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erstellt am:
18.02.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Ralf Briese (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Innenminister Schünemann möchte laut Medienberichten im Jahr der Fußballweltmeisterschaft erneut auf das rechtlich umstrittene Instrument der Gefährderansprache oder des Gefährderanschreibens zurückgreifen. Danach spricht oder schreibt die Polizei präventiv sogenannte Gefährder an, über die polizeiliche Erkenntnisse vorliegen, um zu verdeutlichen, dass die betroffenen Personen im "Fokus" der Behörden stehen. Das Verwaltungsgericht Göttingen hat in einer Entscheidung vom 27. Januar 2004 entsprechende Gefährderanschreiben als rechtswidrig eingestuft. Das Urteil wurde vom OVG Lüneburg bestätigt.
Ich frage die Landesregierung:
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Aufgabe der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2010 ist es, die Sicherheit der Spiele aber auch aller sonstigen Veranstaltungen zu gewährleisten. Dieses betrifft sowohl das eigentliche Turnier in Südafrika als auch die zu erwartenden Public-Viewing und sonstigen Veranstaltungen hierzulande. Ziel der deutschen Polizeien ist es dabei unter anderem, gewalttätige Ausschreitungen von deutschen Fußball-Problemfans konsequent zu unterbinden.
Die Erfahrungen aus zahlreichen ähnlichen Anlässen - insbesondere der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland - zeigen deutlich, dass es bereits im Vorfeld derartiger Veranstaltungen möglich ist, potenzielle Gefährder durch präventivpolizeiliche Maßnahmen von einer Beteiligung an gewalttätigen Auseinandersetzungen abzubringen. Daher werden diese Maßnahmen auch zur Fußballweltmeisterschaft 2010 auf der Grundlage der bewährten Konzepte bundesweit angewandt werden.
Die niedersächsischen Polizeidirektionen werden in diesem Zusammenhang alle rechtlich zulässigen Maßnahmen auf Grundlage der Ihnen vorliegenden Erkenntnisse durchführen. Ein Mittel ist hierbei die Gefährderansprache, durch die den Betroffenen signalisiert wird, dass sie aus der Anonymität der Masse herausgehoben und für den Fall einer Beteiligung an Gewalttaten bei den Veranstaltungen einem erhöhten Entdeckungsrisiko ausgesetzt sind. Daneben sollen die Gespräche weitere Erkenntnisse zu möglichen Absichten der Person bzw. der Problemfanszene erbringen und sind ggf. ergänzende Grundlage für weitergehende Maßnahmen.
Unter welchen Voraussetzungen die Polizei eine Gefährderansprache durchführen kann, hängt wesentlich von ihrem Inhalt und der Art ihrer Durchführung ab. Soweit ihr eine grundrechtseingreifende Wirkung zukommt, bedarf sie einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung und kommt nur in Betracht, wenn sie zur Abwehr einer konkreten Gefahr erforderlich ist.
Anders ist es jedoch, wenn mit der Gefährderansprache kein Grundrechtseingriff verbunden ist, weil sie nach ihrem Inhalt lediglich beratenden Charakter hat oder allgemeine Informationen enthält, die auf die betroffene Person weder rechtseinschränkend noch diskriminierend wirkt.
In der vom Fragesteller zitierten Entscheidung vom 22.09.2004 hat das OVG Lüneburg die Voraussetzungen, unter denen ein Grundrechtseingriff erfolgen darf, bezogen auf die Gefahr von Ausschreitungen im Zusammenhang mit einer Versammlung, näher umschrieben.
Eine Gefährderansprache, die inhaltlich so weitreichend ist, dass damit ein Grundrechtseingriff verbunden ist, darf danach erfolgen, wenn nach den Erkenntnissen der Polizei im Zuge einer geplanten Veranstaltung die Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen gegeben ist und eine konkrete Prognose ergibt, dass von dem Adressaten die Gefahr entsprechender Rechtsverstöße, mithin eine konkrete Gefahr, ausgeht. Eine solche Gefahrenprognose ist gerechtfertigt, wenn die Person bereits wegen einer auf den Anlass bezogenen Gewalttat rechtskräftig verurteilt wurde und beweiskräftige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich erneut an der Begehung gleich gelagerter Delikte beteiligen wird. Die Rechtmäßigkeit wird ebenfalls bejaht, wenn gegen eine Person in zeitlicher Nähe zu der polizeilichen Maßnahme wegen einer Gewalttat, die im sachlichen Zusammenhang mit der geplanten Gefährderansprache steht, staatsanwaltschaftlich ermittelt wurde, ohne dass es zu einer strafrechtlichen Sanktion gekommen ist. In diesem Fall muss jedoch eine durch Tatsachen belegte Prognose vorliegen, nach der die Person mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine anlassbezogene Straftat begehen wird.
Diese Entscheidung des OVG Lüneburg wird von der Polizei bei der Adressatenermittlung und der Durchführung von Gefährderansprachen selbstverständlich berücksichtigt.
Die einer Gefährderansprache zu unterziehenden Personen werden aus Gründen der Nachhaltigkeit vorrangig persönlich aufgesucht oder zur Polizeidienststelle vorgeladen, nur in Ausnahmefällen wird eine Gefährderansprache in Form eines Anschreibens durchgeführt.
Dies vorangestellt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1. und 2.:
Zur Abwehr von Gefahren bzw. zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten nutzt die niedersächsische Polizei alle ihr rechtlich zur Verfügung stehenden Befugnisse, soweit die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen. Das gilt selbstverständlich auch für Gefährderansprachen.
Eine Prognose zur Anzahl erforderlicher Gefährderansprachen im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2010 ist vor dem Hintergrund der sich derzeit erst entwickelnden Erkenntnislage zu diesem Anlass noch nicht möglich. Die Polizeidirektionen werden in den nächsten Wochen in eine diesbezügliche Prüfung eintreten.
Im Übrigen siehe Vorbemerkung.
Zu 3.:
Eine Gefährderansprache bzw. ein Gefährderanschreiben ist kein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz, den eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und der auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Mit ihr werden Regelungen nicht getroffen. Es handelt sich vielmehr um einen so genannten Verwaltungsrealakt.
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erstellt am:
18.02.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010