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Übergriff auf muslimische Studentin

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.12.2009; Fragestunde Nr. 19


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Helge Limburg und Filiz Polat (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Am 14. November 2009 wurde in Göttingen eine Muslimin angegriffen. Vier vermutlich aus der rechtsradikalen Szene stammende Männer bepöbelten die 24-jährige Medizinstudentin, rissen sie zu Boden und traten auf sie ein. Offensichtlich gab das Kopftuch, welches das Opfer trug, den Anlass für die Gewaltaktion. So hetzten die Täter beispielsweise mit der Forderung, sie solle "endlich deutsch werden" (vgl. taz, 20. November 2009). Diese Tat sowie der Mord an Marwa El-Sherbini am 1. Juli 2009 in Dresden und andere Taten legen den Schluss nahe, dass eine wachsende Islamfeindlichkeit in der Bevölkerung existiert.

Grund zur Sorge, dass solche Straftaten keinesfalls zu vernachlässigende Einzelfälle bilden und sie in Zukunft womöglich zunehmen werden, liefert zudem die Tatsache, dass die verächtlichen Anschuldigungen Thilo Sarrazins gegenüber den türkischen und arabischen Migrantengruppen in Berlin eine bundesweite Zustimmung von 51 % innerhalb der Bevölkerung erreichten (vgl. BMP, 15. Oktober 2009). Darüber hinaus hat der überraschende Ausgang der Volksabstimmung in der Schweiz gegen den Bau von Minaretten auch zu einer Diskussion in Deutschland und Niedersachsen geführt. Nach dem Votum der Schweizer gegen Minarette fürchten deutsche Muslime, dass eine islamfeindliche Welle über Europa schwappt.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um dem Problem der Islamfeindlichkeit adäquat entgegenzuwirken?
  2. Wird das spezifische Motiv der Islamfeindlichkeit bei der polizeilichen Erfassung von Straftaten berücksichtigt? Wenn nein, warum nicht?
  3. Welche näheren Erkenntnisse hat die Landesregierung über den Vorfall in Göttingen, insbesondere darüber, ob die vier Gewalttäter der rechtsradikalen Szene angehören?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Die Niedersächsische Landesregierung tritt für Toleranz und Achtung der Menschenwürde ein. Insbesondere in der Bildungspolitik zählt es zu ihren wesentlichen Zielen, die Werte einer freiheitlichen und offenen Demokratie zu vermitteln. Dazu gehört auch das Eintreten für Religionsfreiheit. Darüber hinaus wendet sich die Landesregierung mit allem Nachdruck gegen fremdenfeindliche Aktivitäten.

Die Landesregierung fördert in vielfältigen Bereichen die Integration von Muslimen. Sie steht mit den islamischen Verbänden in einem konstruktiven Dialog und tritt entschlossen möglichen islamfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft entgegen.

Integration stellt sich dabei als ein zweiseitiger Prozess dar, der nicht nur die Zugewanderten sondern auch die Mehrheitsgesellschaft ohne Migrationshintergrund fordert. Einzelne Maßnahmen zur Integration richten sich daher sowohl an die Muslime selbst als auch an die Vertreter der Mehrheitsgesellschaft.

Dies vorangestellt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1:

Die Landesregierung hat unter dem Gesichtspunkt der Integration u. a. die folgenden Maßnahmen ergriffen:

Um der steigenden Nachfrage nach Informationen und Beratungswünschen in allen Extremismusbereichen Rechnung tragen zu können, wurde beim Niedersächsischen Verfassungsschutz vor Kurzem die Niedersächsische Extremismus-Informations-Stelle (NEIS) eingerichtet, die alle Präventionsangebote des Verfassungsschutzes bündelt und steuert.

So werden im Rahmen der seit November 2007 mit beachtlicher Resonanz gezeigten und bereits weit in das nächste Jahr ausgebuchten Wanderausstellung "Muslime in Niedersachsen – Probleme und Perspektiven der Integration" einerseits Probleme aufgezeigt, aber auch positive Beispiele gelungener Integration von Muslimen dargestellt und besondere Vorbilder gewürdigt. Die Ausstellung stellt damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion um die Integration von Muslimen dar.

Im Rahmen seines Informations- und Vortragsangebotes an niedersächsischen Schulen und Bildungseinrichtungen stellt der Niedersächsische Verfassungsschutz deutlich die Unterschiede zwischen der Religion des Islam und der extremistischen Ideologie des Islamismus dar. In diesem und in anderen geeigneten Zusammenhängen wird immer wieder darauf verwiesen, dass die Anhänger der Ideologie des Islamismus unter den etwa 4 Millionen Muslimen in Deutschland nur eine sehr kleine Minderheit darstellen.

