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Verdachtsunabhängige Kontrollen im hannoverschen Steintorviertel

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 25.09.2009; Fragestunde Nr. 45


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat, Ralf Briese und Helge Limburg (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Am 9. September 2009, einem Mittwoch, fand das Fußballländerspiel Deutschland : Aserbaidschan in der hannoverschen AWD-Arena statt. Nahezu zur gleichen Zeit wurde aus Bosnien das Fußballländerspiel Bosnien : Türkei übertragen. An diesem Tag fanden bereits zur Mittagszeit an der Stadtbahnstation Steintor verdachtsunabhängige Kontrollen der Polizei statt. Dabei wurden nach Augenzeugenberichten vornehmlich männliche Personen mit ausländischem Aussehen, die sich zu den Bahnen begeben wollten, kontrolliert. Anlässlich des islamischen Fastenbrechens und der Länderspiel-TV-Übertragung waren ab ca. 18 Uhr die türkischen Cafes´ am Steintor besonders gut gefüllt. Gegen ca. 19 Uhr kamen eine weibliche Beamtin und vier männliche Beamte in das Cafe´ "Hür-Türk e. V." am Marstall 8 am Steintor und kontrollierten die Gäste des Cafes. Einer der männlichen Beamten sprach auch türkisch. Auf Nachfrage der Gäste gaben die Beamtinnen bzw. Beamten Auskunft, es handele sich um verdachtsunabhängige Kontrollen. Sie gingen einher mit Identitätsfeststellungen und auch Leibesvisitationen. Die Polizei kontrollierte an diesem Tag noch in mehreren anderen Cafes. In diesen Cafes verkehren nahezu ausschließlich Männer türkischer Herkunft.

Für die Besucher der Cafes war dies insbesondere vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über verdachtsunabhängige Kontrollen vor Moscheen nicht verständlich, eine Belastung und ein Ärgernis.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wie viele verdachtsunabhängige Kontrollen wurden an welchen Orten seit Dezember 2003 jährlich in Niedersachsen im öffentlichen Raum mit Ausnahme der Umgebung von islamischen Gebets-, Vereins- und Kulturstätten durchgeführt?
  2. Welchen Verdachts- und Erkenntnisgewinn im Zusammenhang mit dem Umfeld des islamistisch-terroristischen Personenpotenzials hat die Landesregierung mit den in Frage 1 angesprochenen Kontrollen erzielt?
  3. Welche Ergebnisse hat das Spitzengespräch zwischen der Landesregierung, dem Präsidenten des Landespräsidiums für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz, den Polizeipräsidenten und den Vorsitzenden der DITIB, der Schura und anderer muslimischer Verbände am 10. September 2009 erbracht?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Am Mittwoch, den 09.09.2009, führte die Polizeiinspektion Mitte der Polizeidirektion Hannover in der Zeit von 15:30 - 19:30 Uhr Kontrollmaßnahmen am Kröpcke, Steintor und Opernplatz sowie in den U-Bahnstationen am Hauptbahnhof und Steintor durch. Orientiert an den Örtlichkeiten verfolgten die Maßnahmen dabei u. a. die Ziele, den Handel mit Betäubungsmitteln und die damit einhergehende Beschaffungskriminalität einzudämmen, Verstöße gegen das Waffengesetz festzustellen bzw. zu verhindern sowie der Überprüfung hinsichtlich der Einhaltung ausländerrechtlicher Bestimmungen.

Bei der an diesem Tag durchgeführten Überprüfung im Café "Hür-Türk e.V." sowie zwei weiteren Objekten handelt es sich nicht um Kontrollen gem. § 12 Abs. 6 Nds. SOG zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus.

Die Gefahrenlage im örtlichen Nahbereich des Steintores bezieht sich nach entsprechender Auswertung des Straftatenaufkommens durch die Polizeidirektion Hannover u.a. auf die Verübung, Verabredung und Vorbereitung von Verstößen gegen das Betäubungsmittel- und Waffengesetz sowie ausländerrechtliche Bestimmungen. Die Spielhallen und Cafés/Clubs im Bereich des Steintores dienen den von polizeilichen Maßnahmen betroffenen Personen oftmals als Rückzugsräume.

Das Betreten des Objektes "Hür-Türk e.V." erfolgte auf Grundlage des § 24 Abs. 6 Nds. SOG. Die Polizei darf danach zum Zweck der Gefahrenabwehr Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume, andere der Öffentlichkeit zugängliche Räume sowie befriedetes Besitztum, das mit den genannten Räumen im Zusammenhang steht, während der Arbeits-, Betriebs-, Geschäfts- oder Öffnungszeit sowie in der Zeit, in der sich Beschäftigte oder Publikum dort aufhalten, betreten.

