Gewalt gegen Polizeibeamte im Dienst
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20.01.2010; TOP 12
Rede von Innenminister Uwe Schünemann zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP; es gilt das gesprochene Wort!
Auszug aus einer Pressemitteilung aus MV vom 19.01.2010:
"In den späten Abendstunden des vergangenen Sonntags ging auf dem Polizeinotruf ein anonymer Anruf ein, in dem die Belästigung einer Frau angekündigt wurde. Als die Polizeistreife kurz darauf den vermeintlichen Tatort in Greifswald Schönwalde erreichte, wurde sie durch Angreifer empfangen, die mit Molotowcocktails warfen. Glücklicherweise verfehlten die Brandsätze den Funkwagen der Beamten. Im Zuge der Ermittlungen konnten drei 16, 18 und 23 Jahre alte Täter ermittelt werden."
Und dies ist nur ein Beispiel, wenn auch ein sehr aktuelles, was deutlich macht, wie wichtig es ist, dass wir uns nun zum wiederholten Male auch hier mit dem Thema Gewalt gegen Polizeibeamte beschäftigen.
Lassen Sie mich einige Zahlen dazu anführen:
Seit Jahren sind kontinuierlich steigende Fallzahlen bei Übergriffen gegen die Polizeibeamtinnen und –beamten unseres Landes, aber auch im bun-desweiten Schnitt festzustellen. Die Anzahl der Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist in Niedersachsen seit dem Jahr 2001 um etwa 60 Prozent gestiegen. Im Jahr 2008 wurden beinahe 2.500 Fälle in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst. Für das Jahr 2009 werden sich die Fallzahlen etwa auf ähnlichem Niveau bewegen. Bundesweit ist in dem vergleichbaren Zeitraum ebenfalls eine deutliche Steigerung von mehr als 32 Prozent zu verzeichnen. Und hinzu kommt: Die Fälle, in denen der Widerstand mit anderen Delikten gemeinsam verübt wurde (Körperverletzung pp.), sind hier noch gar nicht erfasst.
Über die Qualität der Angriffe, d.h. zu der Frage, ob die Angriffe und Widerstandshandlungen gewaltintensiver wurden, trifft die Polizeiliche Kriminalstatistik keine Aussage:
Nachdem es bereits im Jahr 2000 eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts (KFN) hierzu gegeben hat, haben im März 2009 das KFN und das Landeskriminalamt Niedersachen vereinbart, diesen Phänomenbereich erneut zu untersuchen.
Mit einer umfassenden und gründlichen Analyse werden im Vergleich mit vorhergehenden Studien neben Aussagen zu quantitativen Veränderungen auch Aussagen zur qualitativen Veränderung der Gewaltausübung erwartet. Darüber hinaus sollen die Ursachen der herausgearbeitet und Handlungsoptionen für deren Bekämpfung und Vermeidung aufgezeigt werden. Dabei sollen sowohl Fälle untersucht werden, bei denen die niedersächsischen Polizeibeamtinnen und -beamten als unmittelbare Folge der Gewaltausübung für einen bestimmten Mindestzeitraum dienstunfähig gewesen sind als auch die Fälle, in denen es zu keiner Krankschreibung gekommen ist.
Insoweit geht die neue Studie weit über das hinaus, was das KFN im Auftrag der IMK in der Vergangenheit untersucht hat. Gleichzeitig wurde die Studie aber auch so angelegt, dass Vergleiche zu vorliegenden Untersuchungsergebnissen möglich sind. Erst ein Vergleich und eine Bewertung dieser beiden Studien lassen differenzierte Reaktionen zu.
Gemeinsam mit dem KFN haben wir den anderen Ländern und der Bundespolizei die Teilnahme an der Studie angeboten, an der neben Niedersachsen, Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen ihre Teilnahme verbindlich zugesagt haben. Die Studie ist noch offen für eine Beteiligung weiterer Länder, da der letzte Abstimmungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Fest steht, dass wir repräsentative Aussagen aus der Studie erwarten können. Die Befragung wird voraussichtlich im Februar beginnen.
Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Schutz vor Gewaltakten genießen bereits seit Jahren eine hohe Priorität. Das Erlernen von Vermeidungsstrategien bei Gewalt ist z. B. wesentlicher Bestandteil der Aus- und Fortbildung der niedersächsischen Polizei. Bereits im Bachelorstudium werden grundlegende Fähigkeiten und Kenntnisse zum Bereich Eigensicherung vermittelt. Nach der Ausbildung greift das Fortbildungskonzept "Systemisches Einsatztraining". Das spezielle Training versetzt Beamte in die Lage, sich aktiv im Rahmen von Einsätzen, z. B. auch im Bereich der häuslichen Gewalt, vor Angriffen und Verletzungen zu schützen.
Der Schutz der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten findet auch bei einsatztaktischen Überlegungen Berücksichtigung. So wurden beispielsweise spezielle Einsatzkonzepte, wie z. B. für die Bewältigung von sog. Amok-Lagen, die nach dem Amok-Läufen am 26. April 2002 am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt und am 20. November 2006 an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten erarbeitet.
Eine wesentliche Komponente des modernen passiven Schutzes für Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte stellt die ballistische Schutzweste dar. Das Ausstattungskonzept sieht für die Polizei Niedersachsen eine persönliche Ausstattung sowie eine fahrzeug-, funktions- und dienststellenbezogene Ausstattung mit ballistischen Schutzwesten vor.
Daneben haben wir im Rahmen der Fürsorgepflicht sichergestellt, dass Beamtinnen und Beamte, die von Gewalt betroffen sind, umfassend unterstützt werden:
So wird z. B. der Ersatz von Sach- und Vermögensschäden, die durch Gewaltakte Dritter verursacht worden sind, durch den Dienstherrn möglich; für Heilbehandlungskosten, kann zur Verhinderung einer übermäßigen finanziellen Belastung übergangsweise ein Vorschuss gewährt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Frage, ob der aktuelle Sanktionsrahmen für Gewaltdelikte gegenüber Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamte und anderen Amtsträgern verändert werden muss, wird schon seit einiger Zeit beraten. Wegen des deutlichen Anstiegs der Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte sowie auch wegen der wachsenden Anzahl von Übergriffen auf Feuerwehrleute und Rettungskräfte halten wir eine Novellierung der einschlägigen strafrechtlichen Sanktionsnormen für geboten, um den strafrechtlichen Schutz dieses Personenkreises zu verbessern.
Auf das Ergebnis des Forschungsvorhabens sind wir gespannt. Bis dahin werden wir aber nicht untätig bleiben sondern unseren eingeschlagenen Weg zum Schutz unserer Polizisten fortsetzen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
20.01.2010
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010
Nds. Ministerium für Inneres, Sport und Digitalisierung
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport
Lavesallee 6
30169 Hannover
Tel: 0511/120-6258/ -6255
Fax: 0511/120-6555