerspielen in die Testkäufe mit einzubeziehen.

Diese Praxis ist jedoch nicht unumstritten. Der Kinderschutzbund kritisierte, dass Jugendliche zur Offenheit erzogen werden sollten und nicht zur Hinterhältigkeit, wie das bei einem Einsatz als verdeckte Testkäuferinnen und -käufer der Fall sei. Der Berliner Innensenator kritisierte, dass auf diese Weise Kinder zu Spitzeln gemacht würden und dass dieses mit der Menschenwürde unvereinbar sei. Außerdem wird kritisiert, dass die Jugendlichen dazu gebracht würden, die Verkäuferinnen und Verkäufer zu Ordnungswidrigkeiten und damit zu rechtswidrigen Taten anzustiften.

Schließlich durchbrechen die verdeckten Testkäufe das Grundprinzip, dass der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich offen gegenübertreten soll. Verdeckte Kontrollen durch staatliche Behörden müssen in einem demokratischen Rechtsstaat eine Ausnahme bleiben. Diese Auffassung vertrat auch der niedersächsische Innenminister Schünemann noch im Jahr 2003 in Bezug auf versteckt aufgestellte Radarmessgeräte durch die Polizei Hildesheim.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung es aus rechtlicher Sicht, dass durch die Alkoholtestkäufe minderjährige Jugendliche zu "Agents Provocateurs" werden und Dritte zu rechtswidrigen Taten anstiften?
  2. Wie bewertet die Landesregierung die Kritik des Kinderschutzbundes, dass der Staat Kinder durch solche verdeckten Testkäufe zur Hinterhältigkeit statt zur Offenheit erziehe?
  3. Wie bewertet die Landesregierung den Einsatz von verdeckt arbeitenden Jugendlichen als Testkäuferinnen und -käufer vor dem Hintergrund des Grundprinzips der Offenheit staatlichen Handelns?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Die Landesregierung begegnet dem Phänomen des exzessiven Trinkens von Alkohol durch Kinder und Jugendliche - insbesondere in der Öffentlichkeit - mit gezielten und aufeinander abgestimmten Maßnahmen.

Dabei stehen präventive Maßnahmen im Vordergrund, um den Entwicklungen frühzeitig zu begegnen und vor allem Suchtgefahren, die sich für Jugendliche daraus für ihr gesamtes zukünftiges Leben ergeben können, zu verhindern oder zumindest frühzeitig einzudämmen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die hohe Zahl der unter Alkoholeinfluss begangenen Gewaltdelikte zu reduzieren.

Einen wichtigen Aspekt stellt hier auch die Durchsetzung der Jugendschutzbestimmungen, insbesondere der Verbote und Beschränkungen gemäß § 9 Abs. 1 des Jugendschutzgesetzes, dar. Deshalb werden, neben den seit Frühjahr 2008 durchgeführten polizeilichen Kontrollmaßnahmen im Zusammenhang mit Alkoholmissbrauch von Kindern und Jugendlichen, in Niedersachsen seit Oktober 2008 auch jugendliche Testkäuferinnen und Testkäufer bei Kontrollen im Einzelhandel eingesetzt.

Die ersten Erfahrungen mit den Testkäufen werfen ein Schlaglicht auf einen Bereich, in dem bei Verstößen bislang so gut wie kein Entdeckungsrisiko bestand. Sie zeigen aber auch, dass Verfolgungsdruck und die dadurch angestoßene verbesserte Aufklärung die Zahl der Verstöße verringert. Im Jahr 2009 wurden in Niedersachen insgesamt fast 3.000 Testkäufe durchgeführt. Dabei wurden 1.327 Verstöße festgestellt und 730 Bußgeldverfahren eingeleitet. Lag die durchschnittliche Quote der festgestellten Verstöße in 2008 noch bei 54,5 %, verringerte sich die Quote im Jahr 2009 auf durchschnittlich 44,5%; im 4. Quartal 2009 lag sie bei 40,8%. Diese positive Entwicklung innerhalb nur eines Jahres bestätigt die Wirksamkeit der Testkäufe.