Im Objekt wurden bei sechs Personen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und -überprüfung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG durchgeführt. Nach dieser Vorschrift können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn sie an einem Ort angetroffen wird, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung oder die in den §§ 232 und 233 StGB genannten Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich Personen aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen, oder sich Personen verbergen, die wegen Straftaten gesucht werden. Darüber hinaus dürfen Personen, die an einem in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG genannten Ort angetroffen werden, gem. § 22 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG von der Polizei durchsucht werden.

Dies vorangestellt, beantworte ich die Anfrage auf Grundlage der Berichterstattung des Landeskriminalamtes Niedersachsen und der Polizeidirektion Hannover namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1 und 2:

§ 12 Abs. 6 Nds. SOG ermöglicht polizeiliche Kontrollmaßnahmen zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung mit internationalem Bezug. Dazu gehören Straftaten der allgemeinen und organisierten Kriminalität, wie z.B. der Kraftfahrzeugverschiebung, des Waffen- und Rauschgifthandels, des Falschgeld-, Dokumenten-, Arzneimittel- und Kunstschmuggels, der Schleusungskriminalität und des Menschenhandels.

In den letzten Jahren hat die Kontrollbefugnis auch für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus Bedeutung erlangt. Auch im Umfeld von Teestuben, Internetcafes und anderen vergleichbaren Objekten werden die Kontrollen vor dem Hintergrund der bestehenden Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus und der Erkenntnis der Sicherheitsbehörden, dass sich potenziell islamistische Gewalttäter an bestimmten Treff- und Sammelpunkten aufhalten, durchgeführt. Die polizeilichen Maßnahmen verfolgen hierbei das Ziel, islamistische Strukturen aufzudecken, zu zerschlagen sowie Vorbereitungen für einen terroristischen Anschlag mit islamistischem Hintergrund so früh wie möglich zu erkennen und zu verhindern und dienen damit dem Schutz der Bevölkerung.

Die in diesem Zusammenhang von der niedersächsischen Polizei vorgenommenen Kontrollen gehören insbesondere durch ihre hohe präventive Wirkung sowie in ihrer Funktion als Erkenntnis- und Verdachtsgewinnungsinstrument im Zusammenhang mit dem Umfeld des islamistisch terroristischen Personenpotenzials zum Kernbereich der polizeilichen Maßnahmen. Sie tragen zur Verunsicherung der extremistisch / terroristischen Szene bei und leisten einen wertvollen Beitrag zur Verhinderung radikaler Strukturen.

Die Kontrollmaßnahmen im Umfeld von Teestuben, Internetcafés und anderen vergleichbaren Objekten werden in den Polizeibehörden eigenverantwortlich geplant und durchgeführt. Eine zentrale statistische Datensammlung hinsichtlich der Anzahl und der Örtlichkeiten der durchgeführten Kontrollen erfolgt nicht, so dass eine präzise Aussage eines hohen manuellen Rechercheaufwandes bedürfte, der im Rahmen der Beantwortung einer mündlichen Anfrage und der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten ist.

Zu 3:

Am 10.09.2009 fand auf Einladung des Präsidenten des Landespräsidiums für Polizei, Brand und Katastrophenschutz das Gespräch mit den Vorsitzenden der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands, der Schura Niedersachsen, des DITIB-Landesverbandes Niedersachsen/Bremen, der Alevitischen Gemeinde Norddeutschland sowie dem Religionsattaché des Türkischen Generalkonsulats Hannover statt. Darüber hinaus waren die Polizeipräsidenten der Niedersächsischen Polizeidirektionen, der Direktor des Landeskriminalamtes Niedersachsen und Vertreter der Integrationsabteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration anwesend.

Das Gespräch diente der Intensivierung der bereits bestehenden guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit der Polizei mit den muslimischen Verbänden und knüpfte im Weiteren an den ständigen Dialog auf örtlicher Ebene zwischen den Moscheegemeinden und der Polizei an.

Unter anderem wurden die Kontrollmaßnahmen gem. § 12 Abs. 6 Nds. SOG im Kontext der aktuellen Sicherheitslage in einer offenen Diskussion erörtert. Im Ergebnis wurde vereinbart, das Gespräch auch auf dieser Ebene in Zukunft fortzusetzen, um die gegenseitige Vertrauensbasis weiter zu festigen.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
25.09.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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