Fremdenfeindliche Straftaten haben ihre Ursache häufig in rechtsextremistischen Motivationen. Insofern entfalten die vielfältigen Maßnahmen, die die Landesregierung zur Bekämpfung des Rechtextremismus ergriffen hat, auch in diesem Zusammenhang ihre Wirkung.

Vier kommunale Leitstellen für Integration organisieren zum Beispiel Informations- und Dialogveranstaltungen für Imame sowie für Vertreterinnen und Vertreter aus Moscheegemeinden, die in der Regel direkt in integrationsrelevanten Institutionen stattfinden. Bei diesen Veranstaltungen gewinnen Muslime Einblick in gesellschaftliche Strukturen und werden über spezifische Aufgaben ausgewählter Institutionen informiert. Gleichzeitig bieten diese Veranstaltungen den Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Institutionen die Gelegenheit zum Gespräch und zum gegenseitigen Austausch über insbesondere auch von muslimischer Seite eingebrachte Fragestellungen.

Niedersachsen beteiligt sich mit ca. 100 Schulen an dem bundesweiten Netzwerk "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" (SOR-SMC). Im Rahmen des Netzwerkes werden unterschiedliche Formen der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" thematisiert. In dem im Jahr 2008 durch die Bundeskoordination SOR-SMC herausgegebenen Themenheft "Jugendkulturen zwischen Islam und Islamismus" werden sehr differenziert die unterschiedlichen Strömungen des Islam für Schülerinnen und Schüler verständlich dargestellt.

Neben der bildungspolitischen Schwerpunktsetzung auf die Sprachförderung fördert interkulturelle Bildung die Integration, Empathie und die gegenseitige Akzeptanz. Sie leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Prävention von Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und fundamentalistischen Einstellungen und wirkt somit auch der Islamfeindlichkeit entgegen.

Zur Unterstützung der Schulen und der Lehrkräfte bei der interkulturellen Bildung stehen landesweit ca. 30 speziell für diese Aufgabe qualifizierte Lehrkräfte als Fachberaterinnen und Fachberater zur Verfügung.

Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren die Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zur Förderung interkultureller Kompetenz vor allem durch das Diversity Trainingsprogramm "Eine Welt der Vielfalt" stark verstärkt. Das präventiv wirkende Programm verfolgt u.a. das Ziel, Vorurteile und Stereotypen zu erkennen, deren Auswirkungen zu reflektieren und einen bewussten Umgang damit anzustreben. Derzeit gibt es in Niedersachsen für dieses Programm bereits ca. 40 ausgebildete Trainerinnen und Trainer.

Ferner wurden in diesem Jahr erstmalig ca. 15 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus den Studienseminaren fortgebildet, um bereits bei angehenden Lehrkräften entsprechende interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln.

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit führt in Kooperation mit den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten die Aktionswochen "Migrantinnen in Niedersachsen – Integration gestalten" durch. Wesentlicher Inhalt der Aktionswochen ist, den Abbau von Ängsten und Vorurteilen sowie das gegenseitige Kennenlernen der jeweils anderen Kultur als einen wechselseitigen Prozess zu gestalten. Bislang wurden niedersachsenweit bereits 85 dieser Projekte in den Kommunen durchgeführt.

Zu 2:

Nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder

(IMK) wurde bundesweit im Jahr 2001 ein einheitliches Definitionssystem der Politisch motivierten Kriminalität eingeführt, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Auswertung und Lagedarstellung zu ermöglichen.

Die Delikte werden hierbei neben den Phänomenbereichen (Rechts-, Links- und Ausländerkriminalität) auch einzelnen Themenfeldern und Unterthemen zugeordnet. Die der Mündlichen Anfrage zu Grunde liegende Straftat zum Nachteil der Medizinstudentin ist dem Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität -Rechts- und dem Themenfeld "Hasskriminalität", sowie den Unterthemen "Fremdenfeindlichkeit" und "Religion" zugeordnet worden.

Zu 3:

Nach derzeitigem Stand der polizeilichen Ermittlungen wird aufgrund der Art und Weise der Tatbegehung davon ausgegangen, dass die 24-jährige Medizinstudentin mit Migrationshintergrund am 14.11.2009 auf dem Parkplatz der Universität Göttingen Opfer eines Angriffs mit fremdenfeindlicher und rechtsextremistischer Motivation geworden ist. Die mit einem Kopftuch bekleidete junge Frau wurde nach eigenen Angaben von mehreren Tätern zunächst verbal angepöbelt, im weiteren Verlauf gestoßen, zu Boden gebracht und getreten. Die Täter sollen dabei fremdenfeindliche Äußerungen vorgenommen haben. Die polizeilichen Ermittlungen dauern an; die Täter konnten bislang nicht ermittelt werden.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
16.12.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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