Das Wohl der als Testkäuferinnen und Testkäufer eingesetzten Jugendlichen darf durch die Teilnahme an den Kontrollen nicht beeinträchtigt werden. Dies wird durch eine sorgfältige Auswahl und Betreuung der Jugendlichen in Zusammenarbeit von Polizei und Jugendamt gewährleistet. Jeder Einsatz wird mit den Jugendlichen vor- und nachbereitet; während der Kontrollen sind Mitarbeiter von Jugendamt und Polizei stets in unmittelbarer Nähe und können jederzeit eingreifen. Kommt es zu jugendschutzrechtlichen Verstößen, geben die Testkäuferinnen und Testkäufer die erworbene Ware an die Begleitpersonen ab und sind bei einer Konfrontation des Verkaufspersonals nicht zugegen. Um die Jugendlichen vor Konflikten zu schützen, werden sie zudem außerhalb ihres eigenen persönlichen Umfelds eingesetzt. Diese Aspekte waren für die bisherige Praxis der Testkäufe in Niedersachsen maßgeblich und werden – ebenso wie ein Mindestalter von 15 Jahren für die Testkäuferinnen und Testkäufer – auch in einem gemeinsamen Runderlass des Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration geregelt werden.

Eingesetzt werden bei den Testkäufen in Niedersachsen keine Kinder, sondern nur altersgerecht entwickelte fünfzehn-, sechzehn- oder siebzehnjährige Jugendliche, die sich mit Einverständnis ihrer Eltern freiwillig an Testkäufen beteiligen und ihre Tätigkeit jederzeit ohne Angabe von Gründen beenden können. Sie sind nach ihrem Entwicklungsstand in der Lage, sich mit Zielen und Folgen der Maßnahmen auseinanderzusetzen.

Die als Testkäufer eingesetzten Jugendlichen erlernen durch ihre Teilnahme an den Testkäufen kein verwerfliches oder sozialschädliches Verhalten. Testkäuferinnen und Testkäufer wickeln normale Geschäfte des täglichen Lebens ab und sind ausdrücklich dazu angehalten, über das Vorlegen oder Verlangen der Ware hinaus nicht auf die Willensbildung des Verkaufspersonals einzuwirken. Bei der Auswahl der Testkäuferinnen und Testkäufer wird außerdem auf ein altersentsprechendes Äußeres geachtet. Mit dem Testkauf wird daher den Betroffenen keine schwer zu durchschauende Falle gestellt, sondern lediglich eine alltägliche Situation erzeugt, wie sie sich im Arbeitsalltag des Verkaufspersonals auch sonst jederzeit ergeben kann und wird. Die Betroffenen benötigen weder besondere Fähigkeiten noch eine gesteigerte Aufmerksamkeit, um die Jugendschutzwidrigkeit eines Verkaufs zu erkennen.

Die Jugendlichen werden daher durch die Testkäufe nicht "zu Hinterhältigkeit" erzogen, sondern sie lernen, für das Recht einzutreten, sich einzusetzen und bei Verstößen nicht wegzuschauen. Durch die umfangreichen Vor- und Nachbereitungen bzw. Begleitung der Testkäuferinnen und Testkäufer durch geschultes Personal, erhalten die Jugendlichen nachhaltige Einblicke in die Bedeutung ihrer Handlungen und werden nicht zuletzt intensiv mit der durch den Konsum von Alkohol einhergehenden Suchtgefahr konfrontiert.

Insoweit erfahren die Jugendlichen eine intensive, auch präventiv wirkende Betreuung.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Testkäuferinnen und Testkäufer stiften Betroffene, die bei einem Testkauf einen jugendschutzrechtlichen Verstoß begehen, nicht zu der Zuwiderhandlung an. Sie führen nur in alltäglicher Weise die Situation herbei, in der ein Verkauf entweder abgelehnt oder getätigt werden kann.

Zu 2.:

Siehe Vorbemerkung.

Zu 3.:

Die Einhaltung rechtlicher Verpflichtungen durch Kontrollen zu überprüfen, ist eines der wesent-lichen Elemente der Rechtsdurchsetzung. Wie Kontrollen effektiv zu gestalten sind, hängt von der Art der zu überprüfenden Pflichten ab. Die Verkaufsverbote und -beschränkungen des Jugendschutzrechts gehören zu den Verhaltenspflichten, deren Einhaltung mittels einer angekündigten Kontrolle durch Behördenvertreter, die sich als solche legitimieren, nicht überwacht werden könnte. Testkäufe stellen hingegen eine wirksame Kontrollmöglichkeit dar und sind deutlich weniger belastend und wesentlich effektiver, als es etwa die Beobachtung eines Verkaufsraums durch einen Behördenmitarbeiter wäre, der sich dort unerkannt für einen längeren Zeitraum aufhalten müsste. Bei Testkäufen beschränkt sich die Kontrolle auf die Abwicklung eines alltäglichen Verkaufsvorgangs, der nur von den tatsächlich daran beteiligten Personen wahrgenommen und nicht anderweitig beobachtet wird. Der Eingriff ist daher gering.

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.02.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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