Internetradio „European Brotherhood“
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.12.2009; Fragestunde Nr. 44
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Helge Limburg (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Am 30. November 2009 wurde in Berlin der Betreiber des rechtsextremen Internetradios "European Brotherhood" zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht sah durch die rechtsextreme und rassistische Hetze des Internetradios die Straftatbestände der Volksverhetzung und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung als erfüllt an. Weitere Angeklagte erhielten Haftstrafen zwischen einem Jahr auf Bewährung und zwei Jahren und fünf Monaten ohne Bewährung.
Im Verlauf des Prozesses wurde auch Günter Heiß, zum damaligen Zeitpunkt Leiter des Verfassungsschutzes Niedersachsens, als Zeuge geladen. Heiß sollte über die Aktivitäten einer V-Frau des niedersächsischen Verfassungsschutzes berichten, die unter den Angeklagten war. Offenbar hatte sie, auch während sie als V-Frau geführt wurde, über das Internetradio den Holocaust geleugnet und zu Straftaten aufgerufen. Laut Heiß war die Frau seit 2007 V-Frau des Verfassungsschutzes. Die Zusammenarbeit wurde demnach Anfang 2009 beendet, nachdem der Verfassungsschutz Kenntnis über die Straftaten erhalten habe. Die V-Frau selbst behauptet, den Verfassungsschutz stets über ihre Straftaten informiert zu haben.
Unklar ist für den Beobachter, warum dem Verfassungsschutz Niedersachsen bis Anfang 2009 die strafbaren Aktivitäten seiner V-Frau verborgen geblieben waren, obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits im Januar 2007 von der Existenz des Radios wusste. Unklar ist
auch, wie glaubwürdig die Berichte einer V Frau sind, die offenbar während ihrer V-Frau-Tätigkeit strafbare Handlungen verübt.
Ich frage die Landesregierung:
- Schließt die Landesregierung aus, dass sich gegenwärtig weitere rechtsextreme Straftäter als V-Leute des niedersächsischen Verfassungsschutzes betätigen, und wie soll zukünftig die Bezahlung aktiver Straftäter als V Leute verhindert werden?
- Wie steht die Landesregierung zu der Kritik und Entscheidung des Landgerichts Berlin, dass der niedersächsische Verfassungsschutz den Betrieb des Radios hätte eher unterbinden müssen und es so zu einer Strafmilderung der Angeklagten gekommen ist?
- Welche Konsequenzen für die Kommunikation und den Austausch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz ergeben sich für den niedersächsischen Verfassungsschutz aus diesen Vorgängen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Aufgabe des Verfassungsschutzes nach dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) ist es, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beobachten. Zur Wahrnehmung ihres gesetzlichen Beobachtungsauftrages setzt die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde V-Leute ein. Die Begehung von Straftaten ist V-Leuten ausdrücklich untersagt. Nur unter den engen Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 NVerfSchG dürfen sie die dort genannten Straftatbestände verwirklichen, um gegebenenfalls nicht durch ein für die extremistische Szene atypisches Verhalten aufzufallen. Über diese Rechtslage und die Konsequenzen einer Zuwiderhandlung werden alle V-Leute vor ihrer Verpflichtung durch den Verfassungsschutz eindringlich belehrt. Die Belehrung wird regelmäßig wiederholt. Sofern V-Leute dennoch Straftaten begehen, wird nach deren Bekanntwerden die Zusammenarbeit umgehend beendet.
Ungeachtet der gesetzlichen Regelungen und der daraus abgeleiteten Vorsichts- und Kontrollmaßnahmen bei der Führung von V-Leuten ist eine vollständige Kontrolle aller ihrer Handlungen und Aktivitäten nicht möglich. V-Leute sind Szene-Angehörige.
Besondere Schwierigkeit bereitet es, Aktivitäten von V-Leuten im Bereich des Internets zu kontrollieren. Extremisten wähnen sich durch die Anonymität und die Flüchtigkeit des Mediums Internet gesichert. Häufig verbergen sie ihre Identität hinter so genannten Nick-Names. Hinzu kommt der überregionale bzw. internationale Charakter des Internets, der es den Landesbehörden für Verfassungsschutz erschwert oder fast unmöglich macht, regionale Bezüge herzustellen.
In einer regelmäßig zusammengestellten Überblicksdarstellung informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz über neu entdeckte Internet-Seiten. Diese Zusammenstellung basiert auf Erkenntnissen der Bundes- und der Landesbehörden. Die hierauf basierende Arbeitsaufteilung innerhalb des Verfassungsschutzverbundes sieht vor, dass sich die Landesbehörde auf identifizierte Internetpräsenzen mit zuordnungsbarem Regionalbezug konzentrieren.
Im Falle des EBR deuteten erste Hinweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der oben erwähnten Überblicksdarstellung im Januar 2007 auf Urheber in den Niederlanden und in Hessen. Eine niedersächsische Zuordnung war damit nicht gegeben.
Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1:
Der Landesregierung liegen zur Zweit keine Erkenntnisse vor, dass V-Leute Straftaten begehen. Im Falle solcher Erkenntnisse würde die V-Person nach Maßgabe des in der Einleitung dargestellten rechtlichen Rahmens abgeschaltet.
Zu 2:
Die schriftliche Urteilsbegründung wird aktuell erstellt und liegt demgemäß noch nicht vor. Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, Gerichtsentscheidungen zu bewerten.
Zu 3:
Unter Hinweis auf die Ausführungen in den Vorbemerkungen ergibt sich kein Handlungsbedarf.
Artikel-Informationen
erstellt am:
16.12.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010